„Was die EU macht, halte ich für unbillig"
Im Interview: Stephan Meeder
„Was die EU macht, halte ich für unbillig"
Der Finanzchef von Südzucker über Einsparungen, das gefährdete britische Werk, Zucker-Bashing und die Preisgabe der Landwirtschaft durch Berlin und Brüssel
Herr Dr. Meeder, der Südzucker-Vorstand hat Mitte Mai Einsparungen angekündigt, die mittelfristig 200 Mill. Euro jährlich erreichen sollen. Was ist der Hintergrund?
Das ist eine Reaktion auf teilweise dauerhaft gestiegene Kosten, u.a. für Energie und Personal, sowie auf die Preisschwäche unserer Produkte Zucker und Ethanol. In den nächsten drei Geschäftsjahren werden wir schrittweise 200 Mill. Euro einsparen, die in den Folgejahren dann jeweils voll wirksam werden.
Wie soll das bewerkstelligt werden?
Zwei Projekte spielen dabei eine zentrale Rolle: Zum einen „Next Level“ unserer österreichischen Tochter Agrana. Zwei ihrer Werke wurden dauerhaft und eines temporär stillgelegt. Wir rechnen hier mit einem Sparpotenzial von 80 bis 100 Mill. Euro, das von 2027/28 (per Ende Februar; die Red.) an voll zur Geltung kommen wird. Zudem ist in der Gruppe „Optimum“ angestoßen worden. Durch die Verbesserung von Produktionsleistungen wollen wir damit in den nächsten drei Jahren ein jährliches Kosteneinsparpotenzial von insgesamt mehr als 100 Mill. Euro heben.
Welche kurzfristig wirkenden Maßnahmen wurden zur Kostensenkung ergriffen?
Da muss ich etwas ausholen. Als wir im September vorigen Jahres die Gewinnwarnung veröffentlichten, war das für uns wirklich ein bitterer Moment. Doch wir sind vom Ausmaß und der Geschwindigkeit des Zuckerpreisrückgangs überrascht worden. Wir haben dann sofort mit dem Senior Management Team ein Maßnahmenpaket über alle Divisionen und alle Konzernfunktionen hinweg entwickelt. Als erstes haben wir uns kurzfristig umsetzbare Maßnahmen überlegt. Die Frage war: Was kann man noch stoppen und beeinflussen? Seien es Reise-, Tagungs- oder Consulting-Kosten. Alles, was kurzfristig machbar war, haben wir zurückgefahren.
Gibt es noch andere strategische Maßnahmen zur Kostendämpfung?
Wir durchforsten unsere komplette Wertschöpfungskette, also auch den Verwaltungsbereich. Hier gab und gibt es Potenzial zur Effizienzsteigerung. Wir hatten zum Beispiel 24 Konzernfunktionen; die haben wir jetzt auf zwölf reduziert. Auch weil wir Benchmarking betrieben und gesehen haben, dass andere Konzerne unserer Größe mit acht bis zwölf Konzernfunktionen auskommen. Jede der verbliebenen zwölf Konzernfunktionen prüft im Moment, wie die Organisation noch effizienter werden kann. Im Zuge der geplanten Einsparmaßnahmen ist auch ein Stellenabbau im Verwaltungsbereich der gesamten Gruppe vorgesehen.
„Bis zu 15% der Verwaltungsstellen sollen in den kommenden Jahren abgebaut werden.“
Das heißt in Zahlen ausgedrückt...?
Bis zu 15% der Verwaltungsstellen sollen in den nächsten Jahren abgebaut werden; davon ist aber nicht nur unsere Zentrale in Mannheim betroffen. Diese Überlegungen betreffen alle Divisionen und Standorte. Wir legen großen Wert darauf, diesen Prozess so sozialverträglich wie möglich zu gestalten. Die konkreten Maßnahmen und Rahmenbedingungen werden derzeit in engem Austausch mit den Arbeitnehmervertretungen abgestimmt.
Sind die Einsparungen, die sich durch den Stellenabbau ergeben, in der Zielsumme von 200 Mill. Euro enthalten?
Ja, die durch die Verschlankung des Verwaltungsbereichs entfallenden Stellen sind in der Gesamtsumme enthalten.
