Energiebranche

Siemens Energy steht vor einem Milliardenverlust

Siemens Energy steuert wegen der Probleme im Windgeschäft auf einen Jahresverlust von 4,5 Mrd. Euro zu. Erstmals bezifferte der Konzern die Sonderkosten infolge von Qualitätsmängeln und gestiegenen Materialkosten.

Siemens Energy steht vor einem Milliardenverlust

Siemens Energy steht vor einem Milliardenverlust

Windgeschäft führt zu hohen Sonderkosten – Qualitätsmängel und höhere Einkaufspreise – Keine Kapitalerhöhung geplant – Aktienkurs sinkt

Siemens Energy steuert wegen Problemen im Windgeschäft auf einen Jahresverlust von 4,5 Mrd. Euro zu. Der Konzern verbucht Sonderkosten auch infolge von Qualitätsmängeln. Eine Kapitalerhöhung wird ausgeschlossen. Der Aktienkurs sank um 6%.

„Mit dem Windgeschäft von Siemens Gamesa haben wir einen herben Rückschlag erlitten“: So kommentierte Siemens-Energy-Vorstandschef Christian Bruch in einer Telefonpressekonferenz die Milliarden-Sonderkosten im Geschäftsjahr 2022/2023 (30. September). Die Qualitäts- und Performanceprobleme der kürzlich komplett übernommenen Windkraft-Sparte waren im Juni kommuniziert worden. Jedoch fallen die Kosten wesentlich höher aus als ursprünglich erwartet.

Bruch wollte keine Aussagen zur Mittelfristplanung machen. Er verwies hierfür – wie bei fast allen zukunftsbezogenen Fragen in einer Analystenkonferenz – auf den Kapitalmarkttag am 21./22. November. Er erklärte jedoch, die Einheit Siemens Gamesa habe versucht, zu viel zu schnell zu machen. Deren Chef Jochen Eickholt detaillierte, man werde sich auf weniger Regionen und Produktvarianten konzentrieren: „Auch wenn dies bedeutet, dass wir langsamer wachsen.“ Bruch sagte, an erster Stelle stünden künftig Stabilität und anschließend Profitabilität.

Sonderkosten durch Qualitätsmängel

Siemens Energy hatte im Januar angekündigt, dass Qualitätsmängel zu Sonderkosten von 472 Mill. Euro führten. Nun kommen Sonderkosten von 2,2 Mrd. Euro im dritten Quartal hinzu. Statt der im Juni angekündigten „mehr als 1 Mrd. Euro“ für Qualitätsmängel sind es nun 1,6 Mrd. Euro im Geschäft mit landgestützten Windkraftanlagen (onshore). Finanzvorständin Maria Ferraro detaillierte, Onshore-Turbinen im Wert von leicht mehr als 3 Mrd. Euro würden voraussichtlich mit Verlust ausgeliefert.

Zu den Onshore-Belastungen kommen Sonderkosten von 0,6 Mrd. Euro für Windkraftanlagen auf hoher See. Diese eigentlich hochprofitable Offshore-Sparte leidet unter zwei Effekten: 0,4 Mrd. Euro werden für steigende Kosten der zugelieferten Materialien und Komponenten fällig, die in den Verträgen nicht vorausschauend genug kalkuliert wurden. 0,2 Mrd. Euro kostet unter anderem, dass der Hochlauf erweiterter Fertigungsflächen aufwendiger werde als geplant.

Ferraro warnte: „Die Themen, die wir im dritten Quartal identifiziert haben, werden bestimmte folgende operative Effekte in den nächsten Quartalen haben.“ Beispielsweise habe sich die potenzielle Marge des Auftragsbestands verringert. Außerdem werde der langsamere Offshore-Hochlauf zu geringeren Umsätzen als ursprünglich erwartet führen. Für Siemens Gamesa gelte: „Es wird länger dauern, bis wir die Zielmargen erreichen.“

Im vierten Quartal rechnet Ferraro mit weiteren Sonderkosten von 600 Mill. Euro. 300 bis 400 Mill. Euro resultieren aus angesichts der Inflation falsch kalkulierten Einkaufskosten. Zusätzliche operative Folgekosten addierten sich auf 200 bis 300 Mill. Euro, sagte Ferraro. Siemens Energy versteht darunter, dass der Gewinn profitabler Aufträge wegen geringer Produktivität niedriger als gedacht ausfällt.   

