Tierarzt-Startups fordern etablierte Ketten heraus
Tierarzt-Startups fordern etablierte Ketten heraus
Tierarzt-Startups fordern etablierte Ketten heraus
Sie heißen Filu und Rex, Bond Vet und Modern Animal, Creature Comforts und Pickles – und sie alle wollen dasselbe: dem Wandel in der Tiermedizin mit modernen Praxiskonzepten begegnen. Statt auf Übernahmen bestehender Praxen setzen Veterinär-Startups dabei zunehmend auf den Aufbau neuer Strukturen und ersparen sich so einigen Stress.
Von Karolin Rothbart, Frankfurt
Aus den USA schwappt gerade ein Trend nach Deutschland, der frischen Wind in die Welt der Tierärzte bringen soll. Junge Ketten wie Filu aus München und Rex aus Berlin wollen mit modernen Praxen, digitalen Services und besseren Arbeitsbedingungen für Mitarbeitende punkten und sich so in einer Branche behaupten, die eigentlich wächst und trotzdem vor Herausforderungen steht.
Da ist unter anderem der stark gestiegene Frauenanteil unter Veterinären. Von den insgesamt 23.123 in Deutschland praktizierenden Tierärzten stellten im Jahr 2023 Frauen mit einem Anteil von 70% klar die Mehrheit, wie aus dem jüngsten „Tierärzte-Atlas“ hervorgeht, einer von mehreren Berufsverbänden erstellten Branchenübersicht. Unter den Studierenden war der Frauenanteil mit 87% in dem Jahr noch viel höher. In Ländern wie den USA und Großbritannien ist die Situation ähnlich.
Entsprechend groß ist der Bedarf an flexiblen Arbeitszeitmodellen, wobei Angestelltenverhältnisse der Selbstständigkeit oft vorgezogen werden. Das macht die Nachfolgesuche für Praxisinhaber schwierig. Und es ist einer von mehreren Gründen für die zunehmende Verdichtung der hiesigen Praxenlandschaft zu größeren Ketten. Denn neben der Schließung bleibt den Inhabern oft nur der Verkauf an einen Investor. Bei den drei größten Betreibern von deutschen Tierarztpraxen handelt es sich derzeit um die Tierarzt Plus GmbH mit knapp 100 Standorten, IVC Evidensia mit gut 80 Standorten (in der DACH-Region) sowie um Anicura mit 78 Standorten. Hinter den Platzhirschen stehen Finanzinvestoren wie EQT, Silver Lake, und Mubadala Capital, aber auch die Lebensmittelkonzerne Mars (bei Anicura) und Nestlé (bei IVC Evidensia). Der Anteil deutscher Tierarztpraxen und -kliniken, die zu größeren Ketten gehören, ist dabei im Vergleich zu Ländern wie Großbritannien mit 5% noch recht überschaubar.
„Der Job muss fairer werden“
Filu und Rex wollen den veränderten Bedürfnissen unter den Berufsträgern hierzulande dennoch auf andere Weise begegnen. Statt auf reine Zukäufe bestehender Praxen setzen die beiden Startups lieber auf die Eröffnung komplett neuer Praxen und legen den Fokus zum einen auf das „Kundenerlebnis“ – etwa mit moderner Einrichtung, Preistransparenz und digitalen Angeboten wie Telemedizin und Terminbuchung per App.
Zum anderen stehen aber auch die Mitarbeitenden im Mittelpunkt. Dem Filu-Unternehmensmotto „Happy Vets, happy pets“ soll etwa mit Gehältern über dem Branchendurchschnitt, Bonussystemen für Fort- und Weiterbildung, einer ordentlichen Feedbackkultur, mehr Mitsprache sowie mit individuellen Lösungen für Teilzeitmodelle Rechnung getragen werden.
„Der Job muss wieder fairer und attraktiver werden“, fasst es Mitgründerin und Tierärztin Anna Magdalena Naderer zusammen, die das Startup 2022 mit Justus Buchen (COO) und Christian Uwe Köhler (CEO) aus der Taufe gehoben hat. Aus Sicht der Unternehmerin könne es beispielsweise nicht sein, dass man als Tierarzt „zahlreiche Notdienste übernehmen muss, die man am Ende oft gar nicht vergütet bekommt oder wenn, dann nur am untersten Limit“. Die heutige Generation junger Tierärzte lasse sich diesbezüglich ohnehin nicht mehr alles gefallen: „Wir sind nicht mehr die Babyboomer, die 48-Stunden-Dienste schieben und sich dabei mit extrem niedrigen Gehältern abfinden. Die jungen Leute ziehen da heute viel mehr ihre Grenzen, was ich im Übrigen gut finde“, so Naderer.
Wir sind nicht mehr die Babyboomer, die 48-Stunden-Dienste schieben und sich dabei mit extrem niedrigen Gehältern abfinden.
Anna Magdalena Naderer, Filu
Mittlerweile betreibt Filu in Deutschland sieben Praxen, die Neueste wurde gerade in Berlin Charlottenburg eröffnet. Der wenige Monate ältere Konkurrent Rex kommt auf neun Praxen. Beide Startups konzentrieren sich bei ihrer Expansion vor allem auf die Großstädte, darunter Frankfurt am Main, München, Hamburg und Köln. Zu den ersten Geldgebern von Filu zählen unter anderem die Gründer von Bond Vet, einem 2019 gegründeten Tierarzt-Startup mit Sitz in New York, das mittlerweile mehr als 50 Praxen betreibt und bei Tierhaltern mit einem ähnlichen Leistungsangebot wie Filu und Rex wirbt.
