SERIE: AUTOKONZERNE AUF DEM PRÜFSTAND (3) - IAA

VW muss Vertrauensverlust wettmachen

Defensiver Umgang bei der Aufklärung der Dieselabgasaffäre verärgert Investoren - Finanzielle Risiken belasten Wandel des Konzerns

VW muss Vertrauensverlust wettmachen

Die Dieselabgasaffäre scheint Volkswagen finanziell verkraften zu können. Beim Fahrzeugabsatz gab es in den vergangenen 24 Monaten keinen Einbruch. Doch mit dem defensiven Vorgehen bei der Aufklärung der größten Unternehmenskrise tun sich die Wolfsburger schwer, den Vertrauensverlust bei Investoren und Kunden wettzumachen.Von Carsten Steevens, HamburgEnde Januar dieses Jahres schien es, als könne Volkswagen den Kurssturz nach Bekanntwerden der Dieselabgasaffäre am 18. September 2015 hinter sich lassen. Bis auf weniger als 4 % reduzierten sich die Einbußen für Aktionäre nach einem Vergleich des Mehrmarkenkonzerns mit der US-Regierung, mit dem neben einem Schuldanerkenntnis eine Strafe sowie die Bestellung eines unabhängigen Aufsehers für die nächsten drei Jahre verbunden wurde. Aktienkurs stagniertDie Ungewissheit über das Ausmaß der finanziellen Belastungen vor allem in den USA, wo der Betrug durch eine illegale Software zur Abgasreinigung bei weltweit rund 11 Millionen Dieselfahrzeugen aufflog, wich als Folge der auch 2016 bereits erreichten, milliardenteuren Vereinbarungen in Nordamerika mehr und mehr der Hoffnung, der Konzern könne sich wieder stärker auf das Kerngeschäft und den Umbruch in Richtung Elektromobilität und autonomes Fahrens konzentrieren. Doch kurz vor der ersten Internationalen Automobilausstellung (IAA) seit Beginn der Krise und dem Wechsel an der Vorstands- und Aufsichtsratsspitze von Volkswagen vor knapp zwei Jahren liegt die Vorzugsaktie mit rund 126 Euro wieder mehr als ein Fünftel unter dem letzten Schlusskurs vor Beginn der Krise. Im bisherigen Jahresverlauf hat das Papier des aktuell mit 64 Mrd. Euro bewerteten Konzerns 5 % an Wert verloren.Dabei legen Umsatz und operativer Gewinn weiter zu, ohne dass – anders als 2016 – neue Belastungen im Zusammenhang mit der Abgasaffäre hinzukämen. Im ersten Halbjahr kletterten die Erlöse um 7,3 % auf 116 Mrd. Euro und das operative Ergebnis vor Sondereinflüssen auf 8,9 Mrd. Euro. Das Umsatzziel wurde angehoben. Die robuste Nettoliquidität – zum 30. Juni standen 23,7 Mrd. Euro zu Buche – und die im März gelungene Rückkehr an den Bondmarkt nach gut 18-monatiger Abstinenz stützen die zunehmend optimistischen Aussagen der Konzernführung, die ihren Blick wieder mehr in die Ferne und auf den Umbruch in Richtung Elektromobilität und autonomes Fahren lenken will. Kein AbschlussberichtDoch Anleger bleiben skeptisch, ob die bislang im Zusammenhang mit der Affäre gebildeten Rückstellungen von 22,6 Mrd. Euro ausreichen. Fragen, wer für die Softwaremanipulationen verantwortlich war und ob die Konzernführung nicht früher von dem Betrug wusste und das Unternehmen demzufolge gegen Publizitätspflichten verstieß, sind nach wie vor nicht geklärt. Volkswagen bestreitet einen Verstoß gegen kapitalmarktrechtliche Vorschriften, Ermittlungen laufen. Mit den juristisch begründeten Argumenten, weshalb es einen zunächst in Aussicht gestellten Abschlussbericht der ermittelnden US-Kanzlei Jones Day doch nicht geben soll, geben sich Investoren und Kleinaktionäre nicht zufrieden. Musterverfahren 2018″Schnell und schonungslos” sollte die Abgasaffäre aufgeklärt werden, wie Vorstandschef Matthias Müller im Oktober 2015 ankündigte. Gelungen ist das aus Anlegersicht nicht. Volkswagen ist mit Schadenersatzklagen in Milliardenhöhe konfrontiert. Der Beginn des Musterverfahrens steht im April 2018 