"Wir sind nicht mehr in diesem absoluten Preiskampf gefangen"
IM INTERVIEW: JÜRGEN REINERT
“Wir sind nicht mehr in diesem Preiskampf gefangen”
Der CEO des Solartechnikkonzerns SMA Solar über stabilere Lieferketten und den erhöhten Einsatz liquider Mittel für eine Verdoppelung der Produktion
Der Solartechnikkonzern SMA sieht sich nach einem Jahr voller Lieferengpässe endlich imstande, die hohe Nachfrage nach Lösungen für die Energiewende zu bedienen. Neben dem Erneuerbaren-Boom profitieren die Hessen auch von einem veränderten Kaufverhalten der Kunden, wie CEO Jürgen Reinert erläutert.
Herr Reinert, die Lieferengpässe, die SMA 2022 ausgebremst haben, sind weitgehend überwunden. Wie groß ist die Erleichterung bei Ihnen?
Wir freuen uns natürlich über unsere verbesserte Lieferfähigkeit. Die Entspannung in der Beschaffung von Chips und anderen wichtigen Bauteilen hatte sich aber schon im dritten Quartal angedeutet. So etwas geht ja nicht sprunghaft, sondern wird von Monat zu Monat besser. Abgesehen davon gibt es auch heute noch von Zeit zu Zeit Probleme bei manchen Lieferanten.
Warum war es für SMA so schwer an die benötigten Chips zu kommen?
Die Chips, also die Prozessoren, kommen hauptsächlich von US-Firmen und werden noch zum Großteil in China gefertigt. Dort sichern sich die ausländischen Hersteller zuerst ihren eigenen Anteil für die heimischen Kunden. Gleichzeitig gibt es Abkommen mit den Fabriken, nach denen Produktionsüberschüsse im Land bleiben können. Davon profitieren dann unsere chinesischen Wettbewerber. Unterm Strich kann man sagen: Amerikanische Kunden sind gut versorgt worden, weil dort die Chipkonzerne beheimatet sind. Chinesische Hersteller sind gut versorgt worden, weil dort noch die Produktion stattfindet. Europa ist in der Folge ein wenig zu kurz gekommen. Hinzu kam hierzulande auch die große Konkurrenz durch die Autohersteller, die ihrerseits einen hohen Bedarf an Chips haben.
Nun will Intel aber zum Beispiel eine neue Chip-Fabrik in Magdeburg bauen. Und durch den European Chips Act soll die hiesige Halbleiterproduktion auch gestärkt werden.
Die Verhältnisse werden sich definitiv ändern. Aber es wird lange dauern. Der Bau der Intel-Fabrik und soll 2027 fertig werden. In der Zwischenzeit wird die Nachfrage nicht abreißen und somit weiterhin nicht immer zuverlässig bedient werden können. Das gleiche gilt für Texas Instruments, die zwar viele Werke bauen wollen – die aber vornehmlich in den USA. Uns wird das trotzdem helfen, denn unsere Lieferbeziehungen mit den USA waren bislang immer gut. Hinzu kommt, dass Unternehmen, die in der Engpassphase mehr Chips bestellt haben, als sie eigentlich brauchten, diese nun wieder abbestellen.

Das erste Quartal lief auch dank eines guten Produktmixes besser als am Markt erwartet. In welchem Bereich ging es besonders gut voran?
Wir bedienen mit unseren Energielösungen drei Segmente: Das sind einmal Dachanlagen auf privaten Häusern und kleineren Wohnblocks. Da sind die Margen am besten und wir konnten hier im ersten Quartal auch sehr gut liefern. In dem Segment hatten wir auch im vergangenen Jahr ein positives Ergebnis erzielt. Im Geschäftsbereich gewerbliche Kunden wie zum Beispiel Firmen und Supermärkte sowie im Bereich große Solar- und Speicherparks, konnten wir 2022 noch nicht ganz so gut liefern, wie es der Break-Even erfordert. Wir gehen aber davon aus, dass sich das im Laufe des Jahres ändern wird.
Wird es für das vergangene Jahr eine Dividende geben?
Das steht noch nicht fest. Wir wollen in diesem Jahr stark wachsen und den Umsatz maximal um 50% auf 1,6 Mrd. Euro steigern. Dafür brauchen wir auch Cash, um unsere Kapazitäten auszubauen. Deswegen wird der Vorstand vorschlagen, dieses Jahr keine Dividende auszuschütten, auch wenn wir im vergangenen Jahr Gewinn gemacht haben.
Sie rechnen 2023 mit einem Wachstum der weltweit installierten PV-Leistungen auf ca. 220 bis 242 Gigawatt. Wie wird sich das auf die Nachfrage nach Wechselrichtern von SMA auswirken?
