„Wir wollen Brücken in die Ukraine bauen“
Im Interview: Harald Nikutta
„Wir wollen Brücken in die Ukraine bauen“
Neues Deutsch-Ukrainisches Privatwirtschaftsinstitut unterstützt Unternehmen und Investoren in Projekten zum Wiederaufbau des Landes
Vor wenigen Wochen haben Unternehmensberater unter Schirmherrschaft des Heidelberger Oberbürgermeisters das Deutsch-Ukrainische Privatwirtschaftsinstitut gegründet. Die Initiatoren wollen den Wiederaufbau der Ukraine durch deutsche Investitionen fördern.
Herr Nikutta, Sie haben federführend das Deutsch-Ukrainische Privatwirtschaftsinstitut aus der Taufe gehoben, um deutschen Unternehmen und Investoren Geschäftschancen in der Ukraine aufzuzeigen. Welche Branchen stehen im Vordergrund?
An erster Stelle stehen diejenigen Branchen, die für den Wiederaufbau der Ukraine besondere Bedeutung haben. Neben dem Bau- und Energiesektor sind dies Logistik und IT. Perspektivisch wird es auch um die Agrarwirtschaft gehen, die besonderes Potenzial hat, auch unsere Nahrungsmittelversorgung qualitativ und preislich auf ein anderes Niveau zu heben.
Geht es vor allem um Wiederaufbau oder sehen Sie darüber hinaus Investitionsmöglichkeiten in dem Land?
Vorrangig geht es selbstverständlich um Wiederaufbau. Wir sehen in der Ukraine als EU-Beitrittskandidat allerdings Potenzial für Investoren aus allen Bereichen, das heißt von Unternehmen bis zu Finanzinvestoren. Denn jedes Wiederaufbauprojekt ist bereits eine Investitionschance, vor allem da die Ukraine ihre Infrastruktur wesentlich nachhaltiger aufbaut. Dabei wird auch gezielt nach Innovationen geschaut, die bereits in anderen Ländern genutzt werden und den Wiederaufbau beschleunigen können. Wir müssen uns vor Augen halten, dass der Wiederaufbau und die Modernisierung Investitionen von schlussendlich in Richtung von bis zu 1.000 Milliarden Euro tendieren werden, und es wird immer wieder eindringlich darauf hingewiesen, dass der Privatsektor hier den Löwenanteil leisten soll und wohl auch muss. Daher werden wir als Institut sorgfältig beobachten, welche Werkzeuge hier besonders tragfähig sind.
Gibt es Leuchtturmprojekte, die ein Bild vermitteln, wo Firmen anknüpfen könnten?
Es gibt eine ganze Reihe von Leuchtturmprojekten, von denen einige aus Deutschland kommen. Tatsächlich stehen diese aber weniger im Vordergrund. Unser Ziel besteht darin, das Erfolgskonzept dieser Projekte verständlich zu kommunizieren und in gewisser Weise Blaupausen zur Verfügung zu stellen, auf denen Unternehmen aufsetzen können. Dazu braucht es Dialoge in kleinem Kreis, bei denen auch vertrauliche Aspekte besprochen werden können. Uns ist es wichtig, dass von erfolgreichen Projekten gelernt werden kann und dies übrigens unabhängig vom Herkunftsort des Leuchtturmprojektes.
Es ist wenig zielführend, mit Pauschaleinschätzungen und Bildern anderer Zeiten zu arbeiten.
Harald Nikutta
Ist es für Investoren nicht fast unmöglich, Entscheidungen zu treffen und bei ihren Gesellschaftern und Geldgebern zu vertreten, wenn es um Chancen in einem Land geht, das einem Angriffskrieg ausgesetzt ist?
Ja, die Ukraine befindet sich in einem aufgezwungenen Krieg. Allerdings, wir müssen beachten, dass das Land sehr groß ist und daher die Sicherheitslage und Risikolandschaft einer differenzierten Betrachtung bedarf. Im Westen ist es wesentlich sicherer als im Osten. Und trotz der tragischen Zwischenfälle der letzten Wochen darf Kyjiw bei der Luftabwehr als die am besten geschützte Stadt in der Ukraine betrachtet werden. Es ist wenig zielführend, mit Pauschaleinschätzungen und Bildern anderer Zeiten zu arbeiten. Um der besonderen Sicherheitslage gerecht zu werden, können Unternehmen schon heute auf Werkzeuge des Echtzeitreportings zurückgreifen. Dies gilt insbesondere für die Duty of Care.
Sorgt das wirklich für Klarheit, was einen Investor in dem Land erwartet?
Ich empfehle den Menschen immer wieder, sich selbst ein Bild zu machen, also vor Ort ihre Einschätzung zu bilden und so auch fundiert Vorstellungen und Optionen zu evaluieren und zu einem möglichen Business Case zu entwickeln. In einem zweiten Schritt sind dann Besonderheiten wie die Investitionsgarantie des Bundes und auch die Förderlandschaft einzubeziehen.
Welche administrative Unterstützung und Netzwerke bieten sich für ausländische Investoren in der Ukraine an?
Wie in fast jedem anderen Land gibt es auch in der Ukraine eine Außenhandelskammer der Deutschen Wirtschaft und aus eigener Erfahrung möchte ich ausdrücklich betonen, dass der Geschäftsführer der AHK Ukraine, Reiner Perau, eine agile, kompetente und in der Zusammenarbeit einfach hervorragend aufgestellte Einrichtung aufgebaut hat. Aber es gibt auch eine ganze Reihe von ukrainischen Einrichtungen und Netzwerken, die wertvolle Unterstützung leisten können, zum Beispiel die Ukraine Invest für große Investitionsvorhaben. In Sachen Orientierung bieten sich die European Business Association an und insbesondere auch die AHK Ukraine.
