Handelskonflikt

Verzweifelter Ruf nach mehr Öffnung

Europäische Unternehmen mit China-Präsenz äußern wachsende Sorge über einen politisch überfrachteten Wirtschaftskurs im Reich der Mitte, der auf Autarkiebestrebungen und technologische Entkoppelung hinausläuft. Das stellt Konzerne aus Europa vor große regulatorische Hindernisse.

Verzweifelter Ruf nach mehr Öffnung

nh Schanghai

Wachsende Sorgen über diskriminierende industriepolitische Maßnahmen der chinesischen Regierung trüben aus Sicht der europäischen Unternehmen mit China-Präsenz die Perspektiven für ihre Geschäfte vor Ort, geht aus einem neuen Positionspapier der EU-Handelskammer in China hervor. Einerseits profitieren die in China investierten ausländischen Firmen insbesondere seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie von dem im Vergleich zu Industrieländern deutlich überlegenen Wachstumsumfeld im Reich der Mitte, das Umsätze und Gewinne sprudeln lässt. Andererseits jedoch fühlen sie sich von der Regierung immer stärker gegängelt, ihre Geschäftsfunktionen zu „lokalisieren“ und von ihrer globalen Betriebsorganisation zu isolieren, betont die Interessenvertretung europäischer Unternehmen in China in ihrem am Donnerstag vorgestellten jährlichen Positionspapier.

Technologiestreit

Besondere Skepsis gilt dem von Staatspräsident Xi Jinping ausgerufenen wirtschaftspolitischen Kurs, der den Fokus auf Autarkiestreben und Betonung der nationalen Sicherheit legt. Unter dem Eindruck des heftigen handels- und industriepolitischen Streits zwischen China und den USA hat sich Peking einer nationalistisch geprägten Agenda verschrieben, die nicht zuletzt auch darauf abzielt, die Rolle von ausländischen Unternehmen im Hochtechnologiesektor zu reduzieren und auf „Buy Chinese“ zu setzen. Gleichzeitig sehen sich die Auslandsfirmen mit teilweise drastischen Auflagen konfrontiert, um unter dem Siegel der Cybersicherheit Daten offenzulegen und ihre Datenspeicherung zu lokalisieren.

Politische Kontrollwut

Wie der Präsident der EU-Handelskammer in China, Jörg Wuttke, am Donnerstag bei der Vorstellung des Positionspapiers in Peking erklärte, gibt es besorgniserregende Anzeichen dafür, dass sich China zunehmend nach innen wende. Diese Tendenz lasse erhebliche Zweifel am künftigen Wachstumspfad Chinas aufkommen. Aus Sicht der EU-Kammer versucht die Pekinger Führung derzeit die Kontrolle über den Privatsektor zu verschärfen, um zweifelhafte politische Ziele zu verfolgen.

Besondere Sorge gilt der in den letzten Monaten entfalteten Kampagne zur Regulierung von Chinas Internet- und Technologieunternehmen, den Einschnitten im Immobiliensektor und der ausufernden politischen und ideologischen Kontrolle über die Unterhaltungs- und Bildungsbranche, die Reminiszenzen an die Schreckensperiode der sogenannten Kulturrevolution in der Endphase des Mao-Regimes weckt. Gleichzeitig sieht man bei der EU-Kammer die Tendenz, ausländische Unternehmen immer mehr von bestimmten Marktsegmenten und strategischen Sektoren fernzuhalten.

Dynamikverlust

Wuttke zufolge ist die politische und nationalstrategische Kontrolloffensive in der Privatwirtschaft nicht nur eine Gefahrenquelle für die Geschäftsperspektiven der Auslandsunternehmen, sondern auch ein erheblicher Risikofaktor für die langfristige Wachstumsabsicherung der chinesischen Volkswirtschaft. Chinas Wachstum sei in den letzten Jahren bereits hinter dem zu erwartenden Trend zurückgeblieben. Wenn Peking sich nun dafür entscheide, auf weitere Marktreformen zu verzichten, die Wirtschaftspolitik der nationalen Sicherheit unterordne und einen isolierten Ansatz verfolge, werde es mit Chinas Wachstumsdynamik weiter bergab gehen.

In einer Stellungnahme des Bundesverbandes der Deutschen Indus­trie (BDI) zum neuen Positionspapier heißt es, dass die europäischen Unternehmen ihre wirtschaftlichen Chancen in China nur dann realisieren können werden, wenn sie die wachsenden politischen Risiken genau im Blick haben. Ihr Geschäftserfolg hänge immer mehr davon ab, wie gut sie sich in Pekings nationale Agenda einfügten. „Wer nachhaltig in China erfolgreich sein will, muss jetzt sorgfältig prüfen, wie anfällig die eigenen Technologien und Lieferketten sind und welche Kosten durch Lokalisierungs- und Entkoppelungsanforderungen entstehen.“

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