Im InterviewArno Pfannschmidt

„Auch wir finden die Kursentwicklung enttäuschend“

Erstzeichner der Aktie von Thyssenkrupp Nucera sehen sich einem Kursverlust von 30% gegenüber. Gründe für die schwache Performance sucht Finanzchef Arno Pfannschmidt jedoch lieber außerhalb des Unternehmens.

„Auch wir finden die Kursentwicklung enttäuschend“

IM INTERVIEW: ARNO PFANNSCHMIDT

„Auch wir finden die Kursentwicklung enttäuschend“

Thyssenkrupp Nucera liebäugelt mit Eigenfertigung – Seit IPO sind Avale günstiger – Drohendes Verbot für Ewigkeitschemikalien als Gefahr

Thyssenkrupp Nucera hat am Donnerstag einen traurigen Rekord geschrieben: Erstmals ist die Aktie unter die Marke von 13 Euro gerutscht. Damit ist auch Finanzchef Arno Pfannschmidt alles andere als zufrieden. Von De Nora will sich der Hersteller von Elektrolyseuren künftig etwas emanzipieren, allerdings nur operativ und nicht gesellschaftsrechtlich.

Herr Pfannschmidt, Thyssenkrupp Nucera ist im Juni vergangenen Jahres an die Börse gekommen – zu einem Ausgabepreis von 20 Euro. Die Kursentwicklung ist ernüchternd. Erstzeichner müssen einen Wertverlust von einem Drittel verkraften. Was ist aus Ihrer Warte der Grund für die schwache Performance?

Auch wir finden die Kursentwicklung enttäuschend. Bei uns können wir dafür keine Ursache finden. Negativen Nachrichten kamen von anderen Unternehmen aus der Wasserstoffindustrie. Manche Wettbewerber haben die Zukunft zu optimistisch gemalt, gerade was den Zeithorizont anbelangt. Das wurde dann auf uns projiziert.

Es gibt aber doch auch valide Gründe, warum die Kursentwicklung gedämpft ist. So liegt der Streubesitz nur bei 18%. Das ist nicht unbedingt ein Kaufargument.

Das schauen wir uns natürlich auch an. Im Vergleich mit anderen SDax-Unternehmen sieht unser Handelsvolumen nicht so schlecht aus. Richtig ist, dass wir mit Thyssenkrupp und Industrie De Nora zwei Großaktionäre haben. Das empfinden wir nach wie vor als Stabilisierung unseres Geschäfts. Zudem gibt es Synergien. De Nora ist für uns ein wichtiger Lieferant. Im Segment Decarbon Technologies von Thyssenkrupp gibt es Anwendungen für grünen Wasserstoff, die sozusagen aus einer Hand angeboten werden.

Ein anderer Punkt ist die Rechtsform der KGaA. Das Sagen hat bei Ihnen die Komplementärin, die Thyssenkrupp Nucera Management AG. Sie gehört Thyssenkrupp (66%) und Industrie De Nora (34%). Aus Investorensicht heißt das: Nucera kann gar nicht unabhängig agieren.

Das ist ja nicht neu. Das haben wir von Anfang an kommuniziert. Wir haben zwei starke Partner, die an Bord bleiben wollen. Daher wurde diese Struktur gewählt, die für Deutschland nicht ganz ungewöhnlich ist. Außerdem muss die Komplementärin auf der Hauptversammlung ebenfalls von den Aktionären der KGaA entlastet werden und das Management den Aktionären Rede und Antwort stehen. 


Zur Person

Arno Pfannschmidt hat sichtlich Spaß an der Arbeit. Denn für ein Start-up zu arbeiten, ist in der Laufbahn des Finanzchefs von Thyssenkrupp Nucera ein Novum. Streng genommen ist der Börsenneuling aus dem vorigen Jahr natürlich alles andere als ein Start-up-Unternehmen, handelt es sich doch um einen Spin-off von Uhde, einer Gesellschaft mit 100-jähriger Historie. Doch der Markt für Wasserstoff, in den Nucera alle Wachstumskräfte legt, ist jung. Seine berufliche Karriere startete der promovierte Wirtschaftler vor mehr als 30 Jahren im Traditionskonzern Thyssenkrupp bzw. der damaligen Vorgängerorganisation Friedr. Krupp. Von Edelstahl in Italien über Aufzüge in Südkorea bis zu Marineschifffahrt in Schweden – seine Vita spiegelt das gesamte Portfolio des Mischkonzerns. Seit 2014 ist der 63-Jährige Finanzchef des Elektrolyseurherstellers. Sein aktueller Vertrag läuft bis 2025.


