Pharmaindustrie

Novartis ist herausgefordert

Novartis muss um das alleinige Verkaufsrecht ihres zweitwichtigsten Medikaments Entresto bangen. Ein US-Gericht hat den Patentschutz des Herzmittels für ungültig erklärt. Das Novartis-Management hat seine Aktionäre schlecht auf dieses Risiko vorbereitet.

Novartis ist herausgefordert

Novartis verunsichert die Aktionäre

Ein überraschender und für den Pharmamulti negativer Gerichtsentscheid wirft ein Schlaglicht auf heftige Patentstreitigkeiten um den Blockbuster Entresto

Novartis muss um das alleinige Verkaufsrecht ihres zweitwichtigsten Medikamentes bangen. Ein US-Gericht hat das Patent für das Herzmittel Entresto für ungültig erklärt. Patentstreitigkeiten sind in der Pharmaindustrie zwar an der Tagesordnung. Sie sollten die Aktionäre aber nicht auf dem falschen Fuß erwischen.

dz Zürich

Die Novartis-Aktionäre wurden am Freitag auf dem falschen Fuß erwischt. Eine knappe Stunde bevor die Six Swiss Exchange das Wochenende einläutete, sackten die Aktien das Pharmamultis um mehr als 3% ab. Die Verwirrung unter den Anlegern wurde nicht sofort kleiner, als Novartis einen Patentstreit als Ursache für den heftigen Börsenrücksetzer nannte.

Vielen Investoren und Finanzanalysten war offenbar nicht klar, dass die Baseler gerade hart um die Verteidigung des Patentschutzes ihres umsatzmäßig zweitwichtigsten Medikamentes Entresto kämpfen müssen. Mehrere Generikaherstellern hatten den bis im Juli 2025 laufenden Patentschutz für die Pille zur Behandlung von Herzinsuffizienz vor einem Bezirksgericht im US-Bundesstaat Delaware angefochten und damit nun einen ersten Erfolg erzielt. Das Gericht erklärte das Entresto-Patent für ungültig, weil dem Patent eine schriftliche Beschreibung fehle.

Novartis betonte in einer Pressemitteilung, dass die Patentstreitigkeiten um Entresto bereits seit 2019 andauerten und dass man gegen das vorliegende Urteil in Berufung gehen werde. Für eine rasche Beruhigung der Anleger sind diese Informationen aber kaum geeignet. Der Schock vom Freitag ist den Aktionären in die Knochen gefahren. Sollten billige Nachahmermedikamente den wichtigen Novartis-Ertragspfeiler Entresto früher als geplant zum Einsturz bringen, dann wäre dies ein empfindlicher Rückschlag für den Konzern und dessen Management.

Interessant ist auch, wie Novartis in der Pressemitteilung betont, dass bis dato noch kein Entresto-Generikum die erforderliche Zulassung der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) erhalten habe. Es ist in der Tat üblich, dass Generikahersteller die Verkaufszulassung beantragen, noch bevor der Patentschutz des Originalpräparates abgelaufen ist, denn im umkämpften Generikamarkt spielt das Tempo eine wichtige Rolle.

Wie eine Drohung liest sich im Novartis-Kommuniqué ein Satz, in dem Novartis die Generikahersteller davor warnt, ihre Entresto-Kopien sofort nach Erhalt der FDA-Zulassung auf den Markt zu werfen, ohne das Urteil des Berufungsgerichtes abzuwarten. Ein solche Erfahrung hatten die Baseler 2007 machen müssen, als sie das Patent ihres Brutdrucksenkers Lotrel gegen den Angriff des israelischen Generikariesen Teva verteidigten. Teva nutzte die FDA-Zulassung, um ihre Lotrel-Kopie sofort in Umlauf zu bringen, obschon der Patentstreit gerichtlich noch nicht entschieden war. Zwar konnte Novartis später gerichtlich ein Auslieferungsverbot gegen das Konkurrenzprodukt erwirken, aber in dem damals drittstärksten Medikament in der Umsatzrangliste der Novartis-Blockbuster war der Schaden schon angerichtet, und die Aktionäre blieben verunsichert zurück.

Ein ähnliches Szenario könnte auch mit Entresto wieder Realität werden, obschon Novartis am kurz- und mittelfristigen Ziel eines jährlichen Umsatzwachstums von 4% zu konstanten Wechselkursen festhält. Der Fall Lotrel und jetzt auch der Fall Entresto führen den Investoren vor Augen, dass der Patentschutz für sogenannte Kombinationstherapien einfacher angreifbar ist als der Patentschutz für Medikamente, die nur auf einem neuen Wirkstoff beruhen.  

Entresto beruht zum einen auf dem Molekül Valsartan, das unter dem Namen Diovan eine Karriere als Blutdrucksenker hinter sich hat. Zum anderen enthält Entresto das Molekül Sacubitril, das als sogennanter NEP-Inhibitor schon vor fast einem Vierteljahrhundert vor dem Sprung auf die pharmakologische Weltbühne gestanden hatte. Neu an Entresto war also lediglich die Kombination dieser beiden längst in die Jahre gekommenen Moleküle. „Diese Kombination zweier alter Wirkstoffe ist der Solidität des Patentschutzes von Entresto wenig förderlich“, sagt ein Kenner der Rechtslage.

„Patentstreitigkeiten sind der Courant normal in der Pharmaindustrie“, ordnet ein anderer Novartis-Kenner ein. Seine Aussage bedeutet indirekt, dass Novartis in der Lage sein muss, die Märkte in geeigneter Weise auf solche Rechtsstreitigkeiten vorzubereiten. Wie es scheint, ist dies im vorliegenden Fall ebenso misslungen wie vor 16 Jahre im Fall Lotrel.

Dem guten Ruf von Novartis-Chef Vasant Narasimhan sind Schocks, die den Anlegern die Zuversicht nehmen, besonders abträglich. Der CEO hat in den vergangenen fünf Jahren über 25 Mrd. Dollar für den Zukauf neuer Medikamente ausgegeben, ohne den Konzern damit markant vorangebracht zu haben.

Am Dienstag der kommenden Woche muss Novartis die Zahlen zum ersten Halbjahr vorlegen. Mit einer Enttäuschung hatte bis Ende vergangener Woche kaum jemand gerechnet.

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