DAS CFO-INTERVIEW - IM INTERVIEW: ELMAR HEGGEN

"Wir zahlen keine Fantasiepreise"

Finanzchef von RTL erkennt auf TV-Werbemärkten noch keine strukturelle Trendwende - Kein Druck zu Dividendenausschüttung - 2017 winken 4 Euro je Aktie

"Wir zahlen keine Fantasiepreise"

– Herr Heggen, RTL hat sich die Erlösdiversifikation schon lange auf die Fahnen geschrieben. Im ersten Halbjahr 2017 ist es gelungen, den Erlösanteil der TV-Werbung unter 50 % zu drücken. Gibt es eine Zielgröße und bis wann soll diese erreicht werden?Unser Ziel ist es nicht, den Anteil der TV- und Radio-Werbung möglichst schnell nach unten zu treiben. Vielmehr zielen wir darauf ab, die Erlöse aus dem Plattform- und Digitalgeschäft auszubauen. Im Digitalgeschäft lag unsere erste Zielgröße bei 10 %. Diese Marke haben wir vergangenes Jahr geknackt. Jetzt wollen wir in den nächsten drei bis fünf Jahren 15 % erreichen – und ich bin sehr zuversichtlich, dass uns das auch gelingt.- Wie definieren Sie Digitalumsatz?Bei uns sind darin Online-Umsätze, die wir beispielsweise mit unseren Multiplattformnetzwerken wie BroadbandTV oder Stylehaul erzielen, enthalten. Daneben gehören die AdTech-Umsätze von SpotX und Smartclip dazu. Zudem werden die Erlöse hineingerechnet, die Fremantle Media mit dem Verkauf von Serien an Abonnement-Plattformen wie Netflix oder Amazon Prime generiert. Erlöse aus Homeshopping, E-Commerce oder Merchandising zählen wir nicht dazu, genauso wenig wie die sogenannten Plattform-Umsätze, die wir mit der Verbreitung der Sendersignale erzielen. Unsere Digitalerlöse sind im ersten Halbjahr um 48 % gewachsen, das Gros stammte dabei aus organischem Wachstum und nicht aus Konsolidierungseffekten.- Trotzdem ist RTL noch immer stark vom Werbemarkt abhängig, denn auch die Onlineplattformen verdienen ihr Geld mit Werbung. Wie groß ist der Anteil aus Werbeeinnahmen?Derzeit entfallen rund 60 % unserer Digitalumsätze auf Werbeeinnahmen. Die restlichen Digitalumsätze, das Inhaltegeschäft von Fremantle Media sowie die Plattform-Umsätze sind dagegen werbeunabhängig. Die Plattform-Umsätze stehen mittlerweile an fünfter Stelle, noch vor Radiowerbung.- Wie schätzen Sie die Entwicklung der Werbemärkte ein? Befinden wir uns in einer vorübergehenden Flaute oder handelt es sich um ein strukturelles Problem?Wir gehen davon aus, dass sich der deutsche TV-Werbemarkt in diesem Jahr weitgehend auf Vorjahresniveau bewegt. Das ist nach fünf Jahren das erste Mal, dass wir netto nicht spürbar wachsen. Es ist aber noch zu früh zu sagen, ob das ein Trend ist. Dennoch verstehen wir die Entwicklung als Signal, dass wir unsere Bemühungen in den anderen Bereichen eher noch beschleunigen müssen. Wir sitzen nicht hier und warten darauf, dass der Markt im nächsten Jahr wieder wächst. Vielmehr bereiten wir uns jetzt darauf vor, die anderen Geschäfte stärker zu skalieren.- Wie sieht es jenseits des deutschen Marktes aus?Da sieht es 2017 relativ ähnlich aus. Im ersten Halbjahr ist keiner der TV-Werbemärkte, in denen wir investiert sind, gewachsen. Aber wir haben uns insbesondere in unseren Kernmärkten Deutschland und Frankreich deutlich besser geschlagen als unsere Wettbewerber.- Dennoch wollen Sie nicht von einem strukturellen Wandel sprechen?Es gibt schlichtweg keine eindeutigen Daten, um daraus bereits einen Trend herauszulesen. Wir können derzeit nur beobachten, dass sich die TV-Werbemärkte in diesem Jahr nicht sonderlich gut entwickeln. Allerdings sehen wir nicht, dass ein struktureller Wandel im nächsten Jahr alles über den Haufen wirft.