Mit Einsparungen in welcher Höhe rechnen Sie in diesem Geschäftsjahr?
Allein in der Zuckerdivision haben wir für 2025/26 einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag an Einsparungen geplant.

Foto: Südzucker
Gab es Widerstände aus den Divisionen oder von anderen Stellen gegen die Sparmaßnahmen?
Das Gute im, sagen wir mal, „herausfordernden“ Geschäftsjahr 2024/25 war, dass es alle Divisionen und Konzernfunktionen noch mehr zusammengeschweißt hat. Das war ein wirklich positives Momentum. Alle haben gesagt: Wir müssen einen Beitrag leisten, wir ziehen mit.
Angesichts des enttäuschenden Ergebnisses 2024/25 – hat die Diversifizierung des Konzerns, die sich z.B. im Angebot an Tiefkühlpizzas und Kraftstoffbeimischung (Ethanol) zeigt, ihre Grenzen?
Südzucker ist in fünf starke Segmente unterteilt, die unterschiedliche Zyklen haben. In der Summe gleichen die sich aus. Das ist eine Stärke dieses robusten Portfolios. Wir haben immer wieder zwei, drei Segmente, die laufen gut bis sehr gut, und zwei, drei, in denen wir vor Herausforderungen stehen. Das wechselt im Zeitablauf. Von Investoren bekommen wir immer wieder Lob für unser gutes Geschäftsmodell zu hören.
Vor einem Jahr wurde deutlich gemacht, dass die Nettofinanzschulden von damals 1,8 Mrd. Euro reduziert werden sollten. Zum Geschäftsjahresende 2024/25 beliefen sie sich auf 1,65 Mrd. Euro. Das ist kein großer Abbau.
Richtig. Unser Ziel war ursprünglich, auf etwa 1,4 Mrd. Euro zu reduzieren. Das muss man aber vor dem Hintergrund der ersten Prognose für das operative Ergebnis von 500 bis 600 Mill. Euro sehen. Was uns fehlte, um die Schulden stärker senken zu können, ist die Differenz zwischen dieser Anfangsprojektion und dem tatsächlichen operativen Ergebnis von 350 Mill. Euro. Dieser Baustein fehlt uns bei der Senkung der Nettofinanzschulden.
Durch die Halbierung des Cashflow hat sich das Verhältnis der Nettofinanzschulden zum Cashflow von 1,7 auf 3,2 annähernd verdoppelt. Das wird u.a. die Ratingagenturen, aber auch Investoren verstimmen, zumal es 2025/26 nicht besser werden soll.
Das trifft zu. Grundsätzlich haben wir eine konservative Finanzierungs- und Bilanzierungspolitik. Was das Verhältnis der Nettofinanzschulden zum Cashflow angeht, fühlen wir uns mit einem Wert zwischen 2,5 und 3,0 wohl. Das ist auch im Hinblick auf unser Rating wichtig. Doch unser Geschäft ist volatil. Das wissen aber auch die Ratingagenturen und Investoren. Wenn die Volatilitäten zu unseren Gunsten sind, haben wir kurzfristig sehr gute Ergebnisse. Aber es kann auch mal nach unten gehen. Betrachtet man den langfristigen Durchschnitt, bewegen wir uns in dem Korridor, den wir anstreben. Aktuell liegen wir oberhalb dieses Korridors. Wir haben deshalb Maßnahmen zum Schuldenabbau eingeleitet, und die werden auch Früchte tragen.
Wie wichtig ist Südzucker das Investment-Grade-Rating?
Wir haben dazu im Vorstand eine ganz harte Vorgabe. Das Investment Grade ist uns extrem wichtig. Wenn in der Vergangenheit unsere Zahlen sehr gut waren, wurde unser Rating nicht sofort hochgestuft – weil die Agenturen um unser volatiles Geschäft wissen. Deswegen hatten wir gehofft, dass wir aus demselben Grund nicht gleich wieder heruntergestuft werden, nachdem unsere Zahlen jetzt unter Druck stehen. Seitens S&P erfolgte im Mai ein Downgrade auf „BBB–“, während Moody’s das Rating von „Baa2“ bestätigt hat. Somit liegen wir bei beiden Agenturen jeweils oberhalb der spekulativen Klasse, im Falle von Moody’s sogar um zwei Notches.