Sie können sich kaum vorstellen, wie einfach es war, in den letzten zwei Jahren Kontakte im Land aufzubauen.
Harald Nikutta
Reicht das aus?
Wir müssen uns vor Augen halten, dass die Ukraine verstanden hat, wie wichtig Anschlussfähigkeit ist und hier intensiv arbeitet. Sie können sich kaum vorstellen, wie einfach es war, in den letzten zwei Jahren Kontakte im Land aufzubauen. Dies wird sicherlich schwerer, wenn mehr und mehr Unternehmen in das Land kommen. Unabhängig davon besteht unser Anliegen auch darin, den Unternehmen Navigation über die Vielfalt dieser Landschaft zu bieten und bereits etablierte Kontakte zu nutzen. Wir wollen Brücken in die Ukraine bauen.
Ist es für deutsche Firmen in einer solchen Konfliktlage überhaupt möglich, in der Ukraine noch zu produzieren oder Dienstleistungen anzubieten – schon die Logistik in dem Land dürfte sich schwierig gestalten?
Um es ganz klar zu sagen. Die meisten Unternehmen haben trotz des Krieges ihre Produktion fortgesetzt, und das gilt natürlich auch für die deutschen Unternehmen. Wenn sie nicht bereits im Westen angesiedelt waren, sind etliche Unternehmen dazu aus dem Osten des Landes in den Westen umgezogen.
Und die Lieferketten halten?
Natürlich ist die Logistik eine Herausforderung und war es ganz besonders im Herbst und Winter 2023. Wir müssen aber verstehen, dass die Ukraine ein hochagiles Land ist. So sind etliche neue Logistikrouten samt Grenzübergängen entwickelt worden und weitere werden entwickelt, was übrigens auch eine gute Investitionsmöglichkeit darstellt. Und da dies ein wichtiger Punkt ist, freuen wir uns mit Philipp Sweens, dem Geschäftsführer der Auslandsgesellschaften der HHLA, die auch den größten Container-Terminal in Odessa betreibt, einen ausgewiesenen Fachmann im Beirat zu haben.
Die USA haben sich in der Ukraine bereits Rohstoffe gesichert. In welche Wettbewerbssituation gehen deutsche Unternehmen, wenn sie Investitionschancen in der Ukraine suchen? Es gab Berichte, dass Investoren aus anderen Ländern schon deutlich aktiver sind?
Leider haben wir in Deutschland eine besondere Situation, denn trotz der Investitionsgarantie des Bundes, einer sehr aktiven Außenhandelskammer, einem engagierten Ost-Ausschuss und einigen Dingen mehr, wird einem Ukraine-Engagement vielfach mit großer Zurückhaltung begegnet. Die Gründe dafür reichen von anderen Prioritäten, einer generellen oder spezifischen Risikoaversion, blockierenden internen Maßgaben im Compliance-Bereich, vermeintlichen versicherungstechnischen Gründen, zurückhaltenden Banken bis hin zu negativen Vorerfahrungen aus Vorkriegszeiten. Gerade hier wollen wir als Initiatoren des Deutsch-Ukrainischen Privatwirtschaftsinstituts ansetzen.
Die Ukraine hat eine beachtliche Technologielandschaft, eine anwendungsfreundliche Innovationskultur und bietet die Möglichkeit, vieles ganz neu zu denken und auszuprobieren.
Harald Nikutta
Welche Fachkräfte sind ist in der Ukraine verfügbar? Junge Männer sind an der Front, viele andere qualifizierte Leute geflüchtet.
Die Verfügbarkeit von Menschen ist ein relevanter Aspekt, aber gerade deswegen gilt es, den Business Case zu entwickeln und dabei ganz genau auf dieses Thema zu schauen. Zugleich müssen wir uns von dem Gedanken trennen, die Ukraine ausschließlich als einen Standort für Industrieproduktion zu geringeren Lohnkosten zu sehen. Die Ukraine hat eine beachtliche Technologielandschaft, eine anwendungsfreundliche Innovationskultur und bietet die Möglichkeit, vieles ganz neu zu denken und auszuprobieren. Die Anwendung neuer Technologien wird vom Staat besonders vorangetrieben. Und mit Blick auf Arbeitskräfte gilt es zu beachten, dass ganz abgesehen vom Potenzial der Rückkehrenden intensiv Anwerbungen aus anderen Ländern stattfinden.
Welche staatlichen Fördertöpfe in Deutschland oder Europa unterstützen Investments oder Wiederaufbau in der Ukraine schon vor Kriegsende?
Es gibt eine Reihe von Fördertöpfen, die in erster Linie aus Krediten bestehen. Dies setzt allerdings voraus, dass die entsprechenden Projekte „bankable“ sind, und daran hapert es vielfach; dies auch, weil teils Anforderungen gestellt werden, die nur bedingt auf die Besonderheiten des Landes eingehen. Sicherlich müssen hier die Banken ihre Anforderungen überdenken. Daher gilt es im Einzelfall, den Dialog zu initiieren und diejenigen zu finden, die beweglich sind. Auch hier setzen wir als Institut an, um den Unternehmen die passenden Wege aufzuzeigen, die Förderungen wirksam nutzen zu können.
Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.