Thyssenkrupp wagt Befreiungsschlag

Absichtserklärung zur Stahlfusion mit Tata ist unterzeichnet - Zustimmung des Aufsichtsrats fehlt noch - Aktienkurs springt hoch

Thyssenkrupp wagt Befreiungsschlag

Der Umbau von Thyssenkrupp zum Technologiekonzern kommt voran. Doch für die Stahlfusion mit Tata fehlt noch die Zustimmung des Aufsichtsrats. Konzernchef Heinrich Hiesinger muss den Betriebsrat und die Gewerkschafter der IG Metall mit Zugeständnissen überzeugen. Das wird schwierig.cru Essen – Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger wagt den nächsten Schritt zum Umbau des Konzerns. Nach eineinhalb Jahren dauernden Verhandlungen soll die Stahlsparte in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem Europageschäft des indischen Konkurrenten Tata Steel überführt werden.Eine Absichtserklärung (“Memorandum of Understanding”) zur Gründung des Joint Venture haben die beiden Unternehmen am Mittwoch unterzeichnet. Aus dem Zusammenschluss soll Europas zweitgrößter Stahlhersteller hinter ArcelorMittal mit 48 000 Beschäftigten, 15 Mrd. Euro Umsatz, 34 Standorten und 21 Mill. Tonnen Stahlproduktion sowie 1,5 Mrd. Euro operativem Gewinn entstehen.Beide Seiten sollen zunächst je 50 % der Anteile halten, der Konzernsitz würde in den Niederlanden angesiedelt, “um keinen von beiden als Verlierer erscheinen zu lassen”, wie Hiesinger begründete. Der Marktanteil beim Flachstahl in Europa dürfte bei 25 % liegen, womit das neue Unternehmen auf Augenhöhe mit Marktführer ArcelorMittal käme. Geplant sind jährliche Synergien von 400 Mill. bis 600 Mill. Euro durch Ersparnisse in Verwaltung, Einkauf sowie Forschung und Entwicklung. Beraten wird Thyssenkrupp von der Investmentbank Rothschild. “Vorwärtsstrategie””Das ist eine Vorwärtsstrategie. Wir haben alle anderen Optionen geprüft, einen Börsengang, eine Fusion in Deutschland oder einen Verkauf”, sagte Hiesinger in Essen. Jedoch hätte keine davon das eigentliche strategische Problem gelöst: die Überkapazitäten der europäischen Branche. “Das hätte zu weiteren Unsicherheiten geführt.” Die notwendige Klarheit hätte gefehlt. Man habe sich nicht in eine Abwärtsspirale ständiger Restrukturierungen begeben wollen. Im Zuge der Fusion sollen 2 000 der 27 000 Stahlarbeitsplätze bei Thyssenkrupp abgebaut werden. Bei Tata Steel in Großbritannien und Holland fallen ebenfalls 2 000 von 21 000 Stellen weg. Große BilanzvorteileFür den Deal fehlt noch die Zustimmung des Aufsichtsrats, in dem die Arbeitnehmer in die Opposition gehen. Bei der Sitzung des Kontrollgremiums am Samstag wird nur informiert, nicht abgestimmt. Das Votum ist voraussichtlich für die nächste reguläre Sitzung am 22. November geplant. Bis dahin müssen die Arbeitnehmer zur Zustimmung bewegt werden. Gleichzeitig beginnt die wechselseitige Prüfung der Bücher (Due Diligence). Die Unterzeichnung eines verbindlichen Fusionsvertrags ist dabei für Anfang 2018 geplant. Dann beginnt die Prüfung durch die Kartellbehörden. Mit dem rechtlichen Wirksamwerden (Closing) des Vertrags wird Ende 2018 gerechnet.Thyssenkrupp konzentriert sich mit der Trennung vom Stahl auf das lukrativere und weniger zyklische Geschäft mit Aufzügen, Automobilkomponenten, Großanlagen und Kriegsschiffen. Für den chronisch eigenkapitalschwachen Konzern bietet der geplante Deal zudem gewichtige bilanzielle Vorteile: Nach Angaben von Finanzchef Guido Kerkhoff werden in das Joint Venture rund 4 Mrd. Euro an Pensionslasten und Schulden ausgegliedert. 