Vor kurzem hat Südzucker eine Hybridanleihe mit einer Non-Call-Periode von 5,25 Jahren emittiert, kombiniert mit einem Tenderangebot für die bestehende Hybridanleihe. Warum?
Hybridanleihen sind ein fester Bestandteil der Finanzierungsstrategie von Südzucker; sie unterstützen unsere konservative Finanzierungspolitik. Zudem sind sie so strukturiert, dass sie von den Ratingagenturen Standard & Poor´s und Moody's zu 50% als Eigenkapital anerkannt werden. Ziel des Rückkaufangebots und der Emission der Hybridanleihe ist es, die veraltete Hybridanleihe aus dem Jahr 2005 mit einer modernen, dem heutigen Marktstandard entsprechenden Anleihe zu ersetzen.
Wie kam die Anleihe bei Investoren an?
Die Emission stieß bei den Investoren auf gute Nachfrage. Das kombinierte Orderbuch mit einem Volumen von rund 1,6 Mrd. Euro in der Spitze bei einer Emissionshöhe von 700 Mill. Euro zeigt das große Vertrauen des Marktes in die Finanzkraft von Südzucker. Die neue Hybridanleihe war im Wesentlichen auf institutionelle Investoren ausgerichtet.
Als Daumenregel gilt: Eine Emission ist dann erfolgreich, wenn sie mindestens dreimal überzeichnet ist. Im Januar hatte Südzucker eine Festzinsanleihe im Volumen von 500 Mill. Euro ausgegeben; diese war sechsfach überzeichnet. Im Fall der Hybridanleihe lag das Multiple nur bei 2,3. Ist das ein Zeichen für verloren gegangenes Vertrauen?
Nein. Zunächst gilt es festzuhalten, dass wir mit dem Ergebnis sehr zufrieden sind. Das weiterhin bestehende Vertrauen hat die enorme Nachfrage im Rahmen der Emission des Senior Bonds im Januar dieses Jahres deutlich gezeigt. Bei der Hybridanleihe hat eine Reihe anderer Faktoren eine Rolle gespielt. Beispielsweise ist die alte Hybridanleihe 2005 seit nunmehr 20 Jahren im Markt, was sehr ungewöhnlich ist und von Investoren nicht positiv bewertet wird. Des Weiteren war das Marktfenster, das wir für die Platzierung der Hybridanleihe genutzt haben, im Nachgang zu Trumps sogenanntem „Liberation Day“ äußerst dicht und stark frequentiert durch Emissionen von Unternehmen mit einem vergleichbaren Ratingprofil. Vor diesem Hintergrund war die etwas geringere Nachfrage für uns nicht überraschend.
Was sind die Merkmale der Hybridanleihe?
Sie hat keinen Endfälligkeitstag, beinhaltet eine erstmalige reguläre Kündigungsmöglichkeit seitens des Emittenten nach 5,25 Jahren und bis zum ersten Reset-Termin einen fixen Kupon von 5,95%. Die Anleihe ist nachrangig und an der Luxemburger Börse notiert.
Wofür werden die Mittel, die durch die Hybridanleihe dem Konzern zufließen, eingesetzt?
Der Erlös wird für allgemeine Unternehmenszwecke verwendet, einschließlich der Refinanzierung der ausstehenden nachrangigen festverzinslichen Anleihe mit variabler Verzinsung in Höhe von 700 Mill. Euro. Ein Rückkaufangebot wurde in Verbindung mit der Neuemission am 19. Mai gestartet; es lief am 27. Mai aus. Südzucker hat danach, wie beabsichtigt, die noch ausstehenden Anleihen gekündigt und wird diese zum Nennwert am 30. Juni 2025 inklusive aufgelaufener Zinsen zurückzahlen.
Moody´s hat ihre Ratingmethode modifiziert. Hat das Auswirkungen auf die Bewertung der Hybridanleihe?
Die neue Anleihe gehört zu den auf Euro lautenden Hybridinstrumenten, die von der aktualisierten Ratingmethode von Moody‘s profitieren. Sie erhält so von Moody’s – wie auch von Standard & Poors – ein Rating, das nur zwei Stufen unter dem jeweiligen Emittentenrating von Südzucker liegt.
