Covestro-CFO Thomas Toepfer

„Lieferketten sind auch im ersten Halbjahr 2022 angespannt“

Covestro stellt durch Vorratsaufbau die Produktverfügbarkeit sicher. Finanzchef Thomas Toepfer sieht im Interview der Börsen-Zeitung die Herausforderungen besser gemeistert als bei Wettbewerbern.

„Lieferketten sind auch im ersten Halbjahr 2022 angespannt“

Annette Becker

Herr Toepfer, ungeplante Produktionsstillstände haben verhindert, dass Covestro im dritten Quartal noch mehr verdiente. Was stand dahinter?

Wir hatten ein sehr starkes Quartal, das vorweg. Aber wir hätten in der Tat mehr verkaufen können, wenn wir mehr Kapazität gehabt hätten. Wir haben auch im dritten Quartal noch die Langfristauswirkungen von dem Wintersturm in den USA gespürt. Zudem hatten wir in einer unserer Anlagen in Brunsbüttel einen technischen Stillstand, der mittlerweile behoben ist. Aber auch die Lieferketten sind sehr angespannt. Viele Waren liegen auf Schiffen und in Häfen und gelangen nicht so schnell zum Kunden, wie man sich das wünschen würde. Dennoch bin ich überzeugt, dass wir das besser weggesteckt haben als Wettbewerber. Das liegt an unserer tiefen Integration und daran, dass wir in der Region produzieren, in der die Waren auch verkauft werden. Von daher haben wir die Logistikherausforderungen besser gemeistert als Wettbewerber.

Im Segment Performance Materials gingen die Absatzmengen wegen der Produktionsstillstände zurück, das Ergebnis ist dennoch gestiegen. Bei Solutions & Specialties rutschte das operative Ergebnis trotz spürbar gestiegener Absatzmengen ab. Liegt das an der geringeren Preissetzungsmacht bei Solutions & Specialties?

Es ist eher eine Timingfrage. Wir haben bei Solutions & Specialties länger laufende Verträge mit unseren Kunden. Dort lassen sich die gestiegenen Rohstoffpreise nicht so schnell an die Kunden weiterreichen. Das haben wir deutlich gesehen. Das ist ein Ansatzpunkt für weitere Verbesserungen.

Im August hatten Sie erwartet, dass sich der Rohstoffpreisanstieg in der zweiten Jahreshälfte umkehrt. Das Gegenteil ist der Fall. Was ist anders als erwartet gekommen, und wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein?

Zum einen hat uns der rasante Anstieg der Energiepreise überrascht. Zum anderen ist die Nachfrage weiter sehr hoch geblieben, das hat weiter Druck auf die Rohmaterialien gegeben. Das Entscheidende ist, dass wir als Konzern die Preissteigerungen mehr als wettmachen konnten. Im dritten Quartal haben wir aus dem Delta zwischen den gestiegenen Rohstoffkosten und den erhöhten Absatzpreisen für uns einen Betrag von mehr als 500 Mill. Euro vereinnahmen können.

Sie sprachen die gestiegenen Energiepreise an. Wann werden sich diese im Ergebnis bemerkbar machen?

Ihre Frage impliziert, dass sich das bei uns negativ auswirkt. Das würde ich nicht unbedingt so sehen. Wir waren im dritten Quartal in der Lage, diese Preissteigerungen an unsere Kunden weiterzugeben. Das Thema ist natürlich relevant, da in vielen unserer Energielieferverträge automatische Preisanpassungsklauseln enthalten sind. Bislang sind wir mit dieser Situation ganz hervorragend umgegangen. Ich glaube nicht, dass höhere Energiepreise unser Ergebnis beeinträchtigen werden.

Sie planen bis zum Jahresende den Abbau von 400 Vollzeitstellen und womöglich weitere Stellenstreichungen im kommenden Jahr. Wann verarbeiten Sie die dafür anfallenden Einmalkosten bilanziell, und wie hoch sind diese?

Die Vollzeitstellen, die Sie erwähnen, stammen noch aus unserem Perspective-Programm, das wir bereits 2018 angekündigt hatten. Um es ganz deutlich zu sagen: Wir haben aktuell kein aktives Stellenabbauprogramm. Wir schauen uns an, wie wir effizienter werden können, zum Beispiel im Zuge der Integration von RFM. Das haben wir in diesem Jahr dadurch geschafft, dass wir gewisse Stellen, die sich gedoppelt haben, nicht nachbesetzen. Die Kosten für die Integration und das Transformationsprogramm sind in der Prognose für dieses Jahr voll verarbeitet. Damit dürften wir einen großen Teil der Maßnahmen abdecken.

Covestro soll vollständig auf Kreislaufwirtschaft umgebaut werden. Dafür wollen Sie 1 Mrd. Euro in den nächsten zehn Jahren investieren. Das wären pro Jahr nur 100 Mill. Euro. Muss nicht mehr Tempo gemacht werden?

Wir sind mit einem hohen Tempo unterwegs. Wichtig dabei ist, dass wir nicht auf Produktionsanlagen sitzen, die nicht auch zirkulär betrieben werden könnten. Wir haben hier sogenannte Drop-in Solutions, mit denen wir biobasierte Rohstoffe in unseren bestehenden Anlagen verarbeiten können. Das unterscheidet unseren Anlagenpark ganz gewaltig von dem in anderen Industrien oder auch bei direkten Wettbewerbern. Wir haben keine Assets, die erst komplett umgebaut werden müssen. Bei uns geht es darum, eher punktuell zu investieren, um etwa Materialkreisläufe zu schließen.

Die gestiegenen Rohstoffpreise spiegeln sich bei Ihnen in der höheren Mittelbindung im Working Capital. Für den Free Cash-flow haben Sie die Prognose leicht gekappt. Was bedeutet das für die Dividende?

Wir haben eine höhere Mittelbindung im Working Capital. Das ist zum einen bewertungstechnisch bedingt. Zugleich haben wir unsere Vorräte willentlich zum Jahresende erhöht. Damit wollen wir sicherstellen, dass wir auch im kommenden Jahr eine hohe Produktverfügbarkeit haben. Denn wir rechnen damit, dass die Lieferketten auch im ersten Halbjahr 2022 noch angespannt sein werden. Wir wollen in jedem Fall verhindern, nicht lieferfähig zu sein. Auf die Dividende hat das keinerlei Einfluss, denn unsere Ausschüttungsquote basiert auf dem Jahresüberschuss. Von dem schütten wir 35 bis 55% aus. Dabei ist nicht zu erwarten, dass wir das ganz untere Ende in den Blick nehmen.

Das Interview führte .