Den öffentlichen Auftrag jetzt neu denken
Gratulation zum Siebzigsten, ad multos annos! Als die Börsen-Zeitung vor 70 Jahren zum ersten Mal erschien, war ihr Zweck, das Börsengeschehen zu beleben – daher bestand sie zum größten Teil aus Kurslisten. Im Lauf der Jahre überwog zusehends ihr redaktioneller Teil, der mit ökonomischem Detailreichtum die Finanzmärkte durchleuchtet. Die Börsen-Zeitung wuchs in eine neue, größere Rolle hinein und gehört heute zu den Medien, die als Informationsquelle und Meinungsbildner nicht mehr wegzudenken sind.
Der eigentliche Börsenteil spielt in Zeiten des sekundengenauen Zugriffs auf Kursstände nicht mehr für alle Leser die ausschlaggebende Rolle, bedeutender sind inzwischen Beiträge und Kommentare zu aktuellen Entwicklungen der (Finanz-)Wirtschaft. So, wie sich Kurse permanent neu bilden, müssen sich auch „Institutionen“ wie die Börsen-Zeitung, aber auch die Sparkassen, beständig verändern.
Auch Sparkassen sind anders
Auch die Sparkassen haben im Lauf der Jahrzehnte eine Wahrnehmungsverschiebung durchlebt, sind von kleinen kommunalen Kassen für jedermann zu Kreditinstituten gewachsen, die als kompetente Allfinanzdienstleister ihre Kunden begleiten. Vielen von uns ist es deshalb mittlerweile nicht mehr unmittelbar bewusst, sondern im Lauf der Jahre zur inbegriffenen Selbstverständlichkeit geworden: Sparkassen, wie sie uns allen bereits aus der Kindheit vertraut sind, sind keine Kreditinstitute wie andere Banken. Sie sind eine spezielle Art von Partner für die Menschen und Unternehmen an den Finanzplätzen Deutschlands – sei es der Finanzplatz Frankfurt, München oder Aschaffenburg.
Selbständige Sparkassen decken ganz Deutschland ab, ihr Netz erstreckt sich über alle Landkreise, Städte und Gemeinden, wo sie die finanzwirtschaftlichen Bedürfnisse der Privat- und Gewerbekunden erfüllen. Dabei sind sie Kreditinstitute – im Unterschied zu den anderen, privaten und genossenschaftlichen –, die mit dem gesetzlich festgeschriebenen öffentlichen Auftrag versehen sind, alle Bürger und Unternehmen in jeder Region als Kunden mit Finanzdienstleistungen zu versorgen. Ihre Träger sind keine gewinnorientierten, oft anonymen Anteilseigner, sondern die jeweiligen Heimatkommunen, die Sorge dafür tragen wollen, dass Bevölkerung, Real- und Finanzwirtschaft in ihrem Gebiet Hand in Hand erfolgreich zusammenwirken können.
Der öffentliche Auftrag der Sparkassen bedeutet damit Arbeit im Dienst der Allgemeinheit und nicht privatwirtschaftliche Profitmaximierung. Das heißt, dass Sparkassen zunächst ihren vor rund 200 Jahren begründeten, ureigenen Gründungszweck erfüllen, nämlich dafür zu sorgen, dass alle Menschen die Möglichkeit erhalten, am normalen (Geschäfts-)Leben teilzunehmen. Dazu gehört zuallererst, dass jeder Mann/jede Frau bei der örtlichen Sparkasse ein Konto eröffnen kann, das zu den grundlegenden Voraussetzungen der wirtschaftlichen Teilhabe am Zusammenleben gehört, denn der Großteil der Zahlungen und Gutschriften läuft zwangsläufig kontengebunden. Alle weiteren Dienstleistungen eines modernen Kreditinstituts setzen darauf auf.
Öffentlicher Auftrag bedeutet aber nicht nur Daseinsfürsorge für Kunden, sondern auch Wettbewerb unter Kreditinstituten, der letztlich ein adäquates Preis-Leistungs-Verhältnis für alle sicherstellt. Dies hat sich auch nicht durch die Vielfalt anderer Bankangebote überlebt, denn gerade die breite Konkurrenz stellt sicher, dass die Kontoführungspreise in Deutschland nur die Hälfte oder noch weniger betragen wie etwa in Italien oder Spanien.
An den zu erzielenden Gewinnen lassen die Sparkassen wiederum ihre Heimat teilhaben, allein in Bayern stellen sie mehr als eine Dreiviertelmillion Euro pro Woche für gemeinnützige Zwecke und Einrichtungen bereit. Sie stützen so die soziale Infrastruktur vor Ort. Davon profitieren alle im Geschäftsgebiet – Kunden genauso wie Nichtkunden der Sparkassen.
Eine besondere Zielsetzung der Sparkassen liegt heute in der Begleitung und Unterstützung des regionalen Mittelstands bei seinen Projekten und Unternehmungen. Vor allem Handwerkerinnen und Handwerker, Gewerbetreibende und mittelständische Betriebe finden in ihrer örtlichen Sparkasse einen Ansprechpartner, der sich mit den Gegebenheiten vor Ort auskennt und mit dem man häufig ohnehin bereits eine langjährige Kundenbeziehung pflegt. Die Zusammenarbeit profitiert enorm von der örtlichen und persönlichen Nähe, denn die Sparkasse ist schlicht näher dran, als es eine weit entfernte Konzernzentrale einer Großbank je sein kann.
