Wirtschaftliche Lage der Chemie verschlechtert sich weiter
Wirtschaftliche Lage der Chemie verschlechtert sich weiter
Alarmstufe Rot in der Chemie
Wirtschaftliche Lage hat sich im dritten Quartal weiter verschlechtert – Pharmageschäft gerät unter Druck
lis Frankfurt
„Bei uns schrillen die Alarmglocken immer lauter, es herrscht Alarmstufe Rot“, fasst Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbands der chemischen Industrie (VCI) die Stimmungslage in der Branche zusammen. Im dritten Quartal, für das der Verband am Dienstag Zahlen vorlegte, hat sich die wirtschaftliche Lage der Unternehmen weiter verschlechtert. Produktion, Preise und Umsätze gingen erneut zurück. Die Kapazitätsauslastung blieb deutlich unter der Rentabilitätsschwelle. Besonders bitter aus Sicht der Branche: Auch das Pharmageschäft, das in den vergangenen Monaten immer wieder für Hoffnung gesorgt hatte, läuft nicht mehr rund. Preis- und Kostendruck im Inland sowie höhere Zölle und Zolldrohungen im wichtigen US-Markt bremsen das Geschäft, konstatiert der VCI.
Vor allem das schwache Pharmageschäft sorgte dafür, dass die Umsätze in Nordamerika im dritten Quartal um fast 20% nachgegeben haben. Außerdem brachen auf dem asiatischen Markt die Geschäfte zuletzt „überraschend deutlich“ ein. „Besorgniserregend “ nennt der Verband die Schwäche der Branche im „wichtigen Exportgeschäft". Die Chemie profitiere immer weniger vom Wachstum in anderen Ländern. Gleichzeitig fluten billige Waren aus China die europäischen Märkte. „Eine Besserung ist kurzfristig nicht in Sicht.“
„Der Knock-out rückt immer näher“
„Die Industrie taumelt Richtung Jahresende", sagt Große Entrup bei Vorlage der Zahlen. Für das Gesamtjahr 2025 erwartet der VCI nach einem „schwierigen Jahresendquartal“ weiterhin bestenfalls eine Stagnation der Produktion von Chemie und Pharma. Während die Chemieproduktion voraussichtlich um 2% sinkt, kann die Pharmaindustrie diesen Rückgang teilweise kompensieren. Aufgrund leicht rückläufiger Preise wird der Gesamtumsatz der Branche um etwa 1% auf 221 Mrd. Euro zurückgehen. Die Bundesregierung sei sich des Ernstes der Lage bewusst. Sie habe aber trotz Sondervermögen und einiger wirtschaftspolitischer Kurskorrekturen nicht für eine wirtschaftliche Trendwende gesorgt. Die Branche fordert „20 Maßnahmen in 45 Tagen“, denn auf die von der Politik vorgesehene Chemieagenda 2045 können vor allem viele Mittelständler nicht warten – „die sagen mir, das überleben wir nicht“, so Große Entrup. "Der Knock-out rückt immer näher.“
„Nehmt die Abrissbirne zur Hand“
Die Industrie werde zwischen Transformationskosten und ausufernder Bürokratie zerrieben. „Wir brauchen einen sofortigen industriellen Befreiungsschlag“. Wegen hoher Strompreise produziere beispielsweise die Konkurrenz in den USA für ein Viertel der Kosten. „Größter Produktionskiller“ bleibe aber die Bürokratie. Bei diesem Thema wird Große Entrup deutlich: „Nehmt die Abrissbirne zur Hand." Ein Dorn im Auge ist der Branche auch der europäische Emissionshandel, der die Unternehmen im weltweiten Wettbewerb belaste. Gleichzeitig fehlen Instrumente, um die Emissionen weiter zu reduzieren. Es gibt zum Beispiel nach wie vor zu wenig grünen Wasserstoff und die dazu passende Infrastruktur ist ebenfalls Mangelware.
Analysten stimmten ebenfalls pessimistische Töne an. Mit Goldman Sachs und Jefferies veröffentlichten zwei Investmentbanken auch jetzt noch Einschätzungen, die wenig Hoffnung auf eine schnelle Erholung machen. Goldman Sachs-Expertin Georgina Fraser äußerte strukturelle Sorgen in Bezug auf die Chemiebranche. Ohne massiven Kapazitätsabbau sei eine Erholung unwahrscheinlich.
Wie dramatisch die Lage ist, zeigt die Kursentwicklung der Branchengröße Evonik: Das Papier kostete am Dienstag mit 13,55 Euro so wenig wie noch nie.
Der VCI hofft nun auf die Politik. Am Mittwoch trifft sich die Branche auf Einladung von Kanzleramtschef Thorsten Frei in Berlin mit einem Teil der Bundesregierung zu Gesprächen. Große Hoffnungen hegt man zudem auf den europäischen Rat, der im Februar zu einer Sondersitzung zur Wettbewerbsfähigkeit in Europa zusammenkommt.
Die wirtschaftliche Lage in der Chemiebranche verschlechtert sich weiter, nun ist auch das Pharmageschäft unter Druck geraten. Sorge bereiten vor allem die Rückgänge im wichtigen Exportgeschäft. Analysten gehen nicht von einer schnellen Trendwende aus. Der Branchenverband VCI hofft auf die Politik.
