NOTIERT IN MAILAND

Urbaner Umbruch

Norditaliens Städte müssen umdenken. Durch die Krise haben Mailand, Turin und Genua ihre Attraktivität als Industriestandort verloren. Wachsende Stadtflucht, sinkende Investitionen und weniger Touristen prägen den Trend. Die Autometropole Turin...

Urbaner Umbruch

Norditaliens Städte müssen umdenken. Durch die Krise haben Mailand, Turin und Genua ihre Attraktivität als Industriestandort verloren. Wachsende Stadtflucht, sinkende Investitionen und weniger Touristen prägen den Trend. Die Autometropole Turin leidet unter der Autokrise rund um Fiat, in Genua ist das Auftragsportefeuille der umliegenden Werften auf ein Minimum gesunken. Mailand hat als Modemetropole zwar den Schein wahren können, verlor aber an Substanz. In der einstigen moralischen Hauptstadt, der Finanzmetropole des Landes, findet derzeit ein Ausverkauf von Unternehmen statt. Der Fußballverein Inter ging kürzlich an einen indonesischen Finanzier. Das Mode-Maison Versace sucht ebenfalls einen Partner. Das einstige Aushängeschild Mediobanca hat im vergangenen Geschäftsjahr rote Zahlen geschrieben und stößt seine Industriebeteiligungen ab. Das Kultgebäude in Via Solferino, jahrhundertelang Standort der Zeitung “Corriere della Sera”, wurde an einen US-Finanzinvestor abgegeben. Die aufstrebenden Kleinunternehmer heißen nicht mehr Brambilla oder Rossi, sondern Mohamed oder Khalid. Die Hoffnungen Mailands konzentrieren sich nun auf die Weltausstellung, die Expo 2015. Sie soll zumindest das Image der Stadt aufpolieren und neue Infrastrukturen stimulieren.Turin versucht der Krise und zweistelligen Arbeitslosenraten die Stirn zu bieten. Ab 2015 soll im derzeit stillgelegten Traditionswerk Mirafiori der neue Auto-Luxuspool in Betrieb gehen. Mit 1 Mrd. Euro wird Mirafiori in ein supermodernes Autowerk umgewandelt, wo die neuen Maserati-Geländewagen vom Band rollen werden. Nahe Turin, im neuen Werk von Grugliasco, produziert Maserati bereits das Super-Luxusmodell Ghibli. Statt Quantität Qualität heißt das Motto von Bürgermeister Piero Fassino. Übrigens profiliert sich die Stadt mit ihrer jährlich im Herbst stattfindenden Slow-Food-Messe und neuen gastronomischen Initiativen, wie etwa der Erfolgssupermarkt- und Restaurantkette Eataly, zu Italiens Feinschmecker-Zentrum par excellence. *In Venedig hat sich die Anzahl der Bewohner innerhalb weniger Jahre auf 40 000 mehr als halbiert. Kein Wunder. Der Massentourismus macht den Venezianern das Leben schwer. Denn die Touristen auf den Kreuzschiff-Giganten, bis zu 2 000 Personen pro Schiff, überfluten täglich die Stadt. Bis zu zwölf Riesenluxuskreuzer legten am vergangenen Wochenende in San Marco und Umgebung an. Restaurant- und Café-Besitzer jubeln, Umweltfreunde protestieren, die Venezianer fliehen. Nun soll ein neuer Terminal in Porto Marghera errichtet werden, so dass ab 2014 nur mehr ein Drittel der Kreuzer im Zentrum der Lagunenstadt anlegt.Kulturmanager wie der Direktor des Opernhauses La Fenice, Cristiano Chiarot, versuchen den “Geist der Stadt” wieder aufleben zu lassen. So hat sich Venedig für die “Kulturhauptstadt Europas 2019” beworben. Streit gibt es auch beim Flughafen von Venedig, Marco Polo. Der Versicherer Generali will seine Beteiligung abgeben. Dafür interessieren sich ausländische Betreiber, auch Fraport. Die Venezianer allerdings wollen beim Airport das Sagen behalten. Mehr Glück hatten die Türken. Die Gruppe Permak erhielt den Zuschlag für ein Projekt auf der Insel San Clemento nahe Venedig – sie wollen 80 Mill. Euro in den Aus- und Neubau eines Tourismus-Komplexes investieren. *Auch Genua leidet unter der Krise. Die hohen Gebühren für Sportboothafen und die verschärften Steuerkontrollen für Jachtbesitzer werden zum Alptraum. Die jährliche Sportbootmesse “Salone Nautico” hat die Messedauer erstmals auf fünf Tage halbiert, der Umsatz der Werften sank seit 2007 von 6,2 auf 2,5 Mrd. Euro. Selbst die betuchten Besitzer von Sportjachten müssen umdenken. Ihr Luxusboot soll nicht mehr monatelang ungenutzt im teuren Hafen liegen. So hat sich der Chef des neuen Sportboothafens Marina Genova Aeroporto, Giuseppe Pappalardo, was Neues einfallen lassen. Er punktet derzeit mit der Formel Boat & Breakfast, der wahren Touristenattraktion der Frühjahr-Sommer-Saison 2013.