DAS CFO-INTERVIEW

Siemens rechnet mit Deglobalisierung

Finanzvorstand zu Folgen der Pandemie - Kritik an Bündelung der Bilanzprüfung

Siemens rechnet mit Deglobalisierung

mic München – Siemens rechnet mit einer Deglobalisierung infolge der Corona-Pandemie. “Wirtschaftsräume oder gar Nationen werden sich unterschiedlicher als früher entwickeln”, prognostiziert Finanzvorstand Ralf Thomas im Interview der Börsen-Zeitung. Außerdem hätten sich manche Staatsführer schon zuvor aus anderen Gründen die Stärkung nationaler Wertschöpfungsketten auf die Fahne geschrieben. Auch wenn die Deglobalisierung normativ nicht wünschenswert sei, müsse Siemens die Kunden bei der Fragmentierung bisher gut funktionierender globaler Wertschöpfungsketten unterstützen.Eine wirtschaftliche Erholung in Form eines V nach der Pandemie erwarte niemand mehr, so Thomas. Siemens habe im ablaufenden Quartal ein prozentuales Minus im Volumen kurzzyklischer Geschäfte zwischen 10 und 20 %. Man verzeichne allerdings auch keinen Fall ins Bodenlose.Der Konzern begegnet einer Bündelung der deutschen Bilanzprüfung bei der Finanzaufsicht BaFin mit Skepsis. Mit einem Bundesadler auf dem Briefkopf sehe man mächtiger aus, sagt Thomas: “Es ist aber nicht immer allein die vermeintliche Macht, die zu den richtigen Ergebnissen führt.”Damit spielt der profilierte Bilanzexperte auf Pläne der Bundesregierung an, als Lehre aus dem Wirecard-Skandal die privatrechtlich organisierte Bilanzkontrolle durch die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) zu beenden und eventuell Kompetenzen bei der BaFin zu bündeln. In anderen Jurisdiktionen wie den USA habe man gesehen, dass es auch in eingliedrigen Systemen – dort sei die Börsenaufsicht SEC quasi die Kombination von BaFin und DPR – keine Immunisierung gegen große Bilanzmanipulationen gegeben habe, erklärt Thomas.Für Insider sei es kein bisschen überraschend, dass in der DPR nur eine Person mit der Wirecard-Prüfung beauftragt gewesen sei. Denn zusätzliche Expertise werde fallweise hinzugezogen. Thomas fordert eine breitere Debatte: “Man sollte die relevanten Stakeholder in die Diskussion einbeziehen, bevor man vermeintlich triviale Lösungen als Allheilmittel preist.”Zugleich bezeichnet Thomas den Skandal als Schock: “Wir alle sind erschüttert.” Nun müsse man um die Reputation des Finanzplatzes Deutschland kämpfen. Es seien alle gefragt, niemand dürfe sich schonen.Thomas plädiert für den Einsatz forensischer Methoden auch im Alltag von Unternehmen, um derartige Skandale zu verhindern – sofern tatsächlich kriminelle Machenschaften die Ursache der Wirecard-Schieflage sind. Die interne Revision von Siemens greife schon zu forensischen Mitteln, wenn es geboten erscheine, betont der Finanzvorstand: “Es würde mich überhaupt nicht stören, wenn meine Wirtschaftsprüfer oder die DPR ebenfalls forensisch vorgingen, wenn es denn hilft.”Der Finanzvorstand rechnet nach der geplanten Börsennotierung von Siemens Energy mit starken Veränderungen im Aktionärskreis. Es wäre überraschend, wenn weniger als ein Drittel des Streubesitzes durch den Handelsprozess laufe, sagt Thomas. – Interview Seite 8