an. Anleger des von den Familien Porsche und Piëch mehrheitlich dominierten Autobauers halten die 2016 um ein Drittel gestiegenen Rückstellungen im Zusammenhang mit der Abgaskrise für zu niedrig und sehen dadurch auch den Spielraum für Investitionen in Elektromobilität und autonomes Fahren beeinträchtigt.Einen Fingerzeig, wie man bei Volkswagen die Risiken einschätzt, könnte die Investitionsplanung im Herbst geben. Im November vergangenen Jahres signalisierte Volkswagen noch, bei den Ausgaben für Sachinvestitionen sowie Forschung und Entwicklung weiter auf Sicht zu fahren, und verzichtete auf eine konkrete Zahl für 2017. Man werde künftig mehr mit Augenmaß und klaren Prioritäten investieren, so die Devise. Neben der konzernweiten Reduzierung von Sachinvestitionen – angestrebt wird eine Quote von rund 6 % – will der Konzern bis 2020 in Forschung und Entwicklung um ein Drittel effizienter werden. Dies soll dazu beitragen, die Finanzierung zu sichern.Der negative Nachrichtenfluss indes sorgt für immer neue Rückschläge auf dem Weg, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Sollten etwa die im Juli bekannt gewordenen Kartellvorwürfe, zu denen Volkswagen schweigt, zutreffen, könnten Rekordstrafen durch die EU-Kommission und Schadenersatzforderungen klagender Aktionäre auf Volkswagen und andere Hersteller zukommen. Die Debatte über drohende Fahrverbote in Kommunen sowie sinkende Zulassungszahlen neuer Dieselautos setzen die Hersteller zudem unter Druck, ihre Ausrichtung auf alternative Antriebe zu beschleunigen.Allerdings setzt man auch in Wolfsburg ungeachtet politischer Forderungen nach einem Ende des Verbrennungsmotors mit Blick auf weltweit strengere Emissionsgesetzgebungen, drohende Restwertrisiken sowie die mangelnde Massentauglichkeit alternativer Antriebe vorerst weiter auf den Diesel. Bis 2020 will der Konzern seine Verbrennungsmotoren um 10 bis 15 % effizienter und sauberer machen. Bis 2022 sollen rund 10 Mrd. Euro in diese Technologien fließen, während in den nächsten fünf Jahren 9 Mrd. Euro für alternative Antriebe geplant sind. Bei Volkswagen geht man davon aus, dass 2025 noch drei von vier Neuwagen mit Benzin oder Diesel angetrieben werden.In der Zwischenzeit will der Konzern im lukrativen Markt der Geländelimousinen (SUV), in dem man den Boom lange verschlief, Boden gutmachen. Vor allem die Kernmarke VW Pkw, die in den nächsten Jahren auch mit dem Abbau von weltweit mehr als 20 000 Stellen auf Rendite getrimmt werden soll, bläst zur Attacke. Im Rahmen ihrer größten Modelloffensive stellte die Marke mit dem Kompaktklassenmodell T-Roc gerade das vierte SUV vor.Ferner baut der Konzern auf seine Baureihenorganisation, um Entscheidungswege zu verkürzen, und auf Partnerschaften, um neue Geschäftschancen zu erschließen. Fehlschläge wie der gescheiterte Versuch, gemeinsam mit Tata Motors eine Billigauto-Allianz für den in den kommenden Jahren kräftig wachsenden indischen Markt zu schmieden, sind dabei weiterhin möglich. Im Nutzfahrzeuggeschäft soll das Bündnis mit dem US-Hersteller Navistar den Weg zum “globalen Champion” ebnen. Zugleich wird das Geschäft mit Mobilitätsdienstleistungen unter der neuen Marke Moia aufgebaut.Der Weg für den großen Umbruch bei Volkswagen, den die Abgaskrise beschleunigt hat, ist bis 2025 abgesteckt. Wesentlich für die Rückgewinnung von Vertrauen dürfte sein, dass die finanziellen Belastungen im Zuge der Krise beherrschbar bleiben, die Ursachen aufgearbeitet werden und dass der Konzern seine strategischen Ankündigungen erfüllt.—-Bisher erschienen:- BMW arbeitet sich an Tesla ab (30.8.)- Daimler auf der Suche nach der Zukunftsformel (29.8.)