Im InterviewHansjörg Müller und Jan Middelhoff, Tonies SE

„Wir sind kein Spielwarenhersteller“

Das Unternehmen hinter der bei Kindern beliebten Toniebox steigt in den SDax auf. Der alte und der neue Finanzchef erzählen, wie das Geschäft läuft und warum die Tonies SE kein Spielwarenhersteller sein will.

„Wir sind kein Spielwarenhersteller“

Im Interview: Hansjörg Müller und Jan Middelhoff

„Wir sind kein Spielwarenhersteller“

Der Hörspiel-Boxen-Hersteller Tonies wächst rasant und steigt nun in den SDax auf – dank einer Strategie, die an Abomodelle erinnert

Was früher der Kassettenspieler im Kinderzimmer war, ist heute die Toniebox. Die Hörspielkassetten von einst sind aufsteckbare Figuren namens Tonies. Das Unternehmen dahinter steigt nun in den SDax auf. Der alte und der neue Finanzchef erzählen, wie das Weihnachtsgeschäft läuft und warum die Tonies SE kein Spielwarenhersteller ist.

Das Interview führte Daniel Schnettler.

Herr Müller, Herr Middelhoff – Black Friday ist gerade gewesen, das Weihnachtsgeschäft läuft noch. Wie verkaufen sich die neuen Produkte, allen voran die Toniebox 2?

Hansjörg Müller: Wir sind in der Tat in der heißesten Phase des Jahres. Das vierte Quartal ist mit einem Umsatzanteil von etwa 50% sehr wichtig für uns. Da zählt jede Woche. Ich bin zuversichtlich, dass wir unsere Jahresziele erreichen. Wir haben mit dem Verkaufsstart der Toniebox 2 vom ersten Tag an gute Signale erhalten, auch schon vor dem Black Friday. Ich habe mir definitiv das beste Quartal ausgesucht, um hier anzufangen.

Jan Middelhoff: Wir haben ein sehr vorhersagbares Geschäftsmodell. Der durchschnittliche Kunde besitzt nach viereinhalb Jahren 20 Tonies. Das hat sich seit dem Start der Box kaum verändert. Das ist fast wie ein Abonnement, so konstant kaufen die Kunden die Tonies für ihre Kinder. Das macht es auch leichter, das Weihnachtsgeschäft zu planen. Aber natürlich liegt die Wahrheit auf dem Platz.

Ändert sich an dieser Kalkulation etwas mit der Toniebox 2, die ja auch Spiele beherrscht?

Müller: Unser Ziel ist es, mit der Toniebox 2 zusätzliche Altersgruppen zu erschließen. Zum einen die Jüngeren: Unsere Box ist jetzt für Kinder 1+ zertifiziert – und zwar in allen Ländern. Deshalb bieten wir Eltern neue Features – sie können etwa aktivieren, dass die Box nicht lädt, während man spielt – sowie Tonies speziell für Kleinkinder. Die neuen Spiele richten sich wiederum mehrheitlich an die Älteren. Sie können unter Single- und Multiplayer-Spielen auswählen, die mit einem Controller bedient werden – zum Beispiel interaktive Geschichten oder Quizspiele für Kinder oder auch die ganze Familie.

Das heißt, die Toniebox 2 kann länger genutzt werden von den Kindern?

Müller: Das ist der Gedanke dabei. Wir sehen schon jetzt, dass einerseits viele Tonieboxen in Haushalten mit jüngeren Kindern aktiviert werden – und dass andererseits Spiele besonders bei den vergleichsweise älteren Kindern beliebt sind. Das sind zwar erfreuliche Frühindikatoren, aber wir haben noch kein konkretes Ziel vor Augen, wie viele Jahre eine Toniebox 2 nun zusätzlich laufen wird und wie viele Tonies wir in dieser Zeit an neue Zielgruppen verkaufen werden.

Andere Spielwarenhersteller haben Absatzschwierigkeiten, Sie planen ein Umsatzwachstum von mehr als 25% in diesem Jahr. Was ist das Geheimnis?

Middelhoff: Zuerst einmal: Wir sind kein Spielwarenhersteller, wir sind eine Plattform, vielleicht am ehesten vergleichbar mit einer Spielekonsole. Wir haben ein unschlagbar gutes Produkt für die Zielgruppe. Die durchschnittliche Toniebox wird rund 40 Minuten am Tag gehört! Wir sind in wenigen Märkten, die machen wir aber richtig. Es ist wichtig, nicht zu schnell zu viel zu wollen.

Müller: Wir verkaufen zwar keine Abonnements, aber das Kaufverhalten unserer Kunden ist durchaus damit vergleichbar: Selbst wenn wir heute aufhören würden, die Toniebox zu verkaufen, hätten wir noch viele Jahre ein sehr ertragreiches Geschäft mit den Tonies.

Der nordamerikanische Markt, der bislang treibende Kraft war, ist im dritten Quartal beim Wachstum aber nur auf Augenhöhe mit der DACH-Region. Woran liegt das?