Zwei Produktgenerationen

In der Konsequenz wird der Verlust laut Siemens Energy mit 4,5 Mrd. Euro rund viermal so hoch ausfallen wie bisher erwartet. Im vergangenen Geschäftsjahr hatte er −712 Mill. Euro betragen. Zum starken Anstieg trägt auch bei, dass Siemens Energy im dritten Quartal aktive latente Steuern in Höhe von 700 Mill. Euro abgeschrieben hat. Die Ergebnis-Marge vor Sondereffekten werde zwischen −10 und −8 % landen, sagte Ferraro. Bisher war das untere Ende der Spanne von 1 bis 3% anvisiert worden, nach neun Monaten wurden −10,1% gemeldet. Der Umsatz soll auf vergleichbarer Basis in einer Bandbreite zwischen 9 und 11% zulegen. Dies ist weniger als nach der Heraufsetzung auf 10 bis 12% im Mai angekündigt.

Eickholt sagte, die Onshore-Qualitätsprobleme beträfen zwei Produktgenerationen. Die Turbine 4.X werde seit 2019/2020 installiert, 5.X seit weniger als zwölf Monaten. Die Entscheidungen zur Gestaltung der Turbinen seien jeweils rund vier Jahre zuvor gefallen. Es seien 2.100 derartige Turbinen im Einsatz, entsprechend 4% der 59.000 installierten Gamesa-Onshore-Turbinen. Es handle sich vor allem um Probleme an Rotorblättern, Hauptlagern und kleineren Komponenten. Es seien aber nicht alle 4.X- und 5.X-Turbinen betroffen, nur jene mit Komponenten bestimmter Zulieferer. Manche Lieferanten habe man bereits ausgeschlossen. Die Mängel sollten während der normalen Wartungsarbeiten behoben werden.

Eickholt konnte nicht sagen, wie viele Turbinen geschädigt sein werden. Man operiere mit Wahrscheinlichkeiten. Anfangs habe man unnormal erhöhte Ausfallraten bei Windturbinen an Land registriert, ohne dass Kunden Ausfälle gemeldet hätten oder die garantierten Laufzeiten beeinträchtigt seien. Mit einer extern validierten Methode werde der Schaden über die Einsatzzeit einer Turbine von rund 25 Jahren extrapoliert. Alix Partners arbeite an der Bestandsaufnahme mit.

Keine Kapitalerhöhung geplant

Die Probleme seien komplex, sagte Eickholt. Beispielsweise habe man Partikel auf den Rotorblättern entdeckt, über die laminiert worden sei. Man wisse nicht, woher diese Unebenheiten kämen. Einen grundsätzlichen Fehler im Design der Turbinen sieht Eickholt nicht. Zudem gelte, dass man nicht alle ursprünglichen Fehlerursachen kenne: „Noch längst nicht haben alle Root Causes ermittelt werden können.“

Der Kurs der Siemens-Energy-Aktie ging bis zum Schluss des Xetra-Handels um 6,1% auf 14,60 Euro zurück. Im frühen Handel war er noch um 5% gestiegen. Ferraro sagte, eine Kapitalerhöhung sei derzeit nicht notwendig. Siemens Energy verfüge über 4,4 Mrd. Euro in cash, hinzu kämen Kreditlinien von 5,0 Mrd. Euro. Die Nettoverschuldung inklusive Pensionsverbindlichkeiten von 537 Mill. Euro betrage 919 Mill. Euro. Die Finanzvorständin betonte, dass die Nettoverschuldung am Ende des Geschäftsjahres nur geringfügig höher sein werde. Der Mittelabfluss infolge der Qualitätsprobleme sei erst in den nächsten Geschäftsjahren zu erwarten.

Im dritten Quartal meldete Energy bei einem hohen Auftragseingang ( 54%) ein vergleichbares Umsatzplus von 8,0% auf 7,5 Mrd. Euro. Der Verlust stieg auf −2,9 Mrd. Euro, das operative Ergebnis vor Sondereffekten betrug −2,0 Mrd. Euro. Es rührt aus dem Gamesa-Wert von −2,6 Mrd. Euro. Das sonstige Geschäft zeige eine exzellente Leistung, sagte Bruch.

mic München
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