Welche Banken waren bei der Emission bzw. dem Rückkaufangebot involviert?
BNP Paribas, Deutsche Bank und HSBC fungierten als Joint Global Coordinators und Active Bookrunners für die Neuemission und als Dealer Managers für das Rückkaufangebot. Bank of America, ING und Rabobank fungierten als zusätzliche Active Bookrunners für die Neuemission.
Südzucker hat kürzlich die Refinanzierung der im Juli 2026 auslaufenden Revolving Credit Facility abgeschlossen. Gab es Änderungen im Vergleich zur vorherigen Kreditfazilität?
Der bisherige Syndicated Loan belief sich auf 600 Mill. Euro. Wir haben diesen nicht nur um fünf Jahre verlängert, sondern zudem um 200 Mill. auf 800 Mill. Euro erhöht, um für künftiges Wachstum gewappnet zu sein.
Sie waren vor Ihrer Berufung zum Finanzvorstand von Südzucker CEO und CFO der Tochter Cropenergies. Inwieweit wirken Sie auch heute noch vielleicht ein bisschen mehr bei Entscheidungen mit, die Cropenergies betreffen, als es angemessen wäre?
Ich bin ein Freund des Cooling-off. Deswegen halte ich mich auch daran. Aber ich gebe zu, dass ich mir – wenn es um Cropenergies geht – hin und wieder auf die Unterlippe beißen muss, um mich nicht über Gebühr einzumischen, denn das Unternehmen liegt mir noch sehr am Herzen. Andererseits wird bei Südzucker die Strategie, auch für die Töchter, vom Management gemeinsam erarbeitet und weiterentwickelt; es ist also nicht so, dass ich mit Cropenergies gar nichts mehr zu tun hätte.
Das von Cropenergies hergestellte Bioethanol als Beimischung zu Benzin (E10) hat in Deutschland keinen leichten Stand – Stichwort: Tank oder Teller. Was sagen Sie dazu?
Nach wie vor finde ich die Idee, grüne Kohlenstoffe herzustellen, faszinierend. Wir brauchen Technologieoffenheit, um die Klimaschutzziele – gerade auch im Verkehr – erreichen zu können. Elektromobilität alleine wird das nicht schaffen. Auch deswegen bin ich ein großer Verfechter von E20, das es bei uns in Deutschland leider noch nicht gibt. Eine weitere Möglichkeit wäre die Kombination von E20 mit Hybridantrieben. Ich bin jedenfalls sehr froh, dass wir Cropenergies durch das öffentliche Übernahmeangebot an die ausstehenden Aktionäre und das Delisting Ende Februar 2024 noch enger an den Konzern gebunden haben.
Das Cropenergies-Werk in Großbritannien, Ensus, hat ernste Probleme – nicht zuletzt durch das Handelsabkommen, das London mit Washington geschlossen hat.
Das vor kurzem ausgehandelte Abkommen sieht – nach allem, was wir bisher wissen – einen zollfreien Zugang zum britischen Markt für US-Ethanol vor. Das würde das Geschäft von Ensus in Großbritannien sehr schwierig machen. Es gibt derzeit zwei große Ethanolwerke in Großbritannien; beide produzieren bis zu je 400.000 Kubikmeter pro Jahr. Die versorgen den britischen Markt; hinzu kommen Importe. Allerdings sollte man abwarten, wie die von der Regierung in London gesetzten Rahmenbedingungen am Ende aussehen werden.
Wieso ist der zollfreie Zugang von US-Ethanolanbietern zum britischen Markt so ein Gamechanger?
Eine gängige Referenz für die Preisgestaltung von Ethanol ist die Notierung in Houston, Texas. Im Vergleich dazu liegt das Preisniveau in Europa deutlich höher. Dieser Unterschied ergibt sich vor allem aus den zusätzlichen Kosten für den Seetransport und die Anpassung an europäische Qualitätsanforderungen. Außerdem fallen Importzölle an, die den Gesamtpreis weiter erhöhen. Würden diese Zölle vollständig entfallen, könnte Ethanol aus den USA zu deutlich günstigeren Konditionen im Vereinigten Königreich ankommen.
Wenn es keine Entlastung für die Ethanolhersteller in Großbritannien gäbe, was würde das bedeuten?