Middelhoff: In den USA haben wir ein super gesundes Wachstum. Es gibt Basiseffekte, eben weil wir so schnell wachsen. Deshalb warne ich davor, uns nur auf Quartalsbasis zu vergleichen. Hinzu kommt: Die Händler wussten, dass eine neue Toniebox kommt und hatten sich im ersten Halbjahr mit Bestellungen zurückgehalten und diese dann im dritten Quartal mit der Toniebox 2 nachgeholt, vor allem in der DACH-Region. In Nordamerika kam die Toniebox zudem erst im Oktober auf den Markt, in allen anderen Regionen bereits im dritten Quartal.

Müller: Für das Gesamtjahr gehen wir davon aus, dass wir in Nordamerika währungsbereinigt stärker wachsen als im Gesamtunternehmen. Die von Jan angesprochenen Phaseneffekte fallen natürlich umso stärker aus, wenn man ein neues Kernprodukt einführt – so wie wir es in diesem Jahr mit der Toniebox 2 getan haben. Für uns zählt die Ganzjahresbetrachtung.

In den USA erwirtschaftet Tonies mehr als ein Drittel des Umsatzes. Wie sehr belasten sie die Zölle?

Middelhoff: Zum Glück haben wir eine Toolbox zur Hand. Uns war sehr klar: Wenn Trump Präsident wird, dann werden wir Zölle sehen. Deswegen haben wir unsere Lieferkette frühzeitig neu ausgerichtet. Zudem haben wir die Preise für die Tonies sofort nach Bekanntwerden der Zölle zum 1. Mai erhöht: von 17,99 Dollar auf 19,99 Dollar. Das haben die Kunden akzeptiert. Wir haben keine Volumeneffekte gesehen.

Müller: Die Planbarkeit hat sich für uns in den letzten Monaten extrem verbessert. Wir haben unsere Supply Chain diversifiziert, neben China zusätzlich eine Fabrik in Vietnam eröffnet – und zwar am 1. April, einen Tag vor dem sogenannten Liberation Day. In Zukunft sollte es keine größeren Auswirkungen mehr geben.

Welche Märkte abseits der USA wachsen denn momentan am schnellsten?

Müller: Das größte prozentuale Wachstum sehen wir natürlich in Märkten, die wir im vergangenen Jahr noch kaum bedient haben, namentlich Australien und Neuseeland. Aber auch Frankreich und Großbritannien laufen gut. Es gibt kein Land, mit dem wir nicht zufrieden sind.

Middelhoff: In Deutschland wissen wir, dass jedes zweite Kind eine Toniebox hat. Das ist ein mordsmäßiger Erfolg. Wenn wir es nur annähernd schaffen, das international zu replizieren, wäre das sensationell. Dass es in anderen Märkten funktioniert, sehen wir in den USA. Dieses Produkt steht noch am Anfang seiner Reise, wenn wir auf die Weltkarte schauen.

Was erwarten Sie sich denn vom Aufstieg in den SDax?

Müller: Das war für uns keine wirkliche Überraschung. Wenn es nicht in diesem Quartal passiert wäre, dann im nächsten. Natürlich gibt uns das mehr Sichtbarkeit für einen breiteren Investorenkreis. Ich erhoffe mir vor allem eine weitere Verbesserung unserer Liquidität. Da hat sich auch schon etwas getan – sonst wären wir nicht in den SDax gekommen.

Ihr Streubesitz liegt bei gerade mal 44% – würden Sie sich hier eine Veränderung wünschen?

Müller: Unsere Ankeraktionäre sind sehr gute strategische Partner, das habe ich gleich bei meinen ersten Gesprächen festgestellt. Ich fühle mich da gut aufgehoben.

Wie muss man sich denn ihrer beider Zusammenarbeit vorstellen? Herr Middelhoff ist ja noch bis zum Jahresende an Bord.

Müller: Wir sitzen in einem Büro. Jan hat mich Investoren, Bankern und anderen Stakeholdern vorgestellt. Wir hatten einen genauen Plan. Drei Monate Übergangszeit sind schließlich nicht selbstverständlich. Die Erfahrungsweitergabe ist super. Ich bin sowieso von der gesamten Organisation sehr herzlich empfangen worden.

Middelhoff: So ein Tandem macht schon Spaß, wenn es wie in diesem Fall so gut passt. Die Nachfolgesuche war auch ein sehr bewusster Prozess. Ich bin froh, dass uns ein reibungsloser Übergang auf der CFO-Position gelungen ist.

Herr Müller, wie unterscheidet sich Tonies von ihren bisherigen internationalen Arbeitgebern?

Müller: Gar nicht so sehr. Ich bin auch nicht gekommen, um etwas zu revolutionieren. Netflix und Electronic Arts sind sehr ähnlich in ihrer Ausrichtung auf die Kunden. Von Procter & Gamble kenne ich natürlich die Retail-Komponente, also wie man ein Produkt von einer weit entfernten Produktionsstätte in die Regale respektive die Haushalte bringt.

Herr Middelhoff, wie fühlt sich der Abschied für Sie an?

Middelhoff: Das war eine ganze tolle Zeit bei Tonies, auf die ich dankbar und zufrieden zurückblicke. Wir sind ja noch keine zehn Jahre am Markt und haben so viele Evolutionsstufen durchlaufen – und alle Versprechen, die wir gemacht haben, eingehalten. Ich freue mich jetzt aber darauf, mehr Zeit mit der Familie verbringen zu können und Tonies von der Seitenlinie aus anzufeuern. Und ich sehe, dass das Unternehmen in besten Händen ist.