Unter Zugzwang
Der Zusammenschluss des Bahngeschäfts von Siemens und Alstom wäre mehr als ein Unternehmensprojekt. Schon bevor Aufsichts- und Verwaltungsrat der beiden Konzerne über eine Fusion diskutierten, hatten französische Politiker ihrer Sorge Luft verschafft, der TGV könnte verscherbelt werden. Populisten befürchten wegen der Allianz mit Siemens sogar den Niedergang der gesamten Industrie der Grande Nation.Das Beschwören von Nationalstolz und Tradition erinnert an die Emotionen, die mitschwingen, wenn es um Airbus geht. Zwar ist der europäische Flugzeughersteller mit seinem Rüstungsgeschäft auf der politischen Bühne ein ganz anderes Kaliber. Aber auch ein Hochgeschwindigkeitszug dient einem Staat als Aushängeschild für seine Leistungsfähigkeit und Wirtschaftskraft.Arbeitsplätze in solchen Vorzeigeunternehmen hütet die Politik sorgsam. Im Fall von Alstom wäre das erst recht so, wenn der Staat bis Mitte Oktober sein Zugriffsrecht auf ein Fünftel der Konzernanteile nutzt. Ein Zielkonflikt wäre programmiert: Angesichts der Überkapazitäten und des Preisdrucks in der Bahntechnik ist kaum vorstellbar, dass alle Arbeitsplätze auf Dauer gesichert werden können. Zu befürchten wäre dann ein transnationales Gezerre um einen Stellenabbau, der nicht nur aus betriebswirtschaftlicher Sicht entschieden würde.Unklar ist, ob und wieweit Produktivität und Effizienz von Alstom den Werten von Siemens hinterherhinken. Die Marge der Franzosen liegt deutlich unter der des bisherigen Konkurrenten. Allerdings bietet Siemens mehr Signaltechnik und Bahnautomatisierung an, die höhere Umsatzrenditen erzielen.Noch vor drei Jahren scheute die Politik in Paris eine Allianz von Alstom und Siemens. Nun überwiegt die Sorge, als Einzelkämpfer im Markt von einem alternativen Bündnis aus Siemens und Bombardier sowie vom chinesischen Branchengiganten CRRC abgehängt zu werden.Die Chinesen profitieren nicht nur von ihrer schieren Größe, sondern auch von dem günstigen Zugang zu Kapital, um ganze Projekte finanzieren zu können. Mit diesem Vorteil gewann CRRC zum Beispiel Aufträge in Städten der USA.Übermächtig ist der Konkurrent außerhalb seines Heimatmarkts noch nicht: Weniger als ein Zehntel des Geschäfts wurde dort 2016 gemacht. Genehmigte die EU-Kommission die deutsch-französische Allianz, müssten sich Siemens und Alstom dennoch sputen, um ihre Kräfte für ein wirklich stärkeres Gegengewicht zu bündeln.