Die Wachstumsraten könnten sogar noch höher ausfallen. Dadurch könnte auch unser Auftragseingang weiter steigen. Hintergrund ist die Tatsache, dass der Zubau erneuerbarer Energien mit Blick auf den Klimawandel noch schneller passieren muss. Viele Regierungen erkennen das jetzt deutlicher und nehmen sich, etwa in Deutschland, endlich eine Beschleunigung der Genehmigungsprozesse vor. Das ist auch notwendig, denn wenn der Stromverbrauch hierzulande bis 2030 zu 80% auf Erneuerbaren Energien basieren soll, muss die Zubaurate von aktuell 4-5 Gigawatt pro Jahr auf über 20 Gigawatt pro Jahr steigen. Ähnliche Bestrebungen gibt es in den USA und auch in anderen Märkten. Auch aufgrund dessen verdoppeln wir im kommenden Jahr unsere Produktionskapazität.
Was ist hier genau geplant?
Wir starten in diesem Jahr eine neue Plattform für den Privatkundenbereich. Dafür brauchen wir neue Produktionslinien innerhalb unserer bestehenden Werke. Für den Großanlagenbereich bauen wir an unserem Hauptstandort zudem ein komplett neues Werk, das wir zunächst als Mieter nutzen werden. Dadurch fallen unsere Investitionskosten geringer aus. Sie belaufen sich über die nächsten zwei Jahre auf rund 50 Mill. Euro.
Bei einer so hohen Nachfrage brauchen Sie sicher mehr Mitarbeitende. Wie schwer ist es, Leute zu bekommen?
Zunächst muss man sagen, dass wir in einer attraktiven Branche unterwegs sind. Gerade viele junge Menschen suchen Jobs mit Sinn in Unternehmen, die nachhaltig agieren – die kommen gerne zu uns. Wir sind jetzt dabei, knapp 130 Leute, die wir als Zeitarbeitnehmer beschäftigen, zu entfristen und ihnen eine feste Anstellung zu bieten. Das geschieht in den nächsten zwei, drei Monaten. Für die Erweiterung der Produktion benötigen wir in eineinhalb Jahren ungefähr nochmal 200 bis 300 Mitarbeitende zusätzlich.
Wechselrichter sind in den vergangenen Jahren auch durch chinesische Billiganbieter immer günstiger geworden. Wie gehen Sie damit um?
Um Solarenergie effizient zu nutzen und für ein umfassendes Energiemanagement brauchen die Kunden ja mehr als nur einen Wechselrichter. Wir positionieren uns hier als Systemanbieter und bieten im Privatkundengeschäft beispielsweise auch Ladesäulen, Batteriespeicher und Softwarelösungen an. Mit diesen Komplettlösungen können wir auch höhere Preise durchsetzen. Hinzu kommt, und das ist eine relativ neue Entwicklung, dass unsere Kunden zunehmend Wert darauf legen, dass Produkte wegen der längeren Lebensdauer und der besseren Nachhaltigkeit und vor allem auch aufgrund der höheren Cybersicherheit aus Deutschland und nicht aus China kommen. Wir sind deswegen nicht mehr in diesem absoluten Preiskampf gefangen.
Sie haben den Inflation Reduction Act der USA zuletzt als „Game Changer“ für die Industrie bezeichnet. Welche Folgen wird das Gesetz für die Produktion von SMA haben?
Wir haben aktuell keine Produktion mehr in den USA, überlegen uns aber gerade sehr genau, wann und wie eine Fertigung dort wieder aufgebaut werden könnte. Wir kennen den Markt sehr gut, im großen Freiflächengeschäft und im Commercial-Bereich gehören wir in den USA zu den Marktführern. Daher können wir uns dieser Diskussion nicht entziehen. Grob gerechnet bedeutet der IRA für uns eine Vergünstigung bei der Fertigung von 20%. Wenn der Kunde also 20% mehr zahlen muss, weil wir in Deutschland produzieren, dann werden wir es in diesem Markt wahrscheinlich sehr schwer haben.
Die EU strebt mit dem „Green Deal Industrial Plan“, der eine Antwort auf den IRA sein soll, bis 2030 eine Selbstversorgungsquote in der Photovoltaik von 40% an. Sind Sie damit zufrieden?
Wir sind froh, dass es jetzt auch in der EU Bewegung gibt. Es ist angekommen, dass auch die hiesige Industrie gestärkt werden muss und nicht einfach nur die Zubauraten erhöht werden können, unabhängig davon, woher die Produkte kommen. Die Maßnahmen sind aber definitiv nicht mit dem IRA vergleichbar. Man bekommt als Hersteller etwa keine Zuschüsse für die Fertigung. Dafür sollen die administrativen Prozesse beschleunigt werden. Das ist auch wichtig, damit es künftig hoffentlich nicht mehr mehrere Jahre dauert, bis ein großes Solar- oder Windkraftwerk entsteht.
Das Interview führte Karolin Rothbart