„Wir nehmen unsere Verantwortung sehr ernst“
„Wir nehmen unsere Verantwortung sehr ernst“
Im Interview: Martino Canonico und Charlotte van Velthoven
„Wir nehmen unsere Verantwortung sehr ernst“
Der Verband der europäischen Online-Apotheken und Redcare Pharmacy über den Wandel im Apotheken-Markt und die Sicherheit beim Arzneimittelversand
Auf Deutschlands Online-Apothekenmarkt wird es noch voller. Nun hat auch die Drogeriekette dm ihre Versandapotheke „dm-med“ gestartet, bei der Kunden online und via App rezeptfreie, apothekenpflichtige Produkte bestellen können. Deutsche Vor-Ort-Apotheken warnen schon länger vor möglichen Risiken und ungleichen Wettbewerbsbedingungen zwischen heimischen und ausländischen Marktakteuren. Der Verband der europäischen Online-Apotheken fordert seinerseits dagegen eine faktenbasierte Debatte.
Herr Canonico, Frau Van Velthoven, ausländische Versand-Apotheken haben in Deutschland in diesem Jahr wieder damit begonnen, Rabatte auf verschreibungspflichtige Medikamente zu gewähren, während gleichzeitig neue, mächtige Akteure auf den Markt drängen. All das hat zuletzt für Unruhe unter traditionellen Vor-Ort-Apotheken gesorgt und die Debatte um Online-Apotheken neu entfacht. Wie bewerten Sie die Diskussionen?
Martino Canonico: Ich denke, in dieser Debatte ist es sehr wichtig, über Daten und Fakten zu sprechen. Wir verstehen uns als Akteur, der den derzeitigen Apothekenmarkt in Deutschland und der EU ergänzt. Wir sind der Meinung, dass es heutzutage beides braucht, um die Bedürfnisse der Patienten in der Versorgung mit Medikamenten vollständig zu erfüllen: klassische Vor-Ort-Apotheken sowie Online-Apotheken wie Redcare Pharmacy, DocMorris oder apo.com. Am Ende müssen Patienten eine freie Wahl haben. Es sollte ihnen überlassen bleiben, ob sie in eine stationäre Apotheke gehen oder Medikamente online bestellen.
Bei verschreibungspflichtigen Medikamenten – der mit Abstand größten Einnahmequelle im Apothekenmarkt – hat in Europa aber nicht jeder diese freie Wahl.
Charlotte van Velthoven: Das stimmt. In Deutschland dürfen Verbraucher seit mehr als 20 Jahren verschreibungspflichtige Medikamente online kaufen. In vielen anderen EU-Mitgliedstaaten ist das leider noch nicht der Fall. Neben Deutschland ist das momentan nur in Dänemark, Estland, Finnland, Litauen, Portugal, den Niederlanden und Schweden erlaubt.
In Deutschland geht die Zahl der traditionellen Vor-Ort-Apotheken seit Jahren zurück. Konkret ist sie seit 2008 um rund ein Fünftel auf zuletzt etwas über 17.000 gesunken. Liegt das am Aufstieg der Online-Apotheken?
Van Velthoven: Nein, auch wenn das häufig behauptet wird, besteht dieser Zusammenhang einfach nicht. Letztendlich ist die Schließung von Apotheken das Ergebnis einer Marktkonsolidierung, insbesondere in Großstädten, wo es schon immer einen starken Wettbewerb zwischen Vor-Ort-Apotheken gab. Darüber hinaus zeigen Daten, dass Patienten selbst bei Schließung einer Apotheke immer noch eine andere Apotheke in derselben Reichweite zur Verfügung haben. Die von Online-Apotheken angebotenen Dienstleistungen kommen lediglich hinzu.