- Wenn man sich – Stichwort: Digitalisierung – anschaut, wie schnell sich das nicht lineare Fernsehen verbreitet hat, und weiß, dass Werbung ins Internet abwandert, könnte man zu einem anderen Schluss kommen.Ich stimme Ihnen zu, dass die nicht-lineare Nutzung stark zunimmt. In Deutschland liegt der geschätzte Anteil heute bei 10 %, bei den jüngeren Zielgruppen ist er höher. Wir gehen davon aus, dass sich dieser Anteil in den nächsten drei bis fünf Jahren auf 20 bis 30 % erhöhen wird. Dadurch wird die Reichweite der linearen TV-Sender zunehmend unter Druck kommen. Das bedeutet aber nicht zwingend, dass Werbegelder abwandern. In den USA ist die Reichweite des linearen Fernsehens in absoluten Zahlen zwar seit Jahren rückläufig. Dennoch hat man als Werbetreibender mit linearem Fernsehen noch immer die größte Reichweite. Zudem fließt das Werbegeld nicht auf die Abonnement-Plattformen wie Netflix ab, denn diese finanzieren sich nicht über Werbung – sie kosten uns aber unter Umständen Reichweite.- Wenn man in die Niederlande schaut, sieht man, wie Netflix den dortigen TV-Markt durcheinanderwirbelt. Das spürt RTL mit der eigenen Landesgesellschaft, insbesondere in der Ergebnisentwicklung. Fürchten Sie, dass hierzulande Ähnliches passiert?Die Niederlande sind hinsichtlich der Durchdringung von Abonnement-Fernsehen viel weiter. Holland ist aber ein relativ kleiner Markt mit 7,5 Millionen TV-Haushalten, die Inhalte seit Jahrzehnten in englischer Sprache konsumieren. Zudem ist Breitband-Internet dort beinahe zu 100 % verfügbar. Das ist in Deutschland anders, weil wir erstens in der Breitbandanbindung noch nicht so weit sind und zweitens die übergroße Mehrheit der Bevölkerung Filme und Serien in deutscher Sprache schauen will. Von daher glaube ich, dass Holland ein extremes Beispiel ist, während die Entwicklung in Frankreich und Deutschland deutlich langsamer verläuft.- Einig sind wir uns sicher darin, dass ein Teil der Werbegelder ins Internet abwandert. Davon profitieren Sie teilweise, wie ihre Digitalumsätze zeigen. Aber wie sieht es dort mit den Margen aus?Das ist ganz unterschiedlich. Im Bereich der Werbetechnologie, kurz: AdTech, erwirtschaften wir teilweise schon sehr ordentliche Margen von über 20 %. Andere Geschäfte wie BroadbandTV oder Stylehaul stecken dagegen noch in der Investitionsphase. Hier sind wir noch nicht profitabel, nähern uns aber dem Break-even. Diese Multiplattformnetzwerke werden auch langfristig keine Umsatzrendite von 30 % und mehr erwirtschaften. Viele der Geschäfte von BroadbandTV finden auf Plattformen wie Youtube statt. Dort behält der Plattformbetreiber einen großen Teil des Umsatzes ein. Absolut ist das Geschäft in den vergangenen Jahren natürlich enorm gewachsen und wird es auch weiterhin, so dass der Ergebnisbeitrag durchaus signifikant sein wird.- Von welcher Größenordnung gehen Sie mit Blick auf die operative Umsatzrendite bei diesen Geschäften aus?Die Multiplattformnetzwerke sollten im eingeschwungenen Zustand Margen um die 10 % abliefern. Die AdTech-Geschäfte liegen, wie gesagt, in den Margen heute schon höher. Im eingeschwungenen Zustand sollten dort Margen wie im werbefinanzierten Free-TV, also um die 30 %, durchaus erreichbar sein. In den anderen digitalen Geschäften gibt es große Unterschiede. Die werbefinanzierten Video-on-Demand-Angebote unserer Sender – zum Beispiel TV Now in Deutschland – generieren deutlich zweistellige Renditen. In diesem Geschäft gibt es sehr anständige Tausender-Kontakt-Preise, aber die Zeitfenster sind limitiert. Man kann am Anfang einen Werbespot setzen und vielleicht noch in der Mitte. Am Ende schaut kaum noch einer hin, und wenn der Werbeblock am Anfang zu lang ist, klicken viele Nutzer weg.