Softwarebranche

SAP bringt Financial Services in Joint Venture ein

SAP will im Geschäft mit Finanzdienstleistungen stärker wachsen – jedoch nicht mehr in Eigenregie. Branchenspezifische Produkte soll ein Joint Venture mit der Beteiligungsgesellschaft Dediq entwickeln.

SAP bringt Financial Services in Joint Venture ein

scd Frankfurt

Der Softwarekonzern SAP stellt im wichtigen Geschäft mit Kunden der Finanzindustrie die Weichen neu. Der Dax-Konzern kündigte am Dienstag an, dass das branchenspezifische Know-how in ein Gemeinschaftsunternehmen mit der auf Venture-Entwicklung spezialisierten Beteiligungsgesellschaft Dediq eingebracht wird. Dediq investiere eine halbe Milliarde Euro in die neue Geschäftseinheit Financial Services Industry (FSI), die noch einen Namen sucht, und halte dann 80% am Joint Venture. SAP wird dieses damit nicht konsolidieren, sondern nur von etwaigen Gewinnen mit 20% anteilig profitieren. Von Lizenzzahlungen, die FSI an SAP für Nutzung der Technologiebasis des Konzerns entrichten wird, können wiederum 80% als Umsatz gebucht werden. Hinzu komme ein Sonderertrag bei Abschluss der Transaktion in mittlerer, zweistelliger Millionenhöhe, wie CFO Luka Mucic erklärte. Der Abschluss, der noch der Zustimmung der Kartellbehörden bedarf, soll im September erfolgen. Im vierten Quartal will SAP dann noch den Vertrieb der künftig zu FSI gehörenden Produkte übernehmen, ehe die neue Geschäftseinheit dann 2022 komplett eigenständig agieren soll.

Milliarden-Geschäft

„Der Markt für Finanzdienstleister eröffnet uns riesige Chancen“, zeigte sich Mucic überzeugt. Um dieses Potenzial besser zu heben, werde SAP mit Dediq das bestehende Portfolio für Finanzdienstleister deutlich erweitern, „um Prozesse im Bank- und Versicherungswesen durchgängig abzubilden“. Der Softwarekonzern verspricht sich von der Ausgliederung der Entwicklung neuer Finanzdienstleistungsprodukte eine höhere Geschwindigkeit, mit der dem rasant wachsenden Bedarf Rechnung getragen werden soll. Die neue Einheit werde ihre strategische Richtung selbständig festlegen können, dabei aber ein starkes Mitglied der SAP-Familie bleiben, sicherte Mucic ein langfristiges Engagement des Softwarekonzerns zu. „Die meisten Finanzdienstleistungskunden nutzen die Cloud noch eingeschränkt – beispielsweise zum Betrieb ihrer Desktop-Applikationen oder in ihren Fintech-Ventures, in denen sie noch experimentieren. Wenn es aber um den operativen Kern ihres Geschäfts geht, sind Banken und Versicherungen noch sehr zurückhaltend, in die Cloud zu gehen“, sagte Matthias Tomann, geschäftsführender Partner von Dediq. „Wir erwarten, dass sich das in den nächsten 10 bis 15 Jahren aber signifikant ändern wird.“ Insgesamt wachse der Markt für Finanzdienstleistungs-IT zwar nur um 3 bis 5%  im Jahr. Allerdings durchlaufe er gerade eine „massive Verschiebung zu agilen Lösungen in der Cloud“. Bereits in fünf bis sechs Jahren soll FSI ein 1-Mrd.-Euro-Geschäft sein.

Um das enorme Potenzial zu erschließen, sieht Tomann bessere Chancen außerhalb von SAP, weil so eben nicht jedes Investment, das auch die Marge belasten könne, der Zustimmung des Dax-Konzerns bedürfe. So könne über die nötigen unternehmerischen Risiken schneller entschieden werden. Zum jetzigen Zeitpunkt sei es zwar „noch hochspekulativ“, eine Umsatzprognose für FSI abzugeben, ergänzte Mucic. Allerdings sei der Markt so groß, dass man sicher keinen hervorragenden Job gemacht hätte, wenn das Geschäft in einigen Jahren nicht ein recht großes, eigenständiges Unternehmen wäre.

Zusicherung an Kunden

„SAP hat eine konkurrenzlose Enterprise-Plattform. Wir sind überzeugt, wenn wir den nötigen Fokus mitbringen und ausreichend Inves­titionen vornehmen, werden wir 80 bis 90% dessen abdecken können, was Finanzdienstleister benötigen“, erklärte Tomann die Zielsetzung. Bislang erzielt SAP zwar bereits fast ein Zehntel seiner Erlöse mit der Finanzdienstleistungsbranche. Allerdings stamme der Großteil davon aus dem Vertrieb generischer Softwareprodukte und eben nicht branchenspezifischer Kernanwendungen, erklärte Mucic. „Unsere bestehenden Kunden werden von dem Umbau nicht betroffen sein“, versicherte der SAP-Finanzvorstand. Für alle Finanzdienstleister, die generische Lösungen nutzten, gebe es ohnehin keine Änderungen. Aber auch die spezifischen Financial-Services-Produkte werde SAP weiter voll unterstützen. Sobald die zugehörigen Softwareingenieure zu FSI transferiert worden seien, werde diese den Support in vollem Umfang für SAP und deren Kunden weiter leisten. Nur neue Kunden werden künftig dann eine Vertragsbeziehung mit FSI eingehen.

Insgesamt soll in einem ersten Schritt eine hohe dreistellige Zahl an SAP-Mitarbeitern zur FSI wechseln. Dabei handele es sich neben den Softwareingenieuren auch um einige Service-Mitarbeiter sowie spezialisierte Vertriebsmitarbeiter, die sich bereits heute mit dem Verkauf spezialisierter Finanzdienstleistungsprodukte befassen. „Durch die Partnerschaft mit Dediq werden wir die Digitalisierung von Kunden im Finanzdienstleistungssektor noch stärker unterstützen und schneller innovative Cloudlösungen bereitstellen, mit denen unsere Kunden ihre Unternehmen ganzheitlich transformieren können“, verspricht CEO Christian Klein. Obwohl SAP im Rahmen ihrer Strategie für das Industry-Cloud-Portfolio mit 25 Branchen bereits zahlreiche Partnerschaften geschlossen hat, ist die Zusammenarbeit mit Dediq dahingehend einzigartig, dass SAP die operative Kontrolle an den Partner abgibt.