Washington setzt Stimmrechtsberater unter Druck
Washington setzt Stimmrechtsberater unter Druck
Washington setzt Stimmrechtsberater unter Druck
ISS und Glass Lewis müssen sich mit Kartelluntersuchung herumschlagen – Gezieltes US-Vorgehen gegen ESG zeigt Wirkung
Die US-Kartellaufsicht FTC untersucht laut Insidern die Geschäftspraktiken von ISS und Glass Lewis. Damit erhöht sich der politische Druck auf die einflussreichen Stimmrechtsberater, gegen deren Engagement CEOs seit Jahren wettern. Die Prüfung gilt als Teil einer breiteren Kampagne Washingtons gegen Nachhaltigkeit.
xaw New York
Die mächtigen US-Stimmrechtsberater geraten zunehmend unter Druck. So untersucht die Wettbewerbsaufsicht FTC, ob Institutional Shareholder Services (ISS) und Glass Lewis mit ihren Proxy-Empfehlungen für Hauptversammlungen gegen Kartellrecht verstoßen. Die Untersuchung befindet sich in einem frühen Stadium, wie das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf Insider berichtet, und zielt wohl vor allem auf das Vorgehen der beiden Häuser beim kontrovers diskutierten Thema ESG (Umwelt, Soziales, gute Unternehmensführung) ab.
Gereizte CEOs
Der Einfluss der Stimmrechtsberater ist Managern und Wirtschaftsverbänden schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Elon Musk bezeichnete ISS, an der die Deutsche Börse seit Anfang 2021 eine Mehrheitsbeteiligung hält, jüngst als „Unternehmensterroristen“. Zuvor hatte die in Maryland ansässige Beratungsgesellschaft Aktionären empfohlen, gegen das Rekord-Vergütungspaket des Tesla-CEO zu stimmen. Nach dem Kompensationsplan, den die Hauptversammlung des E-Autobauers in der vergangenen Woche absegnete, könnte der Milliardär Aktien-Boni im Gegenwert von bis zu 1 Bill. Dollar erhalten – auch Glass Lewis hatte dies im Vorfeld als exzessiv bezeichnet.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Richard Drew
Auch Jamie Dimon, CEO der führenden US-Bank J.P. Morgan, holte im Frühjahr zum Rundumschlag gegen die Stimmrechtsberater aus. Diese seien „inkompetent“, von linken Aktivisten kontrolliert und verfügten über „falsche Daten“, die sie aber nie korrigieren müssten, schimpfte der Manager auf einer Konferenz von Blackrock. Dabei warf Dimon ISS und Glass Lewis indirekt erpresserische Taktiken vor. Schließlich könnten Unternehmen die Beratungsdienstleistungen der beiden Gesellschaften buchen und somit ihre Chancen erhöhen, deren Zustimmung für ihre Initiativen auf der Hauptversammlung zu finden.
Koordinierte Kampagne
Nun erhöht auch Washington den Druck. Analysten sehen dabei einen Zusammenhang mit einer „koordinierten Kampagne“ republikanisch dominierter Bundesstaaten und konservativer Think Tanks gegen Nachhaltigkeit, die S&P Global seit Jahren beobachtet. Texas legte bereits 2022 eine Liste mit 350 Fonds vor, die angeblich auf unlautere Weise Energieunternehmen boykottierten, und untersagte staatlichen Pensionskassen Investitionen in diese Vehikel. Florida zog mit ähnlichen Maßnahmen nach.
Führende Assetmanager wie Blackrock und Vanguard mussten darauf verkraften, dass ihnen Milliardenmittel einer finanzstarken institutionellen Anlegergruppe abflossen – und knickten angesichts dieses Gegenwinds ein. Sie beendeten ihre Mitgliedschaft in Bündnissen wie der Net Zero Asset Managers Initiative, die ihre Aktivitäten ohne ihre größten Mitglieder ausgesetzt hat.
