Arno Antlitz, Volkswagen AG

„Wir streben nach wie vor einen Börsen­gang im Schluss­vierteljahr an“

VW-Finanzvorstand Arno Antlitz glaubt trotz schwierigen Marktumfelds an ein Porsche-IPO im laufenden Jahr, will die Sparziele trotz steigender Rohstoffkosten halten und sieht für sich trotz zahlreicher externer Krisen viel Gestaltungsspielraum.

„Wir streben nach wie vor einen Börsen­gang im Schluss­vierteljahr an“

Sebastian Schmid.

Herr Antlitz, Sie sind seit April 2021 Finanzvorstand von Volkswagen. Was waren Ihre Schwerpunkte im ersten Jahr?

Wir haben jetzt das zweite Jahr in Folge deutliche Einschränkungen gespürt durch die Covid-Pandemie und die Halbleiterengpässe. Ich denke, wir haben gezeigt, dass wir mit Herausforderungen deutlich besser umgehen können als noch in der Vergangenheit. 20 Mrd. Euro operatives Ergebnis, ein starker Cashflow und eine hohe Netto-Liquidität. Das sind robuste Zahlen. Gleichzeitig haben wir weiter in die Transformation investiert. Dieser Zweiklang war auch mein Schwerpunkt im vergangenen Jahr: Das Geschäft robust zu halten, den Break-even abzusenken, die Gemeinkosten zu reduzieren und gleichzeitig den Elektrohochlauf voranzutreiben, die Investitionen in Richtung Elektromobilität und Digitalisierung voranzubringen, den eigenen Batteriehochlauf zu unterstützen und, last but not least, das Porsche-IPO zu prüfen. Das Spannende am Job als CFO in der jetzigen Zeit ist eben auch die Gestaltungsmöglichkeit. Normalerweise liegt der Fokus auf Margen- und Liquiditätssteuerung. Aktuell kommt die finanzielle Steuerung der Transformation hinzu. Das ist schon sehr spannend, das mitgestalten zu können.

Ihr Gestaltungsspielraum war aber auch eingeengt. Sie haben die Lieferkettenproblematik für die Autoindustrie angesprochen. Der grausame Krieg in der Ukraine bringt weitere, auch wirtschaftliche Herausforderungen. Hat das nicht viel Aufmerksamkeit absorbiert?

Unser Ziel war in diesem Umfeld natürlich, die operative Produktion und die Lieferketten zu stabilisieren, um die Auswirkungen zu begrenzen. Gleichzeitig haben wir mit der Priorisierung der verfügbaren Halbleiter versucht, die Marge zu stabilisieren. Zugleich haben wir auf die Kostenseite eingewirkt – insbesondere durch unser Gemeinkostenprogramm. Das war ursprünglich aufgesetzt, unsere Transformation zu finanzieren. In der aktuellen Situation hat es uns aber auch geholfen, unser Ergebnis zu stabilisieren und den Break-even abzusenken. Die Kunst ist es, die kurzfristigen Fixkosten abzusenken, ohne die notwendigen Investitionen in Zukunftsthemen zu beeinträchtigen. Und da hat man als CFO schon einen gewissen Gestaltungsspielraum.

Wo haben Sie gespart?

Das waren natürlich Reisetätigkeiten und Marketing-Aktivitäten. Wir haben aber auch Projekte auf den Prüfstand gestellt, deren Renditeaussichten vielleicht doch nicht so hoch waren wie ursprünglich gedacht. Wir konnten zudem die Prozessoptimierung im indirekten Bereich beschleunigen, auch in den Werken. Was wir nicht in Frage gestellt haben, waren die Investitionen in den Hochlauf der Elektromobilität. Gerade erst haben wir in Emden unser zweites Elektroautowerk in Deutschland für den MEB nach dem Umbau angefahren. Die Software- und Entwicklungsaktivitäten in der Tochter Cariad haben wir ebenfalls weiter aufgebaut.

Können Sie den Umfang der Einsparungen beziffern?

Wir hatten uns vorgenommen, von den Gemeinkosten im Konzern, die rund 40 Mrd. Euro betragen, etwa ein Zehntel einzusparen. Das entspricht also rund 4 Mrd. Euro jährlich, die wir von 2019 bis 2023 erreichen wollten. Wir haben das Ziel aber im Wesentlichen schon 2021 erreicht. Wir sind also praktisch in der Hälfte der Zeit durchgekommen und nun gilt es, das Niveau zu halten. Denn wir sehen uns natürlich mit Kosten-, Rohstoff- und Energiepreissteigerungen konfrontiert. Daher muss das Ziel jetzt erst einmal sein, das Niveau zu halten.