Beim gegenwärtigen Preisniveau von US-Ethanol gehe ich davon aus, dass die britische Produktion, egal ob bei uns oder bei der Konkurrenz, nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Unser Wettbewerber hat erklärt, man mache momentan selbst mit Zollschutz Verlust. Wenn aber eine Produktion selbst mit Zollschutz Verlust macht und dann auch noch der Zollschutz wegfällt, dann gehe ich davon aus, dass die lokale Produktion zur Disposition steht. Dann kann auch ein Verkauf oder die Schließung eines Ethanolwerkes nicht mehr ausgeschlossen werden.
„Ich vermute, dass die britische Regierung die Folgen des Handelsabkommens mit den USA in Teilen gar nicht richtig abgeschätzt hat und das auf die ein oder andere Weise korrigieren wird.“
Gibt es noch eine realistische Hoffnung, dass Ensus mittel- bis langfristig weiterlaufen kann?
Ich vermute, dass die britische Regierung die Folgen des Handelsabkommens mit den USA in Teilen gar nicht richtig abgeschätzt hat und das auf die ein oder andere Weise korrigieren wird. Und es geht ja nicht nur um die zwei Ethanolwerke, sondern auch um die Zulieferer.
Was meinen Sie damit konkret?
Wenn beide Ethanolwerke in Großbritannien ihre Kapazitäten auslasten, benötigen sie für die Produktion rund 2 Millionen Tonnen Getreide. Wenn die Ethanolherstellung eingestellt wird, wohin sollen dann die 2 Millionen Tonnen gehen? Daneben würden die in der Ethanolproduktion anfallenden Nebenprodukte fehlen, etwa das Kohlendioxid (CO2). Der Mangel an CO2, das u.a. für die Bierproduktion gebraucht wird, war schon in Phasen, wo wenig Ethanol im Land produziert wurde, ein Thema in Großbritannien.
Wenn man die öffentliche Diskussion verfolgt, kann man zu dem Schluss kommen, Zucker sei das schlimmste Gift, das man sich nur vorstellen kann. Was geht Ihnen dann durch den Kopf?
Es ist so: Zucker wird oft kritisiert und u.a. als Dickmacher verunglimpft. Ich sehe das ganz anders. Ich bin jetzt seit fast 20 Jahren bei Südzucker, begeisterter Zuckerkonsument... und Triathlet! Zucker ist fälschlicherweise im negativen Fokus. Das heißt nicht, dass ich unkritisch gegenüber Zucker bin. Adipositas bei Jugendlichen ist ein ernstes Problem. Was man aber meines Erachtens sehen muss ist: Übergewicht hat immer etwas zu tun mit Kalorienaufnahme und dem -verbrauch. Die Politik macht sich das zu einfach, indem sie aus einem multifaktoriellen Problem einen Aspekt herausnimmt und behauptet: Der Zucker ist schuld. Das stimmt so einfach nicht.
Sondern?
Das fängt damit an, dass es in den Familien immer weniger Sozialisation gibt. Das heißt, in den Familien wird immer weniger gemeinsam gekocht und gegessen. Die Kinder bewegen sich immer weniger, dafür hängen sie ständig am Handy. Dennoch wird über die Einführung einer Zuckersteuer debattiert. Wieso nicht auch über eine Social-Media-Steuer? Übergewicht in großen Teilen der Bevölkerung bzw. mangelnde Bewegung – das sind gesamtgesellschaftliche Probleme.
Dennoch werben Lebensmittelanbieter stark mit Senkungen des Zuckeranteils in ihren Produkten.
Ja, daran sieht man, zu was für absurden Effekten die Konzentration auf Zucker als Grund für Krankheiten und Übergewicht führt. So wird eine Packung Müsli mit dem Spruch „30% weniger Zucker“ angepriesen. Aber die Packung ist immer noch 750 Gramm schwer, das heißt, sie enthält vielleicht 30% weniger Zucker, dafür aber andere Füllstoffe, etwa stärkehaltige Kohlenhydrate. Die haben teilweise genauso viele, teilweise sogar mehr Kalorien. Man suggeriert aber durch so eine Zuckerreduktion ein vermeintlich gesünderes Lebensmittel. Das sehe ich nicht. Zucker zu verteufeln halte ich für komplett falsch.