Anti-ESG-Trend gewinnt an Fahrt
In der zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump hat der Anti-ESG-Trend noch an Fahrt gewonnen. Der vom Republikaner eingesetzte Chef der Börsenaufsicht SEC, Paul Atkins, strebt in diesem Zuge ebenfalls nach einer engeren Kontrolle über die ISS und Glass Lewis. Und das Weiße Haus arbeitet laut Insiderberichten an mindestens einem Exekutivbeschluss, um den Einfluss von Stimmrechtsberatern und Indexfondsanbietern auf Hauptversammlungen zu begrenzen.
ISS und Glass Lewis verfügen über ein effektives Duopol in der Beratung institutioneller Investoren zur Corporate Governance. Zuletzt haben aber gerade große Assetmanager verstärkt betont, ihre eigenen Entscheidungen treffen zu wollen. Bereits im September hatte die FTC, die unter Trump größeren Spielraum bei der Einstufung von Wettbewerbspraktiken besitzt, Glass Lewis in einem Schreiben zu ersten Prüfungen hinsichtlich ihrer Wettbewerbspraktiken informiert.
Vorwürfe aus dem Kongress
Zudem lancierte der republikanisch dominierte Justizausschuss im Repräsentantenhaus im Frühjahr eine Kartelluntersuchung. Die Abgeordneten warfen beiden großen Stimmrechtsberatern in einem Schreiben an ISS vor, sie konspirierten „mit Umweltaktivisten, um US-Unternehmen radikale ESG-Ziele aufzuzwingen“. Im Rahmen der Untersuchung forderte der Ausschuss Dokumente und Kommunikationsverläufe der Gesellschaften zu ihren Beratungstätigkeiten für Fondsmanager und andere Investoren an.
Die republikanische Anti-Nachhaltigkeits-Strategie zeigt dabei messbare Wirkung in der amerikanischen Wirtschaft. So sind ESG-Themen bei Investoren zuletzt in den Hintergrund getreten. Gemäß einer Umfrage des Vermögensverwalters Vanguard zur Hauptversammlungssaison 2025 stehen die Vergütung des Managements und die Dividende ganz oben auf der Agenda, 44% bzw. 41% wollten sich auf den abgelaufenen Jahrestreffen zu diesen Punkten äußern. Dahinter folgt bei möglichen Mehrfachnennungen die Besetzung des Verwaltungsrats mit 30%, wohingegen 29% der über 1.000 befragten Investoren soziale und 24% Umweltfragen zur Sprache bringen wollten.

Gemäß einer Erhebung der Kanzlei Gibson Dunn wurden in der jüngsten Proxy-Saison 247 Vorstöße zu Social-Aspekten und 147 zu Klima- und Naturschutz eingereicht; im Vergleich zum Vorjahr sind das Rückgänge um 20 bzw. 19%. Keiner davon kam auf eine Mehrheitsunterstützung, im Vorjahr waren es immerhin noch zwei. Damit hat sich die Lage gegenüber 2023 drastisch geändert; damals machten Umwelt- und Sozialvorschläge noch fast ein Viertel aller Anträge mit einer Zustimmungsquote von über 50% aus. Nach Daten von ISS ist die Zahl der Anti-ESG-Vorstöße unterdessen auf den Rekordwert von 112 gestiegen, 65 davon schafften es auch auf die Stimmzettel.
Assetmanager knicken ein
Dies ist laut Analysten maßgeblich auf die abnehmende Rückendeckung durch die großen Indexfonds-Anbieter zurückzuführen. Blackrock unterstützte in den zwölf Monaten bis Ende Juni 2025 lediglich noch 2% der über 358 Umwelt- und Sozialanträge, zu denen der Assetmanager auf Hauptversammlungen rund um den Globus abstimmte. Der Anteil ist über die vergangenen Jahre kontinuierlich zurückgegangen, nachdem er 2021 einen Höchstwert von 47% erreichte. Der Druck auf die Stimmrechtsberater dürfte auch die verbliebene Unterstützung laut Marktbeobachtern erodieren lassen.