Da Sie gerade die Energiepreise ins Spiel bringen: Sie stellen ihren Kraftwerksbetrieb in Wolfsburg von Kohle auf Erdgas um. Wie haben Sie sich hier abgesichert, falls es zu einem Importstopp von russischem Gas kommt?

Noch sind wir nicht umgestellt. Wir sind derzeit aber in der Umstellung. Derzeit läuft das Kohlekraftwerk noch, während das Gaskraftwerk hochläuft. Beide laufen also parallel. Das gibt uns eine gewisse Flexibilität. Wir beobachten natürlich sehr genau, was in den nächsten Tagen und Wochen passiert. Derzeit haben wir noch nicht entschieden, wann wir das Kohlekraftwerk final abschalten.

Auch mit Blick auf die Lieferketten drohen weitere, neue Herausforderungen. Was macht VW, um diese robuster zu gestalten?

Die aktuelle Herausforderung für die Lieferketten ist die Versorgung der Produktion mit Kabelsträngen aus der Ukraine. Das führt bei uns dazu, dass einzelne Werke immer wieder Schichten ausfallen lassen müssen. Wir werden aber aus der Ukraine noch einschichtig beliefert, was wir unseren Partnern in der Ukraine und deren Mitarbeitern sehr hoch anrechnen. Die Werke sind dort weit im Westen angesiedelt und damit weiter entfernt von den unmittelbaren Kriegshandlungen.

Was waren die ersten Schritte, die Probleme zu adressieren?

Wir haben einen Krisenstab aufgesetzt und zum Teil auch Umfänge in andere Fertigungsstätten derselben Lieferanten verlagert. Damit versuchen wir die Belieferung zu stabilisieren. Die Alternativstandorte sollen die Produktionsstätten in der Ukraine langfristig allerdings nicht ersetzen. Wir stehen zu unseren bestehenden Lieferanten-Standorten in der Ukraine und unterstützen, wo wir können.

Wie sieht die Halbleitersituation mittlerweile aus?

Hier hat sich die Lage noch nicht entspannt. Wir sehen 2022 noch immer eine strukturelle Unterversorgung, die sich erst im dritten, vierten Quartal etwas entspannen dürfte. Die erste Aufgabe ist es hier, eine stärkere Transparenz in der gesamten Lieferkette zu schaffen. Über langfristigere Verträge mit Kapazitätsabsicherung wollen wir dann unsere Lieferketten stabilisieren.

Wann wird nach Ihrer Einschätzung die strukturelle Unterversorgung mit Halbleitern ausgestanden sein?

Die Lage dürfte aus unserer Sicht 2023 zwar besser, das strukturelle Problem aber noch nicht vollumfänglich behoben sein. Die Branchenbeobachter von IHS erwarten, dass die Produktion 2023 in etwa wieder auf dem Niveau von 2019 liegen wird.

Bei einem deutlich höheren Bedarf?

Genau. Daher kommt auch die strukturelle Unterversorgung, die sich erst 2024 auflösen dürfte.

Beim Thema Software und Digitalisierung setzen Ihre beiden Wettbewerber BMW und Mercedes-Benz Group mit Qualcomm und Nvidia auf Partner aus der US-Chipbranche. Ist das für VW auch ein Modell?

Der Aufbau von Softwarekompetenz ist für uns ein wichtiges Strategiefeld. Das machen wir in Eigenverantwortung, weil wir hier schon in 2030 einen wesentlichen „profit pool“ sehen, nahezu gleichwertig mit den Erlösen aus dem Geschäft mit Verbrennern oder Elektro-Fahrzeugen. Wir wollen deshalb auch im Bereich Software die Wertschöpfung in der eigenen Hand behalten. Die Frage, die sich für jeden Autobauer stellt, ist: Wie kommt man zu dieser Kompetenz? Für uns ist wichtig, dass wir eine deutlich höhere Eigenfertigungstiefe erreichen. Und das geht bis hin zum Chipdesign. Die Fertigung der Chips streben wir allerdings nicht an.

Aber glauben Sie wirklich, dass Sie diese Kompetenzen dauerhaft in Deutschland oder gar in Wolfsburg aufbauen können? Die meisten Tech-Talente zieht es eher nach Kalifornien oder andere attraktive Orte…

Die Einheit, in der diese Kompetenz aufgebaut wird, ist die Cariad und wir haben hier schon erhebliche Fortschritte gemacht. Wir haben zwei große Zentren derzeit – eines in Wolfsburg und eines in Ingolstadt. Hinzu kommen weitere Standorte in Deutschland, beispielsweise Berlin. Aber es gibt auch eine Tochter in den USA und vor allem bauen wir aktuell eine Cariad-Tochter in China auf. Das werden die wesentlichen Standorte sein, an denen wir die Kompetenz hochfahren wollen.