Krise verdeutlicht die Stärke
Durch die regionale Verbundenheit suchen Sparkassen und Mittelstand zudem in der Regel intensiver nach betriebswirtschaftlich tragfähigen Lösungen, als es manche abschreibungsaffine Großfinanzkonzerne leisten. Gerade in der Krise zeigt sich die Stärke der Sparkasse als Hausbank.
Diese Nähe dürfte sich in der kommenden Zeit auszahlen, wenn es um die ökologische Transformation unserer Wirtschaft und Gesellschaft geht. Denn die Beurteilung, welchen Spielraum die Taxonomie für Investitionen gibt, wenn Maßnahmen zum Umbau von einer umweltbelastenden zu einer klimafreundlichen „grünen“ Wirtschaft geplant werden, fällt umso leichter, je besser man den Status quo auch im Detail kennt. Regionalbanken – wie die Sparkassen – spielen daher im Kampf gegen den Klimawandel eine entscheidende Rolle. Denn eine nachhaltige Transformation funktioniert nicht per Beschluss der Bundesregierung oder der EU-Kommission. Die Energiewende und der Weg zur angestrebten Treibhausgasneutralität können nur durch einen nachhaltigen und überzeugenden umfassenden Umbau der Wirtschaft – konkret vor Ort und zwar überall und nicht nur punktuell – gelingen.
Eine neue Verpflichtung
Ein solcher Umbau ist ohne umfassende Investitionen und Finanzierungen im regionalen Engagement nicht denkbar. Hier entsteht aus der Bedrohung durch den Klimawandel eine neue Verpflichtung, eine Neufassung des öffentlichen Auftrags, für die Sparkassen. Ihnen kommt in ihrer Eigenschaft als Geldgeber von Unternehmen und Projekten, aber auch als Know-how-Träger und Netzwerk-Vermittler, eine steuernde Rolle bei der Reduktion von Treibhausgasen und dem CO2– Fußabdruck der regionalen Wirtschaft zu.
Es gilt also den öffentlichen Auftrag neu zu denken im Kontext der ökologischen Transformation, und es heißt, im Geiste einer nachhaltigen Tradition jetzt die großen Themen des 21. Jahrhunderts anzugehen. Das bedeutet, das eigene Geschäftsmodell weiterzuentwickeln und entsprechend den kommenden Herausforderungen Lösungen aufzubauen, die uns gemeinsam voranbringen. Gerade für kommunale Kreditinstitute können sich zum Beispiel Synergien ergeben, die in Projekten und Kooperationen aus privaten Trägern, der Kommune und der Sparkasse resultieren. Denkbar wären kommunale Windparks oder Solarfelder mit Bürgerbeteiligung, finanziert durch ein Sparkassenkonsortium. Eine Zusammenarbeit kommunal getragener Krankenhäuser mit IT-Dienstleistern der Sparkassen. Oder Krankenkassen, die Räumlichkeiten, IT-Plattformen und Infrastruktur mit den Sparkassen teilen.
Weiterentwicklung heißt auch, nicht nur im bilateralen Kontext „Sparkasse – Kunde“ zu denken, sondern am Aufbau von Ökosystemen zu arbeiten, wie sie immer öfter installiert werden. Wie es heute bei einigen Sparkassen schon ein Ökosystem „Immobilien“ gibt, das von der Immobilienvermittlung, der Wertermittlung, der Kontaktbörse zu Bauhandwerkern und Notaren, der Verwertung von Kundenimmobilien bis zur eigenen Immobilienentwicklung und Bauträgerschaft führt, so wird in der Sparkassen-Finanzgruppe auch begonnen und versucht, ähnliche Plattformen auch für andere Themen wie etwa „Pflege“ aufzubauen. Es geht um das klassische Ziel der Versorgung der Region mit Finanzdienstleistungen, ergänzt um den Aspekt der Vernetzung und Kooperation – um Wirtschaft, Gesellschaft und Bürgerschaft vor Ort voranzubringen.
Kombinierte Services
Perspektivisch wird es sogar denkbar, dass Sparkassen zum vollwertigen Bindeglied zwischen der Online- und der regionalen Welt werden. Kombinierte Services, die Lebenswelten über eine Plattform miteinander verbinden, könnten ein zukunftsweisender Weg sein. So könnte die Plattform-Ökonomie vom internationalen Nimmersatt zur ermutigenden regionalen Chance werden: Die Vernetzung mithilfe der digitalen Transformation würde helfen, die lokale Versorgung der Menschen und die Entwicklung des regionalen Mittelstands zu verbessern, während gleichzeitig die analoge Teilhabe durch Ansprache vor Ort sichergestellt wird. Gelingt es den Sparkassen, selbst zu einer solchen Plattform zu werden, können sie ihren öffentlichen Auftrag neu aufladen, zentrale Anlaufstelle für die Kunden bleiben und so erfolgreich ihre Herkunft mit der Zukunft verknüpfen.