Ein weiterer US-Player auf dem Gebiet der innovativen Tierarztketten trägt den Namen Modern Animal. Das Startup wurde ebenfalls 2019 in Kalifornien gegründet, kommt derzeit auf knapp 30 Kliniken und hat erst vor wenigen Tagen 46 Mill. Dollar von Investoren eingesammelt. In Großbritannien konkurrieren zudem die beiden Veterinär-Startups Creature Comforts und Pickles um den Markt für innovative Tierarzt-Praxen. Teilweise bieten die Firmen den Tierhaltern ihre Dienstleistungen auch im Abo-Modell. So erhalten US-Kunden bei Modern Animal für knapp 200 Dollar pro Jahr unbegrenzten Zugang zum telemedizinischen Angebot und können die Praxen so oft aufsuchen, wie sie wollen.
Einheitlichkeit statt IT-Zoo
Die Startups setzen bei ihrer Expansion vornehmlich auf die Eröffnung neuer Praxen. Naderer sieht darin einen Vorteil gegenüber klassischen Ketten: „Durch die Übernahme von etablierten Praxen kauft man ja auch meist die dortige Technik mit, zum Beispiel das Praxismanagementsystem“, sagt sie. „Am Ende hat man zehn oder hundert Praxen, mit zehn oder hundert verschiedenen IT-Systemen, die man gar nicht miteinander integrieren kann.“ Bei Filu gebe es dagegen „von Anfang an eine gewisse Einheitlichkeit in der IT.“
Es ist aber nicht nur die IT, die die Übernahme von Praxen verkomplizieren kann. Auch die Firmenkultur spiele eine Rolle, sagt Heiko Färber, Geschäftsführer beim Bundesverband Praktizierender Tierärzte e.V. „Wenn die nicht ernst genommen wird, kann das zu Problemen führen.“ So bestehe bei Übernahmen durch Finanzinvestoren etwa das Risiko, dass Mitarbeiter „davonlaufen“, wenn die früheren Inhaber irgendwann nicht mehr an Bord sind. „Die Belegschaft hängt oft sehr stark an ihren Leuten“, sagt Färber. „Diese ganzen Probleme haben Neugründungen nicht.“
Bessere Ausbildung gefordert
Dafür müssen sich die neuen Praxen aber erstmal wirtschaftlich behaupten. Bei Filu dauere es etwa zwei Jahre, bis eine Praxis profitabel und ein Kundenstamm aufgebaut ist, erzählt Naderer. Sie selbst hat ihr dafür notwendiges betriebswirtschaftliches Know-how nicht im Veterinärstudium, sondern erst Jahre später über ein MBA-Studium erlangt. „Bis dahin hatte ich mich nicht getraut, eine eigene Praxis zu eröffnen und hatte es eigentlich auch abgehakt, obwohl das anfangs immer mein Traum war“, erzählt sie. „Ich glaube, so geht es 99% aller Tierärzte.“

Als Geschäftsführer vom Tierärzte-Verband treibt Heiko Färber dieses Problem besonders um. Trotz des an sich gut laufenden Marktes gebe es unter angehenden Tierärzten eine große Risikoaversion, „weshalb die mit einer Praxis aufkommenden Investitionen oft gescheut werden“, sagt er. Dabei sei das Risiko bei guter Planung „völlig kalkulierbar“.
Es mangele aber teils noch am Wissen. Färber führt das auch auf die Ausbildung zurück: „In Deutschland wird Veterinärmedizin immer noch im Staatsexamen studiert“, sagt er. „Das ist ein extrem verschultes und straff durchorganisiertes Programm, bei dem kein wirklicher Wert auf andere Themen wie Betriebswirtschaft oder Kommunikation gelegt wird.“
Ausbildung im EU-Ausland progressiver
In vielen anderen europäischen Ländern werde die Ausbildung schon progressiver angegangen. „Es gibt ja eine EU-Verordnung, in der Mindestkriterien für die veterinärmedizinische Ausbildung festgelegt werden", erklärt Färber. „Über die nationale Umsetzung entscheiden in vielen anderen Ländern dann die Universitäten in Eigenverantwortung, wie die Ausbildung am besten gewährleistet werden kann. In Deutschland hingegen entscheidet das der Staat.“
Auch Naderer hält die betriebswirtschaftliche Ausbildung unter Veterinären in Deutschland für unzureichend. „Man wird hier wirklich nur medizinisch ausgebildet und dann vielleicht noch in rechtlichen Fragen rund um tiermedizinische Aspekte, Lebensmittel und weitere Fächer, die wenig mit der kurativen Praxisführung zu tun haben“, sagt sie. „Das Studium ist kaum praxisbezogen, sondern sehr theoretisch.“
Der Tierärzte-Verband erarbeitet deswegen gerade mit Universitäten und Ministerien eine neue Approbationsverordnung. Themen wie Ökonomie, Kommunikation und digitale Skills sollen darin stärker berücksichtigt werden. „Immerhin rund 90 Stunden sollen dafür ins im Studium kommen“, sagt Färber.