Sind Sie mit der politischen Unterstützung der Lebensmittelbranche durch Berlin und Brüssel zufrieden?
Die Landwirtschaft und die Ernährungsindustrie stehen nicht genug im Fokus der Bundesregierung und der EU. Das sehen wir immer wieder, etwa wenn Freihandelsabkommen verhandelt und geschlossen werden wie zuletzt mit Mercosur (eine südamerikanische Zollunion und Freihandelszone; die Red.). Die Tendenz ist immer die gleiche: Die EU versucht freien Marktzugang für Automotive, Pharma, Maschinen, Anlagen usw. zu anderen Regionen zu bekommen, und im Gegenzug ist die EU immer bereit, Zugeständnisse bei der Landwirtschaft zu machen.
Freier Handel fördert doch den Wohlstand, oder?
Als Betriebswirt ist mir das vollkommen klar. Aber freier Handel muss auf einem fairen Vergleichsniveau stattfinden. Doch was die EU macht und ich für unbillig halte, ist einerseits die europäische Landwirtschaft und produzierende Unternehmen mit immer höheren Nachhaltigkeitsanforderungen zu konfrontieren – was ich per se für richtig halte, denn auch Südzucker ist ganz klar für nachhaltige Landwirtschaft –, aber andererseits die damit einhergehenden Kosten und Ertragsrückgänge zu ignorieren. Weniger Düngereinsatz, weniger Pflanzenschutzmittel, mehr Blühstreifen und sogar Flächenstilllegungen? Machen wir alles. Aber dann darf die Politik nicht gleichzeitig landwirtschaftliche Güter nach Europa hereinlassen, die unter ganz anderen Bedingungen hergestellt werden.

Foto: Südzucker
Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen Sie Brasilien. Dort sind noch 40 Pflanzenschutzmittel – im Besonderen Herbizide – zugelassen, die hier seit 40 Jahren verboten sind. Ich sehe keinen Sinn darin, solchen Zucker in die EU zu importieren, der bei weitem nicht die gleichen Nachhaltigkeitskriterien erfüllen muss wie bei uns. Ein anderes Beispiel ist Australien; dort dient ja Zuckerrohr – und nicht wie bei uns die Zuckerrübe – als Basis der Zuckerproduktion. Auf dem fünften Kontinent werden die Zuckerrohrfelder immer noch teilweise einfach abgefackelt, bevor die Maschinen in die Felder gehen. Das hat u.a. mit den vielen Giftschlangen in Australien zu tun. Letztlich interessiert sich dort aber niemand für Biodiversität und die ganzen Pflanzen und Tiere in den betroffenen Feldern.
Südzucker und Cropenergies sind Mitglieder in Interessensverbänden. Halten Sie deren Lobbyarbeit in Berlin und Brüssel für ausreichend?
Ich finde, die Verbände leisten eine gute Aufklärungsarbeit. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Was deren Arbeit grundsätzlich schwer macht, ist der schwierige Zugang zur Politik, denn es wird immer automatisch unterstellt, dass Industrieverbände einseitig ihre Interessen vertreten. Tatsächlich geschieht dies meist sehr ausgewogen, weswegen ich mich gegen diesen Vorwurf verwehre. Vielmehr darf die Politik da ruhig ein wenig Vertrauen haben. Andererseits ist meine Erfahrung, dass, wenn eine NGO (Nichtregierungsorganisation; die Red.) auftritt, die per se als „die Guten“ und deren Argumente als „richtig und glaubwürdig“ angesehen werden. Dabei ist es doch so: Wenn jemand unsere Branche und ihre Probleme versteht, dann wohl die Landwirte und weiterverarbeitenden Unternehmen.
Ihr Schlusswort?
Wir müssen in Europa erkennen, wie wichtig es ist, einen hohen Selbstversorgungsgrad an allen landwirtschaftlichen Gütern zu haben.
Auf die Handelspolitik der EU und einiger nationaler Regierungen in Europa ist Stephan Meeder nicht gut zu sprechen. Der Finanzchef von Südzucker kritisiert im Interview der Börsen-Zeitung die Preisgabe von Interessen der Landwirtschaft und weiterverarbeitender Unternehmen zugunsten anderer Branchen.
Das Interview führte Martin Dunzendorfer.