Unternehmen müssen neue IPO-Strategien finden
Gastbeitrag
Unternehmen müssen neue IPO-Strategien finden
Öffentliche Märkte sind lange Zeit das natürliche Umfeld für Unternehmen gewesen, die sich vom Start-up zur etablierten Wachstumsfirma entwickelt haben. Doch in den vergangenen Jahren hat sich ein besorgniserregendes Muster gezeigt. Vielversprechende Unternehmen ziehen sich von Börsengängen zurück, Markteinführungen verlaufen oft enttäuschend, und eine übermäßige Abhängigkeit von privatem Kapital hat sich in das System eingeschlichen. Die Gründe dafür sind vielfältig, doch im Kern liegt ein Fehler im traditionellen Modell des Börsengangs. Wie die Lage des Gesamtmarkts auch ausfällt, müssen Aktien verkauft werden, noch bevor die Eröffnungsglocke erklingt.
Flexibilität entscheidet über Erfolg
Ein neuer Ansatz ist nötig – ein Ansatz, der dieses Modell grundlegend überdenkt. Im Kern geht es darum, Unternehmen zu ermöglichen, sich zuerst listen zu lassen und die Aktien später zu verkaufen – zu ihren eigenen Bedingungen und zum richtigen Zeitpunkt. Diese Veränderung mag subtil erscheinen, könnte jedoch transformative Wirkung haben: Sie gibt Unternehmen die Möglichkeit, den öffentlichen Markt zu betreten, ohne zu einem Aktienverkauf gezwungen zu sein, wenn die Marktbedingungen unsicher oder ungünstig sind. In der heutigen unvorhersehbaren Marktlage könnte diese Flexibilität den Unterschied zwischen einem erfolgreichen und einem gescheiterten Börsengang ausmachen.
Für aufstrebende Unternehmen bedeutet dieses Modell außerdem Raum zum Wachsen, zum Erreichen von Meilensteinen und zum Aufbau solider Geschäftsgrundlagen. Es verschafft ihnen auch Zeit, für Marktteilnehmer vertrauter zu werden – und eine Bewertung zu erzielen, die ihrem wahren Potenzial entspricht. Dadurch können sie dem Druck entgehen, ihre Aktien zu diskontieren, nur um Mindestanforderungen an die Ausgabe zu erfüllen oder kurzfristige Investorenwünsche zu bedienen.
Private Märkte mit Beschränkungen
Im krassen Gegensatz dazu stehen private Märkte, die zwar Flexibilität bieten, aber inhärente Limitierungen aufweisen. Sie beschränken die Teilnahme auf einen kleinen Kreis institutioneller oder akkreditierter Investoren, häufig hinter verschlossenen Türen und mit uneinheitlichen Standards bei Governance und Transparenz. Private Märkte werden zunehmend als Alternative zum öffentlichen Markt betrachtet – doch sie sind kein gleichwertiger Ersatz. Öffentliche Märkte bieten breiteren Zugang, regulatorische Aufsicht und langfristige Glaubwürdigkeit. Allerdings müssen auch sie sich weiterentwickeln, um den Bedürfnissen der Emittenten gerecht zu werden, für die diese Merkmale nicht mehr so attraktiv erscheinen wie einst.
Ein neues Modell wurde in Spanien eingeführt: Es ermöglicht Unternehmen, sich listen zu lassen, ohne sofort Aktien verkaufen zu müssen – und schließt damit die Lücke zwischen privaten und öffentlichen Märkten. Der Anspruch an die Transparenz bleibt bestehen: Unternehmen müssen weiterhin alle Offenlegungsanforderungen durch einen traditionellen Prospekt erfüllen. Doch der Zwang, beim Börsengang sofort Aktien zu verkaufen, entfällt.
Dieses Modell passt zudem gut zu aktuellen regulatorischen Entwicklungen, etwa dem reformierten Listing Act der Europäischen Union (EU), der die Mindestverteilungsanforderung auf 10% senkt und damit diesen graduellen Ansatz weiter erleichtert.
Aufseher müssen nicht warten
Die Europäische Kommission treibt Initiativen im Rahmen der Kapitalmarktunion bereits zügig voran, doch nationale Aufsichtsbehörden müssen nicht auf Brüssel warten. In Spanien hat die Marktaufsicht CNMV in Zusammenarbeit mit der spanischen Börse und zentralen Marktteilnehmern bereits begonnen, diese Herausforderungen anzugehen und einen marktgerechten Rahmen zu schaffen.
Kritiker könnten argumentieren, dass ein verzögerter Aktienverkauf zu geringer Liquidität oder schwachen Marktsignalen führen kann, sobald der Handel tatsächlich beginnt. Doch dieses Modell zielt nicht darauf ab, den Markt zu vermeiden, sondern sich richtig auf ihn vorzubereiten. Unternehmen können sich Zeit nehmen, Investoren gezielt anzusprechen und eine stabile Aktionärsbasis aufzubauen. Dies wird zu erfolgreicheren Emissionen und besserer langfristiger Performance führen.
Keine Kompromisse bei Transparenz oder Anlegerschutz
Die Nachfrage nach einem direkten, bedarfsgerechten Zugang zu öffentlichem Kapital wächst. Doch dieser Zugang muss zu den Bedingungen der Unternehmen erfolgen – nicht abhängig von der Laune des Marktes. Es geht darum, einen flexibleren, gründerfreundlichen Weg zu schaffen, der keine Kompromisse bei Transparenz oder Anlegerschutz eingeht. Es geht darum, denjenigen die Zeit zurückzugeben, die sie am meisten brauchen. Letztlich ist der größte Vorteil an den Kapitalmärkten nicht nur Kapital – sondern die Freiheit, selbst zu entscheiden, wann und wie man es einsetzt.