Und Zukäufe sind da eine Option?

Es ist zu früh, über konkrete Ziele zu spekulieren. Aber natürlich bleibt neben dem organischen Wachstum auch eine Verstärkung über Zukäufe eine Option.

Mehr als eine Option ist mittlerweile der Porsche-Börsengang. Wie sehen da die Planungen aus?

Das Porsche-IPO könnte im vierten Quartal dieses Jahres stattfinden. Es gab da zuletzt viele Spekulationen um den Zeitpunkt, aber wir streben nach wie vor einen Börsengang im Schlussvierteljahr an. Das wäre ein weiterer wichtiger Baustein im Rahmen unserer Transformation. Porsche würde von der gestiegenen unternehmerischen Freiheit profitieren. Volkswagen würde zudem mehr finanzielle Flexibilität für die Finanzierung der Transformation gewinnen.

Wofür zum Beispiel?

Über Cariad haben wir ja bereits gesprochen. Das gilt noch mehr für unsere Batterieaktivitäten, die aus heutiger Sicht einen noch viel höheren Investitionsbedarf haben. Wir peilen sechs Gigafactories in Europa an. Allein dafür veranschlagen wir rund 20 Mrd. Euro. Das ist ein wesentlicher Strategie-Baustein. Denn nur wer die Batterielieferkette gut abbilden kann, hat einen Vorteil beim Skalieren der Elektromobilität. Hinzu kommt das Absichern der Rohstoffkette. Ein Porsche-IPO könnte uns hier deutlich mehr Flexibilität in der Finanzierung bringen.

Die enge Kooperation in einigen Zukunftsfeldern sowie bei technischen Themen soll aber erhalten werden?

Die industrielle Kooperation zwischen der Marke Porsche und Volkswagen wird umfassend erhalten bleiben. Ein Beispiel dafür ist die enge gemeinsame Entwicklungszusammenarbeit zwischen Porsche und Audi bei der Entwicklung der kommenden Elektroplattform PPE, die 2023/2024 anlaufen wird. Außerdem werden die markenübergreifenden Töchter wie Cariad oder auch die für das Batteriegeschäft zuständige Einheit dafür sorgen, dass die Zusammenarbeit erhalten bleibt.

Im Batteriegeschäft spielen Skaleneffekte eine enorme Rolle. Sollen hier mittelfristig neben Volkswagen und Porsche auch weitere Dritte zu MEB-Partner Ford hinzukommen?

Wir sind offen für die Belieferung Dritter. Das zeigt ja auch die Kooperation mit unserem Partner Ford, der die Elektroplattform MEB nutzt. Auch finanzierungsseitig sind wir offen für Partner bis hin zu einem IPO des Batteriegeschäfts, den wir nicht ausschließen.

Wie aufwendig wäre es, dieses an die Börse zu bringen?

Die Batterieaktivitäten sind jetzt schon so gestaltet, dass ein späterer Börsengang gut möglich wäre. Wir haben die Tochter gleich als SE gegründet.

Eine Herausforderung für das Batteriegeschäft ist sicher auch die Rohstoffsicherung. Wo stehen Sie da derzeit?

Der Fokus liegt zunächst klar auf dem Aufbau der Gigafactories in Europa. Für Spanien haben wir gerade ein weiteres Werk angekündigt. In Salzgitter wird bald der Spatenstich erfolgen. Neben dem Aufbau dieser Produktionskapazität kommt der Absicherung der Rohstoffversorgung entlang der Lieferkette aber auch eine hohe Bedeutung zu.

Die Elektromobilität ist zuletzt sicher eher schneller gewachsen als prognostiziert. Müssen Sie Ihre Planungen für den Hochlauf wie andere Autobauer eventuell ehrgeiziger gestalten?

Die Nachfrage nach unseren batterieelektrischen Fahrzeugen ist tatsächlich unglaublich hoch. Leider haben wir dadurch sehr lange Lieferfristen. Im Rahmen unserer Strategie hatten wir gesagt, dass wir 2025 weltweit 20% Elektrofahrzeuge anbieten wollen und 2030 dann rund 50% unseres Absatzes vollelektrisch sein wird. Natürlich schauen wir uns an, ob wir in Europa oder auch in den USA den Hochlauf etwas beschleunigen können. Die Möglichkeit der Beschleunigung hängt aber an der Verfügbarkeit von Batterien und Batteriezellen.

Eine Herausforderung in der Elektromobilität bleibt die Marge. Wann wird VW mit den batterieelektrischen Fahrzeugen die Verbrenner-Margen erreichen?