10 Mrd. Euro wertDas neu entstehende Stahl-Unternehmen wird dem Vernehmen nach einen Wert von rund 10 Mrd. Euro inklusive Schulden haben und soll “Thyssenkrupp Tata Steel” heißen. Am Kapitalmarkt wurde der geplante Deal euphorisch begrüßt. Der Kurs der Thyssenkrupp-Aktie sprang am Mittwoch um 3,6 % auf 26,15 Euro. Damit hat sich der Börsenwert des Konzerns seit Anfang 2016 verdoppelt auf knapp 15 Mrd. Euro.”Aus Investorensicht ist die Stahlfusion mit Tata ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum Technologiekonzern. Eine zügige Umsetzung muss jetzt oberste Priorität haben, damit ThyssenKrupp endlich wieder auf ein solideres Fundament gestellt wird”, sagte Portfoliomanager Ingo Speich von der Fondsgesellschaft Union Investment. Stiftung begrüßt DealAuch der größte Thyssenkrupp-Aktionär, die Krupp-Stiftung mit ihrem 23-Prozent-Anteil äußerte sich zustimmend: Die Stiftung “begrüße” die Stahlfusion, “die den langfristigen Erhalt und die eigenverantwortliche Fortführung des Unternehmens zum Ziel” habe. Vorstand und Aufsichtsrat würden die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens “verantwortungsvoll” vorantreiben und “sorgfältig” begleiten, ließ Stiftungschefin Ursula Gather mitteilen. Die geplante Fusion hat aber noch einen gewichtigen Gegner: Der Betriebsrat und die Gewerkschafter der IG Metall, die die Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder stellen, lehnen den Deal in der bisher geplanten Form ab. Gewerkschaft lehnt ab”An unserer Position hat sich nichts geändert. Wir lehnen diesen Zusammenschluss weiterhin ab. Arbeitsplätze und Standorte müssen gesichert sein, es braucht eine ausreichende und nachhaltige Finanzierung und die Montanmitbestimmung muss erhalten bleiben. Dies sehen wir nicht. Darum fordern wir, dass endlich Transparenz hergestellt wird und der Vorstand alle Fakten auf den Tisch legt”, forderte der IG-Metall-Bezirksleiter von Nordrhein-Westfalen, Knut Giesler.Damit steht Konzernchef Hiesinger vor hohen Hürden beim Konzernumbau: Am morgigen Freitag werden in Bochum 10 000 Arbeiter gegen die geplante Stahlfusion protestieren. In der Aufsichtsratssitzung am Samstag – einen Tag vor der Bundestagswahl – und in den kommenden Wochen werden die Arbeitnehmer wie angekündigt auf feste Zusagen pochen: Kernthema in den Verhandlungen wird nach Hiesingers eigener Ankündigung sein, wie lange Thyssenkrupp an dem geplanten Anteil von 50 % festhält. Denn nur so lange ist die Mitbestimmung nach Betriebsverfassungsgesetz gewährleistet. Außerdem haben die Stahlarbeiter bereits tarifvertraglich abgesicherte Zusagen für die Beschäftigung und die Standorte bis 2021. Sie werden einen Aufschlag fordern – sowie feste Investitionszusagen. Cevian macht DruckMacht Hiesinger zu große Zugeständnisse, dann wird der zweitgrößte Thyssenkrupp-Aktionär, der schwedische Finanzinvestor Cevian mit 15 bis 20 % der Anteile, querschießen. Am Mittwoch gab es keinen offiziellen Kommentar von Cevian-Manager Jens Tischendorf zur Stahlfusion.