- Die Zahlungsströme der neuen Geschäfte sind doch sicher andere. Was bedeutet das für die Cash-Conversion-Rate, eine für RTL ganz zentrale Steuerungskennziffer?Die Cash-Conversion-Rate zeigt, welcher Anteil unseres operativen Ergebnisses in Cash überführt wird. In den vergangenen Jahren lag die Rate üblicherweise zwischen 90 und 100 %. Mit dem Ausbau der Geschäfte mit den Abonnement-Plattformen müssen wir aber ganz andere Zahlungsrhythmen akzeptieren. Wenn Fremantle Media “American Idol” produziert und bei ABC abliefert, wird der Rechnungsbetrag zeitnah zur Ausstrahlung der Produktion überwiesen. Bei den Bezahlplattformen wird die Zahlung dagegen über zwei, drei Jahre verteilt. Diese Plattformen haben eine starke Einkaufsmacht und diktieren dem Markt die Zahlungsbedingungen – entweder man akzeptiert das oder man spielt nicht mit. Daher sehen wir in der Cash-Conversion-Rate leichte Bremsspuren. Mit 78 % im ersten Halbjahr liegen wir aber immer noch extrem hoch. Bei weiterem Ausbau dieser Geschäfte wird unsere Cash-Conversion-Rate aber ein Stück weit leiden, keine Frage.- Hat das dann auch Auswirkungen auf die Dividende?Nein. Üblicherweise schütten wir zwischen 50 und 75 % des normalisierten Nettogewinns aus. Zudem soll die Gruppe mit einer Verschuldung wirtschaften, die zwischen dem 0,5- und 1-Fachen des Ebitda (Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, Anm. d. Red.) liegt. Wenn neben der ordentlichen Dividende mit Blick auf die Verschuldung noch Spielraum ist, sind wir auch bereit, zusätzlich Dividende auszuschütten. Das haben wir seit 2013 durchgängig getan. Auch in diesem Jahr haben wir eine Zwischendividende von 1 Euro gezahlt. Zusammen mit der ordentlichen Dividende kämen wir auf 4 Euro. Das entspricht einer Dividendenrendite von über 5 %. Das ist wahrlich kein schlechter Wert, gerade angesichts der niedrigen Zinsen …- Wie frei sind Sie denn in Ihrer Dividendenentscheidung? Gut 75 % der Aktien liegen ja bei Bertelsmann.Wir haben keinerlei Druck, Dividende auszuschütten. Das liegt auch daran, dass 24,9 % unserer Ausschüttungssumme den Bertelsmann-Konzern verlassen. Unsere Cash-flows werden heute bei Bertelsmann voll konsolidiert. Wenn wir aber ausschütten, verlassen rund 25 % das System. Letztendlich hätte Bertelsmann gar keinen Nutzen davon, wenn wir in größerem Stil anfangen, uns höher zu verschulden, um noch höhere Dividenden auszuschütten. Das wäre unter Ratingaspekten kontraproduktiv.- Anstatt Sonderdividenden zu zahlen, könnten Sie das Geld auch in Akquisitionen stecken. Bei BroadbandTV haben Sie Anfang des Jahres die Call-Option für die restlichen 49 % ausgeschlagen. Wie geht es weiter?Wir haben alle Optionen in der Hand und wollen sicherstellen, im besten Interesse aller Aktionäre zu handeln. Wir wollen als strategischer, langfristiger Investor auftreten, aber die Investments müssen natürlich auch unseren Kriterien genügen. Grundsätzlich gilt: Wir zahlen keine Fantasiepreise.- Um welchen Betrag geht es?Es handelt sich um einen laufenden Prozess, von daher kann ich nicht über Zahlen reden. Wir wollen die strategischen Kerne in unserem Digitalgeschäft stärken, aber nicht um jeden Preis.- Anfang des Jahres war die Rede von einer Bewertung von 1 Mrd. Dollar.Den Betrag hat unsere Mitgesellschafterin ins Spiel gebracht. Wir reden hier über kanadische Dollar und nicht über Euro. Leisten könnten wir uns das durchaus, aber die genannte Bewertung ist aus unserer Sicht zu hoch. Bei SpotX gab es auch eine Call-Option. Dort waren wir am Ende jedoch mit einem Preis konfrontiert, der unseren Wertvorstellungen entsprach.- Die Geschichte erinnert so ein bisschen an Bertelsmann und Pearson mit Blick auf Penguin Random House. Welche Optionen sehen Sie bei BroadbandTV?Wir haben zahlreiche Optionen: Entweder kaufen wir zu einem vernünftigen Preis oder wir verkaufen gemeinsam, bringen das Unternehmen an die Börse oder wir holen einen strategischen Investor an Bord. Alle Optionen werden geprüft – genommen wird die Variante, die für unsere Aktionäre den größten Wert stiftet.- RTL hat sich vor Jahren doch ganz bewusst eine strategische Mehrheit gesichert. Ist der Verkauf ein realistisches Szenario?Das ist durchaus denkbar. Normalerweise wollen wir langfristig investieren. Wenn wir aber eine Bewertung für eine weitere Aufstockung als zu hoch einstufen, dieser Wert am Markt jedoch realisierbar scheint, dann müssen wir eine solche Opportunität sehr ernsthaft ausloten.