Aber was ist Ihre Equity Story? Dividenden gibt es absehbar ja auch keine.

Wir verkaufen ein attraktives Produkt in einem stark wachsenden Markt, den wir erobern wollen. Wie man sieht, mit Erfolg: Wir haben ein kontrahiertes Volumen von drei Gigawatt. Wir fokussieren uns im Moment auf die Märkte in Europa und Nordamerika, weil wir nicht alles machen können. In Middle East sind wir gut vertreten, Australien kommt etwas später. Das dürften bis 2030 die größten Märkte sein.

Was ist mit China?

China beobachten wir sehr intensiv. Dort tut sich sehr viel, vor allem bei einfacheren, billigeren Technologien. Wir verfolgen genau, wie sich dort die Gesamtkosten, also Capex und Opex (Ausgaben für Sachanlagen und Betriebskosten, Anm. d. Red.) über die gesamte Laufzeit entwickeln. China ist bei den Kosten die Benchmark, mit der wir uns messen wollen.

Fürchten Sie die chinesischen Anbieter, weil diese wie bei anderen Industriegütern die Produkte über den Preis in den europäischen Markt drücken könnten?

Wir sind seit vielen Jahrzehnten im Elektrolysemarkt unterwegs. In China befindet sich die Hälfte aller Kapazitäten für die Chlor-Alkali-Elektrolyse. Wir sind dort erfolgreich mit einer Tochtergesellschaft unterwegs. Aus den dort gemachten Erfahrungen haben wir gelernt, dass dort eher kurzfristigere Geschäftsmodelle erfolgreich sind. Dieser Entwicklung müssen wir uns stellen, weil wir sonst langfristig nicht wettbewerbsfähig sind. Wir müssen uns auf die relativ niedrigen Capex-Werte, die in China vorherrschen, vorbereiten.

Stichwort Capex. Ihr Geschäftsmodell ist ja gerade nicht kapitalintensiv, weil sie in Auftragsfertigung produzieren. Soll das so bleiben?

Das ist historisch gewachsen, weil sich unsere Vorgängerorganisation Uhde mehr als Ingenieurbüro verstanden hat. Wir lassen uns die Komponenten auf die Baustelle liefern und überwachen den Zusammenbau. Das ist Teil unserer De-Risking-Strategie. De Nora ist das beste Beispiel. Wir besitzen das Intellectual Property am Design der Elektrolysezelle und De Nora fertigt exklusiv für uns auf ihren Anlagen. In der ganzen Wertschöpfungskette haben wir etwa 120 Pakete, die wir einkaufen. Da sind natürlich auch Komponenten darunter, bei denen wir überlegen, ob wir sie künftig selbst fertigen.

Können Sie das ein bisschen genauer eingrenzen?

In der Fertigung gibt es Teile, die auf wichtige Eigenschaften wie beispielsweise die Lebensdauer oder den Stromverbrauch Einfluss nehmen. Zwei Drittel der Betriebskosten eines Elektrolyseurs entfallen auf die Stromkosten. Diese zu reduzieren, ist eines unserer Hauptanliegen. Das hat uns in der Chlor-Alkali-Elektrolyse erfolgreich gemacht. 

Setzen Sie mit dieser Strategie nicht die Beziehung zu Lieferanten aufs Spiel?

Theoretisch ja. Aber das haben wir natürlich auf dem Schirm. Wir unternehmen nichts, was uns am Ende schadet. Aber wir bewegen uns in einem Wachstumsmarkt.  Wir haben immer gesagt, dass wir von De Nora, was die Fertigung der Elektrolysezelle betrifft, ein bisschen unabhängiger werden wollen. De Nora ist momentan unser einziger Lieferant. Wir haben ein Lohnfertigungsabkommen, in dem geregelt ist, wie wir miteinander arbeiten.

Das dürfte einer Gratwanderung gleichkommen, sitzt De Nora über den Aufsichtsrat doch am längeren Hebel.  