Wir hatten ursprünglich prognostiziert, dass das zwei bis drei Jahre dauern dürfte, sind bei dem Pfad aber etwas schneller vorangekommen. Das liegt auch an der guten Nachfrage und weil wir den Elektrobaukasten, den MEB, mittlerweile weltweit skalieren. Wir haben gerade das zweite MEB-Werk in Deutschland angefahren. Im US-Werk in Chattanooga läuft im Sommer der ID.4 vom Band und auch in China produzieren wir den MEB in zwei Werken. Dieses größere Volumen sorgt auch dafür, dass wir die Marge doch schneller steigern konnten. Allerdings gilt es jetzt, die stark steigenden Rohstoffkosten im Blick zu behalten, insbesondere für Batterien. Zeitgleich steigen jedoch auch die Rohstoffkosten auf der Verbrennerseite.

Wie sieht es überhaupt mit den Margen auf der Verbrennerseite aus? Gehen die mit sinkendem Absatz nicht auch zurück?

Eine der Kernaufgaben für uns ist es, die Verbrennerautos, solange sie noch angeboten werden, produkt- und ertragsseitig wettbewerbsfähig zu halten. Denn diese müssen die Transformation auch ein Stück weit mit finanzieren. Mit den zurückgehenden Volumina in Richtung 2030 müssen wir also auch die Zahl der Modelle reduzieren. Sonst lassen sich die Skaleneffekte nicht halten. Wir wollen die Zahl der Verbrenner-Modelle bis dahin um 60% reduzieren. Das hört sich nach viel an, ist aber nötig, wenn man bedenkt, dass wir erwarten, dass deren Anteil am Absatzvolumen bis dahin auf 50% zurückgehen dürfte.

Aber kann das reichen?

Wir haben bei Volkswagen beste Voraussetzungen, die Margen zu halten. Unser modularer Querbaukasten (MQB) hat eine starke Produktsubstanz. Und weil er so flexibel gestaltet wurde, haben wir die Möglichkeit, die Verbrenner-Fahrzeuge verschiedener Marken auf MQB-Basis in einem Werk zu bündeln. So können wir schrittweise immer mehr Werke auf MEB umrüsten und die Verbrenner in den verbleibenden MQB-Werken bündeln.

Ein Markt, wo Volkswagen mit den Verbrennern top aufgestellt ist, aber bei E-Autos noch Nachholbedarf hat, ist China. Wie sehen Sie dort die Aussichten?

Zunächst einmal ist Volkswagen nach wie vor mit Abstand die Nummer 1 im chinesischen Markt. Mittelfristig wollen wir dort mit den E-Fahrzeugen eine ähnlich starke Position aufbauen wie mit den Verbrennern. Das Jahr 2021 war extrem stark geprägt von der Verfügbarkeit oder besser Nichtverfügbarkeit von Halbleitern – im Verbrennerbereich aber auch bei elektrisch angetriebenen Fahrzeugen. Die MEB-Fahrzeuge kommen in Europa und den USA sehr gut an, wir haben die Skaleneffekte. Die chinesischen Kunden fordern technologieseitig sehr viel mit Blick auf den Innenraum und chinesische Digital-Features. Das haben wir erkannt und werden mit Cariad Software in China lokal für den chinesischen Markt entwickeln und schnell in die Fahrzeuge bringen.

Was war der Bremsklotz bislang für VWs E-Autos in China?

Das war sicher die Halbleiterthematik, vor allem gegen Ende des Jahres. Wir haben in 2021 nach verhaltenem Auftakt am Ende noch rund 90 000 E-Autos in China abgesetzt. Unser Ziel für 2022 ist in etwa eine Verdopplung auf ca. 180 000 Stück. Allerdings gilt das natürlich vorbehaltlich der Covid-Situation in China.

Bleibt noch die Frage der Beteiligung der Aktionäre am Erfolg. Viele Vorzugsaktionäre ärgern sich über den geringen Abstand der Dividende von nur 6 Cent zu den Stammaktionären. Werden Sie das in den nächsten Jahren adressieren?

In der Satzung ist ja festgeschrieben, dass die Vorzugsaktionäre eine um 6 Cent höhere Dividende erhalten…

Mindestens…

Für das Geschäftsjahr 2021 schlagen wir ja eine Dividende von 7,50 Euro für die Stammaktionäre vor und 7,56 Euro für die Vorzugsaktionäre. Aus historischer Sicht ist das ein starkes Signal.

Mit der immer höheren Dividende nivelliert sich allerdings auch der Unterschied zwischen Vorzugs- und Stammaktionären…

Auch die Vorzugsaktionäre profitieren vom starken Anstieg der Dividende.

Das Interview führte