- Sie sprachen schon mehrfach vom AdTech-Business. Was verbirgt sich hinter dem Begriff AdTech-Business?AdTech ist im Prinzip eine Handelsplattform für Onlinevideo-Werbung. Heute wird Werbezeit in der Prime Time des linearen Fernsehens noch traditionell verkauft, also nicht automatisiert. Das wird sich auf Sicht vermutlich auch nicht ändern. Aber in den anderen Zeitfenstern wie Late Night oder am Nachmittag werden auch im Fernsehen Werbezeiten zunehmend automatisiert verkauft werden. Ich bin davon überzeugt, dass wir neben den Inhalte- und Vermarktungskompetenzen auch Technologiekompetenz aufbauen müssen. Darum sind wir bei Smartclip und SpotX eingestiegen. Mit diesen Investitionen legen wir den Grundstein, um auch in fünf, zehn und 15 Jahren in der Werbevermarktung eine führende Rolle zu spielen.- Wie sieht das Geschäftsmodell aus. Erhalten Sie Vermittlungsprovisionen?Im Prinzip ja. Wir versuchen die Inhalteanbieter und die Werbetreibenden zusammenzubringen. Im Tagesschnitt zählen wir bei SpotX aktuell 7 Milliarden Ad Calls. Das sind gigantische Zahlen, was die Anzahl der Transaktionen betrifft, aber letztlich handelt es sich um Micro-Payments pro Transaktion.- Im Vergleich zu Ihrem großen deutschen Wettbewerber lassen Sie die Finger von E-Commerce. Warum?Wir haben uns das angeschaut. Aber wir sind und wollen auch künftig ein Bewegtbild-Konzern bleiben. Alles was wir machen, hat im Kern mit professionell produziertem Bewegtbild zu tun. Wir wollen kein digitaler Gemischtwarenladen werden. TV steht bei uns für Total Video und nicht mehr nur für das traditionelle Fernsehen. Unsere Kernkompetenz liegt in der Produktion und Monetarisierung von Bewegtbild-Inhalten, egal ob es kurz oder lang, linear oder nicht linear, auf dem Fernsehschirm oder auf kleinem Monitor ist.- In scharfem Kontrast zum Bewegtbild stehen Immobilien. Erklären Sie doch bitte einmal, warum Sie die neue Firmenzentrale in Luxemburg nun doch nicht per Sale-and-Lease-back versilbern, sondern auf bessere Zeiten warten?Wir haben uns dagegen entschieden, weil wir es aufgrund der Finanzlage im Moment nicht brauchen. Durch die Zusammenlegung von M 6 mit unserem französischen Radiogeschäft wird in Paris ein Gebäude zur Vermietung frei. Um das Gebäude zu vermieten, müssten wir es umbauen, und zwar mit hohem Aufwand. Das kann nicht unser Geschäft sein. Deshalb haben wir uns zum Verkauf dieser Immobilie entschieden. Die Sale-and-Lease-back-Transaktion in Luxemburg können wir zu jedem Zeitpunkt wieder aufleben lassen.- Warum fließt der Buchgewinn – offensichtlich ein Einmalertrag – in das operative Ergebnis ein? Nur deshalb konnten Sie an der Gesamtjahresprognose festhalten.Das machen wir bei Immobilienverkäufen schon immer so. Wir sind da konsequent und ändern unsere Bilanzansätze nicht. So machen wir es beispielsweise auch mit den Abschreibungsregeln für die Serien- und Filmrechte. Da haben wir auch bei allen Gesellschaften die gleiche Bilanzierungspolitik. Bei der Erstausstrahlung schreiben wir 67 % ab, bei der zweiten Ausstrahlung den Rest – und dann ist das Ding auf gut Deutsch durch. Das ist sehr konservativ. Aber ich bin wirklich froh, dass wir keinen Riesenberg an Programmvermögen durch die Bücher schleppen.- Machen Ihre Wettbewerber das anders?Es gibt an dieser Stelle kein richtig oder falsch. Manche Wettbewerber schreiben die Rechte über bis zu acht Ausstrahlungen ab. Die Erfahrung lehrt aber, dass man im ersten Run den größten Umsatz generiert. Auch bei der Zweitausstrahlung kommt noch etwas dazu. Aber ab dem dritten Run ist es sehr mager. Die wenigsten Menschen schauen sich einen Film zum dritten, vierten oder fünften Mal an. Deswegen ist der degressive Abschreibungsweg in meinen Augen auch geboten.—-Das Interview führte Annette Becker.