Nicht alles, was wir bei De Nora einkaufen, fertigt De Nora auch selbst. Das Unternehmen hat erhebliche Untervergaben. Man könnte sich vorstellen, dort etwas selbst zu machen, ohne dass der Kuchen für De Nora kleiner wird. Es gibt Wege, wie man sich einigen kann.

Wie haben Sie die 500 Mill. Euro aus dem Börsengang angelegt?

Mit dem Emissionserlös konnten wir uns finanziell von Thyssenkrupp unabhängiger machen. In der Vergangenheit waren wir vollständig in das Cash-Management des Konzerns integriert. Das heißt, auch die für den Großanlagenbau wichtigen Avallinien kamen von Thyssenkrupp. Jetzt haben wir diese Linien selbst mit den Banken verhandelt. Nach dem IPO hatten wir ein Überangebot an Avallinien und haben sehr gute Konditionen bekommen, niedriger als beispielsweise bei Thyssenkrupp.

Werner Ponikwar (l.), Vorstandsvorsitzender, und Finanzvorstand Arno Pfannschmidt demonstrieren die Funktionsweise eines Elektrolyseurmoduls. Quelle: picture alliance/dpa | Rolf Vennenbernd

Mit welchem Zeithorizont legen Sie den Emissionserlös an?

Das Geld benötigen wir in der Tat nicht sofort, auch wenn wir einen negativen Cashflow haben. Den Break-even im Free Cashflow erwarten wir 2025/26. Bis dahin haben wir einiges vor, wie den Kapazitätsaufbau, den Aufbau neuer Standorte und Aufwendungen für Forschung und Entwicklung. Auch die Qualifizierung neuer Lieferanten verursacht im ersten Schritt Anlaufverluste. Das Geld steckt überwiegend in kurzfristigen Anlagen wie Tagesgeld und Geldmarktfonds. Aktuell bekommen wir dafür 3 bis 4% Zinsen.

Wie viel Puffer haben Sie bei der Berechnung des erforderlichen Wachstumskapitals eingebaut?

Wir haben einen sehr soliden, realistischen Businessplan bis 2030 aufgestellt. Da ist genügend Puffer drin. Wir arbeiten ja mit großen Bandbreiten. Für F&E haben wir für die nächsten Jahre 150 bis 250 Mill. Euro budgetiert, für Investitionen noch einmal den gleichen Betrag.

Der künftige Umgang in der EU mit den Ewigkeitschemikalien PFAS – diskutiert wird über ein Verbot – ist für Sie von großer Relevanz. Im Geschäftsbericht sprechen Sie davon, dass das Ihr Geschäftsmodell gefährden könnte. Wie ist das zu verstehen?

Die Dichtungen zwischen den beiden Halbschalen in der Elektrolysezelle sind aus diesen Materialien. Es ist derzeit das einzige Material, das die erforderlichen Eigenschaften besitzt. Man darf nicht vergessen, dass Wasserstoff explosiv sein kann. Es gibt also ein valides Interesse daran, dass die Dichtung absolut abriegelt. Am Ende des Lebenszyklus einer Zelle – hier sprechen wir von 30 Jahren – wird die Dichtung kontrolliert entsorgt.

Aber genau darum geht es doch in der Diskussion, denn Ewigkeitschemikalien sind nicht abbaubar. Wann entscheidet die EU?

Dazu gibt es in Europa nach wie vor keine Entscheidung. Wir glauben auch, dass inzwischen von allen betroffenen Industrien genügend Überzeugungsarbeit geleistet wurde. PFAS sind beispielsweise auch für die Brennstoffzelle wichtig.

Die EU-Chemikalienbehörde prüft seit September die eingereichten Stellungnahmen. Bis wann rechnen Sie mit einer Entscheidung?

Von einer Entscheidung in Sachen PFAS ist frühestens im Jahr 2026 auszugehen, da sich die derzeitige Konsultationsphase bis Ende 2025 schiebt. 2027/2028 kann dann nach heutigem Stand mit einer Anwendung einer PFAS-Regelung gerechnet werden. Wichtig ist aber, dass eine Entscheidung differenzierter getroffen werden muss als ursprünglich gedacht. Denn ein Verbot würde viele grüne Technologien gefährden.

Das Interview führte Annette Becker.