HAUPTVERSAMMLUNG UND QUARTALSBERICHT VON SIEMENS

Siemens im Griff der Aktivisten

Von Michael Flämig, München Börsen-Zeitung, 6.2.2020 Diesmal war alles anders bei der Siemens-Hauptversammlung 2020. Ansonsten gibt es vor dem Podium viel Platz, damit sich die Manager vor Veranstaltungsbeginn mit den Interessierten treffen können....

Siemens im Griff der Aktivisten

Von Michael Flämig, MünchenDiesmal war alles anders bei der Siemens-Hauptversammlung 2020. Ansonsten gibt es vor dem Podium viel Platz, damit sich die Manager vor Veranstaltungsbeginn mit den Interessierten treffen können. Am Mittwoch dagegen wurde es eng zwischen Podium und Zuschauersitzen – Sicherheitsleute hatten das Podium weiträumig abgeriegelt. Es wirkte wie ein Symbol: Ein Konzern fühlt sich im Belagerungszustand.Seitdem Greenpeace-Aktivisten am Vortag die Zentrale des Konzerns in der Münchner Innenstadt gekapert hatten, galt eine neue Sicherheitsstufe für das Aktionärstreffen. Morgens um 6 Uhr rollten Polizei-Kastenwagen im Dutzend vor die Türen der Olympiahalle, vor Beginn der Pressekonferenz um 7.30 Uhr wurde ein Polizeihund schnüffelnd zum Podium geschickt.Letztlich erwies sich dies als überflüssige Vorsichtsmaßnahmen. Die Demonstration im Umfeld der Halle war friedlich, spektakuläre Aktionen blieben aus. Aber dennoch beherrschte das Thema die Veranstaltung mit mehr als 60 Wortmeldungen. Die Regie schob die ersten Redner der Klimaaktivisten in die zweite Fragerunde. Aufsichtsratsvorsitzender Jim Hagemann Snabe beschränkte die Redezeit um 12.45 Uhr auf fünf Minuten, eineinhalb Stunden später gestand er den Aktionären nur noch drei Minuten zu. Dies sei keine Bühne für politische Diskussionen, warb er gegen 16 Uhr für eine Selbstbeschränkung der meist jugendlichen Redner: “Wir versuchen, über Themen aus der Tagesordnung zu diskutieren.” Um 17.15 Uhr schloss er die Rednerliste.Die Klimaaktivisten hielten sich also zwar meist brav an die zeitlichen Vorgaben, blieben aber inhaltlich auf Kurs. Ihr Mantra: Siemens macht einen Fehler, indem der Konzern an einem Zuliefererauftrag für ein Kohleprojekt in Australien festhält. “Wollen Sie, dass man sich auf diese Art an Sie erinnert?”, so die Frage einer Aktivistin an den Vorstandschef Joe Kaeser. Eine Schulstreik-Organisatorin aus Australien bezeichnete das Verhalten als Schlag in das Gesicht der Menschen, die ihre Lebensgrundlagen verloren hätten. Eine Rednerin wollte eine Petition von 328 000 Bürgern an Kaeser überreichen, gab sich aber damit zufrieden, sie Siemens-Mitarbeitern in die Hand zu drücken.Die Erkenntnis von Kaeser: “Bei solchen Themen kann man nicht gewinnen.” Es mute “fast grotesk an”, dass sich die Aktivisten ausgerechnet auf Siemens eingeschossen hätten. “Wir sind uns in der Klima-Diagnose einig”, sagte er. In der Therapie gebe es unterschiedliche Ansätze. Die Forderungen eskalierten.Aus Sicht institutioneller Siemens-Aktionäre schmälert das kommunikative Hickhack rund um das Adani-Projekt die Anerkennung für Kaeser nicht. “Ja, Sie haben gepatzt, und das auch noch unnötig, aber es war kein Genickbruch”, lautete das Urteil von Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Hans-Martin Buhlmann von der Vereinigung Institutioneller Privatanleger schlug in die gleiche Kerbe: “Für mich sind Sie einer der wenigen erfolgreichen Vorstandsvorsitzenden in Deutschland.” Allerdings kritisierte er, wie auch andere Aktionäre, dass Kaeser der Umweltaktivistin Luisa Neubauer einen Platz im Aufsichtsrat von Siemens Energy angeboten hatte. Letztlich entlasteten die Aktionäre Kaeser nur mit 94,3% der Stimmen. Dies ist das schlechteste Ergebnis in seiner gut sechsjährigen Amtszeit.Snabe fand in seiner Rede Formulierungen, die fast nach Abschiedsworten klangen: “Für Ihr vorausschauendes Handeln und Ihre Entschlossenheit möchte ich Ihnen und dem Vorstandsteam im Namen des Aufsichtsrats ganz herzlich danken, Herr Kaeser.” Es bleibe beim Plan, über das Mandat von Kaeser im Sommer 2020 zu entscheiden. Deka-Portfoliomanager Winfried Mathes forderte, Kaeser müsse eine Abkühlungszeit von zwei Jahren einhalten, wenn er in den Aufsichtsrat von Siemens oder Siemens Energy wechsle.——Polizeihund und lange Rednerliste: Siemens mit außergewöhnlicher Hauptversammlung. ——