Canonico: Wenn man sich außerdem den Marktanteil der Online-Apotheken in Deutschland ansieht – bei verschreibungspflichtigen Medikamenten liegt er nicht einmal bei 2% – wird schnell klar, dass unsere Unternehmen nicht für das Tempo verantwortlich gemacht werden können, mit dem stationäre Apotheken schließen. Vielmehr ist die Situation auch das Ergebnis struktureller Herausforderungen im Gesundheitswesen, insbesondere in Deutschland, Frankreich und Italien. In ländlichen Gebieten mangelt es an Ärzten. Und wo Ärzte fehlen, die Rezepte ausstellen, fehlen auch Apotheken. Online-Anbieter können hier zu einer Lösung beitragen. Sie können Patienten Zugang zu Medikamenten und zu digitaler Gesundheitsberatung verschaffen.
Bei der Einnahme von Medikamenten kann aber viel schiefgehen. Es kann zum Beispiel zu Wechselwirkungen kommen, wenn Patienten mehrere Präparate parallel einnehmen. Wie können Online-Apotheken in dieser Hinsicht für die Sicherheit der Patienten sorgen?
Canonico: Online-Apotheken tragen dieselbe Verantwortung für die Sicherheit der Patienten wie physische Apotheken – und sie tragen diese Verantwortung gemäß EU- und nationalem Recht. Beispielsweise bieten Online-Apotheken genau wie traditionelle Apotheken vor Ort Wechselwirkungs-Checks für verschreibungspflichtige und nicht verschreibungspflichtige Medikamente an. Wenn ein Patient Medikamente bei einer Online-Apotheke bestellt, endet der Service außerdem nicht an der Theke. Einige unserer Mitgliedsunternehmen bieten heute zum Beispiel Apps an, die Patienten regelmäßig an die Einnahme ihrer Medikamente erinnern, die sie daran erinnern, wenn sie ein neues Rezept brauchen, oder die sie warnen, wenn das Medikament abläuft. All das neben weiteren Dienstleistungen rund um die Medikamentenverwaltung.
Nicht nur bei der Einnahme der Medikamente, sondern auch beim Versand müssen sehr viele Dinge beachtet werden. Es kommen immer mehr Arzneimittel auf den Markt, die durchgehend gekühlt werden müssen. Wie können Online-Apotheken hier für ausreichende Sicherheit sorgen?
Van Velthoven: In Sachen Temperaturkontrolle tun wir alles – und wir tun es viel besser als stationäre Apotheken. Sobald die Produkte bei uns eintreffen, führen wir eine Temperaturkontrolle durch und temperaturempfindliche Produkte werden in separaten Kühlhäusern gelagert. Auch beim Versand achten wir darauf, dass alle nationalen und EU-weiten Kühlvorschriften eingehalten werden. Und natürlich kümmern wir uns auch um eine adäquate Verpackung. Abgesehen davon: Wenn man sich die teilweise sehr alten Gebäude ansieht, in denen traditionelle Vor-Ort-Apotheken ihre Geschäfte betreiben, ist es fraglich, inwieweit dort eine angemessene Kühlung gewährleistet werden kann.
Aber was passiert, wenn zum Beispiel ein Paket mit kühlungspflichtigen Medikamenten so lange in einem Hausflur liegenbleibt, bis die Kühlkette unterbrochen ist?
Van Velthoven: Wir übergeben das Paket an den Kunden, aber was danach passiert, wissen wir nicht. Solche Dinge lassen sich tatsächlich nicht vollständig kontrollieren. Gleichzeitig ist aber auch nicht auszuschließen, dass beispielsweise ein Patient seine temperaturempfindlichen Medikamente im Sommer in einer stationären Apotheke kauft, sie dann in sein Auto legt und anschließend zwei Stunden lang einkaufen geht. Solche Dinge passieren. Der sogenannte „Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel” der EU beinhaltet auch deswegen eine Vielzahl von Vorschriften, die wir einhalten müssen, um Medikamente sicher in EU-Mitgliedstaaten versenden zu können. Wenn wir diese Vorschriften nicht einhalten, wissen wir, was das für Konsequenzen hat. Wir nehmen unsere Verantwortung sehr ernst.
