Mobilfunk in den Fabriken

Siemens bastelt an 5G-Ökosystem

Verbraucher lernen den neuen Mobilfunkstandard 5G langsam kennen. Der Markt für die Industrie muss erst noch entstehen. Siemens verspricht sich ein gutes Geschäft.

Siemens bastelt an 5G-Ökosystem

mic München

Siemens will langfristig in der industriellen Fertigung nicht nur Endgeräte für den neuen Mobilfunkstandard 5G, sondern auch eine 5G-Infrastruktur anbieten. Mit diesem Ansatz eines vollständigen 5G-Ökosystems haben die Münchner nach eigener Ansicht im abgeschirmten IT-Umfeld einer Fabrik bislang die Nase vorn im Vergleich zur Konkurrenz. „In diesem Punkt sind wir ziemlich einzigartig“, sagte Sander Rotmensen, der den Siemens-Bereich Industrial Wireless Communication verantwortet, in einem virtuellen Pressegespräch.

Das vergangene Jahrzehnt habe im Zeichen der Vernetzung von Menschen gestanden, stellte Peter Körte fest, der Chef-Technologe und Chef-Stratege von Siemens ist. Seine Überzeugung: „Das kommende Jahrzehnt wird geprägt sein von der Vernetzung von Dingen und eben Maschinen.“ Das Verhältnis von industriellen Internet-of-Things-Anwendungen zu vernetzten Unterhaltungs- und Haushaltselektronikgeräten werde auf 80% zu 20% geschätzt.

Der gesamte 5G-Markt ist gewaltig. Zumindest trommeln die Telekommunikationsgiganten kräftig. Eine Studie, die Qualcomm in Auftrag gegeben hat, beziffert das weltweite Volumen der durch 5G ermöglichten Wertschöpfung auf 13,2 Bill. Dollar im Jahr 2035. Dies entspreche den Konsumausgaben aller US-Bürger. Welchen Anteil dieses Marktes die Anwendungen in der Industriefertigung stellen, vermag auch Körte nicht zu schätzen. Entsprechende Studien fehlten bisher.

Markt in den Kinderschuhen

Dies zeigt: Der Markt mag eindrucksvolles Potenzial bieten, doch noch steckt er in den Kinderschuhen. Unternehmen werden aus Sicherheitsgründen wahrscheinlich häufig abgeschottete Firmennetze wählen – möglichst auf einem für derartige Anwendungen reservierten Frequenzband jenseits des öffentlichen Netzes. Unternehmen behalten dann die Daten vor Ort und können nur ausgewählte Informationen beispielsweise in eine Cloud weiterleiten. Zudem sind sie in der Lage, das Netzwerk exakt an ihre Anforderungen anzupassen.

Deutschland sei sehr früh aktiv geworden und habe für sogenannte private Netze die Bereiche zwischen 3,7 und 3,8 Gigahertz freigehalten, erklärte Körte. Auch 26 Gigahertz sind gebucht. Es hätten sich nicht alle Staaten für die gleichen Bereiche entschieden, sagte Körte. Mehr noch: Auf der Weltkarte sind jene Länder, die kein Frequenzband exklusiv für den industriellen 5G-Modus definiert haben, sehr deutlich in der Überzahl.

Ebenfalls ein Hemmschuh: Die Standards für industrielle 5G-Netzwerke sind erst im Entstehen. Der „Release 15“ ist zwar seit dem Start des Netzes verfügbar. Jedoch ermöglicht er noch keine hoch zuverlässige Kommunikation mit niedriger Latenz (99,999% Zuverlässigkeit unter 10 Millisekunden), die für diskrete Fertigung entscheidend ist. Nur diese Zuverlässigkeit sorgt beispielsweise dafür, dass es keine Stillstände in Produktionsanlagen gibt. Dieser Standard ist erst im „Release 17“ komplett implementiert, der im dritten Quartal 2022 erwartet wird. Andere Normierungen folgen im „Release 18“. Anwendungsprodukte für diesen Release würden im Jahr 2025 eingeführt, schätzt Siemens (siehe Grafik). Bis zu einer Million Geräte pro Quadratkilometer könnten etwa in der Prozessindustrie miteinander verbunden werden.

Die Anwendungen, die als Erstes von 5G profitieren, sind nach Meinung von Siemens autonome Logistik und mobile Maschinen. Siemens habe im Sommer 2021 einen ersten industriellen 5G-Router (gemäß Release-15-Standard) auf den Markt gebracht, erklärte Rotmensen. Der Konzern habe in seinem Automotive Showroom & Test Center in Nürnberg einen Prototyp der 5G-Infrasruktur installiert, um industrielle Anwendungsfälle in einer realistischen Industrieumgebung zu testen. Auf der Hannover-Messe (25. bis 29. April 2022) installiert Siemens ein privates 5G-Netz mit Fokus auf Industrieanwendungen.

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