Novartis wagt erneut Milliardeneinkauf

9,7 Mrd. Dollar für einen Cholesterinsenker - Investoren sind wenig begeistert

Novartis wagt erneut Milliardeneinkauf

dz Zürich – Überhöhte Cholesterinwerte gelten als eine der großen Volkskrankheiten in den Industrieländern. Obwohl der Nutzen von Cholesterinsenkern nicht unbestritten ist, investiert die Pharmaindustrie Milliarden in neue Therapien. Jüngstes Beispiel ist Novartis: Der Konzern hat am Montag eine Übernahmeofferte an die Aktionäre des amerikanischen Biotechunternehmens The Medicines im Wert von fast 10 Mrd. Dollar angekündigt. 85 Dollar pro Aktie wollen sich die Schweizer den Kauf der Firma kosten lassen.Das Gebot entspricht einem Aufpreis von 24 % gegenüber dem Schlusskurs vom Freitag und dies, nachdem die Notierung schon in den vergangenen Tagen, offensichtlich in Erwartung einer Übernahme, kräftig zugelegt hat. Die Prämie gegenüber dem Durchschnittskurs der vergangenen sechs Monate beläuft sich auf rund 100 %. Inclisiran heißt das Objekt der Begierde. Novartis traut diesem Medikament das Potenzial eines Milliarden-Blockbusters zu.Das Medikament adressiert Risikopatienten mit Arteriosklerose, vererbten Fettstoffwechselstörungen und anderen Grunderkrankungen (Diabetes, Adipositas), die trotz standardtherapeutischer Behandlung keine Reduktion der gesundheitsgefährdenden LDL-Proteine erreichen. Novartis spricht von weltweit rund 50 Millionen Patienten. Eine relativ neue Wirkstoffgruppe von sogenannten PCSK9-Inhibitoren soll diese Lücke füllen. Dazu gehört auch Inclisiran. PreissenkungenZwei Medikamente mit diesem Wirkstoff sind schon seit 2015 auf dem Markt. Der große Erfolg blieb ihnen bislang aber verwehrt. Sanofi und ihr Forschungspartner Regeneron erhielten im Juli 2015 in den USA die Zulassung für den Verkauf von Praluent. Das Produkt hat in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres gerade einmal 169 Mill. Dollar eingespielt. Amgen ist seit August 2015 mit Repatha auf dem US-Markt. Der Neunmonatsumsatz 2019 beträgt 461 Mill. Dollar. Trotz der eher harzigen Verkaufsentwicklung trauen Analysten Repatha immer noch maximales jährliches Umsatzpotenzial von 2,4 Mrd. Dollar zu. Für Praluent belaufen sich die Erwartungen auf 1 Mrd. Dollar.Beide Hersteller mussten im vergangenen Jahr in den USA die Verkaufspreise um 60 % senken, um die Krankenkassen für eine Erstattung zu gewinnen. Repatha wird jetzt zu einem Preis von monatlich 450 Dollar verschrieben, verglichen mit dem ursprünglichen Listenpreis von 1 117 Dollar. Die Zurückhaltung der Kassen hat gute Gründe. Zwar gilt es als erwiesen, dass überhöhte Cholesterinwerte das Risiko von Schlaganfällen und anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen. Doch ebenso gut weiß man, dass es zur Minderung des Risikos nicht immer und zwingend Cholesterinsenker braucht. Zu den Hauptrisikofaktoren zählen auch Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel und Bluthochdruck. Vor diesem Hintergrund könnten sich viele Kassen dereinst die Frage stellen, ob sie die Finanzierung einer medikamentösen Therapie nicht von der Änderung des Lebensstils der Patienten abhängig machen sollten. Inwieweit solche Überlegungen bereits in das strategische Kalkül von Novartis eingeflossen sind, ist nicht bekannt.Klar ist indessen, dass der Pharmakonzern im Zug der Lancierung von Entresto (2016), einer Pille zur Behandlung von Herzinsuffizienz, seine Verkaufsmannschaft für Herz-Kreislauf-Medikamente kräftig aufgestockt hat und sich von der Erweiterung des Sortiments nun einen starken Hebeleffekt verspricht. Dazu muss Inclisiran allerdings erst noch die Vertriebszulassung erhalten. Die Anträge in den USA und in der EU sollen in den nächsten Wochen und Monaten eingereicht werden.