In Deutschland gelten für Apothekenbetreiber besondere Regeln, die es ihnen teils recht schwer machen, mit großen, ausländischen Wettbewerbern zu konkurrieren. Das Fremdbesitzverbot schreibt etwa vor, dass nur approbierte Apotheker als natürliche Personen eine Apotheke besitzen und betreiben dürfen. Investoren dürfen das nicht. Ein Mehrbesitzverbot schreibt zudem vor, dass die Apotheker neben ihrer Hausapotheke nicht mehr als drei Filialapotheken betreiben dürfen.
Van Velthoven: Nun, die Interessenvertreter der Vor-Ort-Apotheken kämpfen aber auch dafür, dass diese Rahmenbedingungen genau so bestehen bleiben. Das Fremdbesitzverbot – das es nebenbei auch in Österreich gibt – hält für uns übrigens auch einige Hürden bereit. Denn wir als Unternehmen dürfen damit in den Ländern ja selbst keine stationären Apotheken betreiben. In den Niederlanden können stattdessen auch Nicht-Apotheker Eigentümer oder Anteilseigner einer Apotheke sein. Auch deshalb haben wir bei Redcare Pharmacy uns in den Niederlanden niedergelassen.
Canonico: In Deutschland gibt es trotz des Fremdbesitzverbots außerdem schon viele stationäre Apotheken, die ihre Medikamente auch online verkaufen. Sie alle haben die Bedeutung und die Chancen erkannt, die sich einem bieten, wenn man Patienten auch digitale Dienste zur Verfügung stellt. Natürlich stellt die Finanzierung immer eine gewisse Hürde dar, aber am Ende ist es kein Markt, auf dem nur die großen Konzerne gewinnen können. In vielen Fällen braucht es natürlich auch noch einen kulturellen Wandel in der Branche.
Teile der Branche fordern in Deutschland nun trotzdem wieder ein Verbot des Online-Verkaufs von verschreibungspflichtigen Medikamenten. Wie wahrscheinlich ist es, dass die Politik dem nachkommt?
Van Velthoven: Es ist überhaupt nicht wahrscheinlich. Stattdessen wächst die Erkenntnis, dass Online-Apotheken eine wichtige Rolle im heutigen Gesundheitssystem spielen.
Wird die Liste der EU-Länder, in denen der Online-Handel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten erlaubt ist, in Zukunft also länger?
Canonico: Leider ist das auch für uns ein Blick in die Kristallkugel. Was wir sagen können, ist, dass auf EU-Ebene zunehmend das Verständnis für die Bedeutung der Digitalisierung der Gesundheitssysteme und der Kontrolle der Patienten über ihre Gesundheitsdaten wächst. In diesem Zusammenhang gibt es eine neue Verordnung, die im März 2025 in Kraft getreten ist – sie heißt „Europäischer Gesundheitsdatenraum”. Diese Verordnung stellt in einem ihrer wichtigsten Artikel Online-Apotheken und stationäre Apotheken auf die gleiche Stufe. Das gibt uns Hoffnung, dass eine Gleichbehandlung in Zukunft auch in anderen rechtlichen Bereichen gelten könnte und dass sich mehr Länder für den Online-Verkauf von verschreibungspflichtigen Medikamenten öffnen könnten. Ein weiterer Grund zur Hoffnung ist MyHealth@EU.
Was ist das?
Canonico: Das ist eine obligatorische Infrastruktur, die es Patienten in der EU künftig ermöglichen soll, ihr E-Rezept in den Apotheken sämtlicher EU-Mitgliedsländer einzulösen. Derzeit ist das noch nicht der Fall. Wenn die Infrastruktur kommt, besteht praktisch keine Notwendigkeit mehr, den Online-Verkauf von verschreibungspflichtigen Medikamenten zu verbieten. Denn Einwohner eines EU-Landes, in dem dies noch verboten ist, können einfach in ein anderes EU-Land reisen, in dem das erlaubt ist, und dort ihre Medikamente online erhalten.
Das Interview führte Karolin Rothbart.
