Rechtsverstöße

Mehr Schutz für Whistleblower

Die Verpflichtung zur Einführung von Hinweisgebersystemen für vermeintliche Rechtsverstöße wird für mehr Transparenz und Prävention sorgen.

Mehr Schutz für Whistleblower

Der blaue Brief aus Brüssel kam nicht ganz unerwartet: Mit der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland und andere Mitgliedstaaten macht die EU mehr als deutlich, dass ihre Whistleblower-Richtlinie aus dem Jahre 2019 jetzt endlich in nationales Recht umzusetzen ist. Eigentlich hätte dies spätestens bis zum 17.12. letzten Jahres geschehen sollen. Ein erster Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium vom November 2020 war jedoch in der großen Koalition wegen inhaltlicher Meinungsverschiedenheiten gescheitert.

Die Maßgabe der EU ist für die deutsche Wirtschaft von erheblicher Bedeutung: Sie betrifft mehr als 16000 Unternehmen mit über 250 Beschäftigten unmittelbar. Ab Ende 2023 wird sie erweitert und erfasst dann sogar Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern. Ein Großteil der Unternehmen wird zukünftig also ein System zur Meldung vermeintlicher Rechtsverstöße neu einrichten müssen, denn nur bei den wenigsten ist ein solches bereits vorhanden.

Im Koalitionsvertrag

Für die entsprechende gesetzliche Verpflichtung wird bald die Ampel-Regierung sorgen, die das Thema von der großen Koalition quasi geerbt und auf Seite 111 ihres Koalitionsvertrags auch unmissverständlich angekündigt hat, „die EU-Whistleblower-Richtlinie rechtssicher und praktikabel“ umzusetzen. Nach dem Willen der Scholz-Regierung sollen interne Hinweisgeber „nicht nur bei der Meldung von Verstößen gegen EU-Recht vor rechtlichen Nachteilen geschützt sein, sondern auch von erheblichen Vorschriften oder sonstigem Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt“.

Dies lässt einen sehr umfangreichen Schutz von Whistleblowern durch das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz erwarten. In dessen Schutzbereich werden alle Meldungen fallen, die den Verdacht auf – vermeintlich – rechtswidriges Verhalten im jeweiligen Unternehmen begründen.

Dasselbe wird übrigens auch für Einrichtungen der öffentlichen Hand gelten. Denn auch Behörden mit mehr als 50 Mitarbeitern, Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie Städte und Kommunen mit mehr als 10000 Einwohnern sind von der Whistleblower-Richtlinie erfasst und müssen nach überwiegender Expertenmeinung wegen der Direktwirkung von EU-Recht bereits jetzt entsprechende Hinweisgebersysteme einrichten.

Entsprechend müssen sich die Verantwortlichen in Unternehmen und Behörden schon bald mit der Organisation und dem Umgang eingehender Meldungen beschäftigen. Zu empfehlen ist dabei das Aufsetzen eines klaren Prozesses: Mit einer internen Richtlinie kann klar kommuniziert werden, an wen Hinweise gemeldet werden können und wer sich um deren Abklärung kümmert. Letzteres wird klassische Aufgabe einer Compliance- oder Rechtsabteilung sein. Gibt es diese nicht, ist gegebenenfalls auf externe Dienstleister zurückzugreifen.

Ferner sollte eine möglichst unabhängige Ombudsperson bestimmt werden, die die vertrauliche Behandlung der Meldungen und – wenn gewünscht – auch die Anonymität des Hinweisgebers gewährleistet. Handelt es sich dabei auch noch um ein Organ der Rechtspflege, garantiert das Standesrecht die Geheimhaltung der sehr sensiblen Informationen, selbst über die Beendigung des Mandatsverhältnisses hinaus.

Auch wenn der Unternehmensführung oder den Behördenleitern der Inhalt vieler Meldungen nicht „gefallen“ wird und diese zu internen Ermittlungen führen können: In der Regel ist es doch besser, als erster von der unangenehmen Wahrheit zu erfahren und damit „Herr des Verfahrens“ zu bleiben. Wendet sich der Hinweisgeber dagegen an jene Behörden, die zukünftig auch größere betriebsunspezifische Melde-Portale anbieten werden, ist das Unternehmen in den laufenden Ermittlungen oft nur in der Rolle des Zuschauers – und sieht sich zudem der Gefahr einer öffentlichen Berichterstattung ausgesetzt, die die Reputation beschädigen kann.

Nicht selten führt ein Whistleblowing übrigens tatsächlich zur Entdeckung sogenannter „Innentäter“, also von Kollegen, die mittels ausgeklügelter Methoden in die Firmenkasse greifen und sich so einen lukrativen „Zusatzverdienst“ verschaffen. Bei diesem oft unterschätzten Phänomen – man geht von jährlichen Milliarden-Schäden aus – gilt die ungeschriebene Regel, dass die Täter bis zur Entdeckung nicht von ihrem kriminellen Tun ablassen und dass bei ihnen nach Aufdeckung auch „nichts mehr zu holen ist“. Unabhängig einer gesetzlichen Verpflichtung zeigt sich hier der große Mehrwert von Hinweisgebersystemen für die Unternehmen.

Kritisch beobachtet werden muss, inwieweit das neue Hinweisgeberschutzgesetz Einfluss auf das Arbeitsrecht haben wird: Die EU-Whistleblower-Richtlinie bezweckt den Schutz der Hinweisgeber vor Repressalien. Tatsächlich sollte dies eine Selbstverständlichkeit sein, allerdings wird daraus teilweise gefolgert, der Arbeitgeber stehe bei jeder Maßnahme in der Beweislast und müsse nachweisen, dass sein Handeln nicht mit einer zuvor abgesetzten Meldung zusammenhängt. Dieser „Negativbeweis“ wird im Arbeitsgerichtsprozess schwerlich zu führen sein. Zudem werden Hinweisgebersysteme damit letztlich geschwächt, weil immer die mögliche Intention mitberücksichtigt werden muss, dass die Meldung nur das Ziel verfolgt, die eigene arbeitsrechtliche Stellung zu stärken. Das neue Gesetz und seine Anwendung vor allem durch die Arbeitsgerichte werden hier hoffentlich mehr Klarheit bringen.

Kulturwechsel

Davon unabhängig wird die neue Gesetzeslage zu einer Art „Kulturwechsel“ führen: Galt bis dato frei nach dem Dichter Hoffmann von Fallersleben: „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant“, so wird das „Verpetzen“ jetzt gefördert, wenn nicht sogar gefordert. Schließlich soll mehr Transparenz geschaffen und etwaige Fehlentwicklungen früher aufgedeckt werden. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen und steht im Einklang mit anderen Gesetzesini­tiativen: So fordert das im letzten Jahr verabschiedete Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) von den betroffenen Unternehmen unter anderem ein „Beschwerdemanagement“, bei dem vermeintliche Verstöße gegen die normierten Standards schnell und unkompliziert gemeldet werden können.

Letzteres lässt sich durchaus in ein Hinweisgebersystem integrieren, wobei dann eine globale Abdeckung und Erreichbarkeit gewährleistet sein sollte. Hilfreich sind hier webbasierte Hinweisgeber-Portale, die unabhängig von Standort und Sprache sowie unter Wahrung der Anonymität Meldungen ermöglichen bzw. vereinfachen. Deren zeitnahe und effektive Abarbeitung wird für viele Unternehmen eine nicht zu unterschätzende Herausforderung.

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