Blockchain

Finanzdienstleistungs­branche gewinnt deutlich an Fahrt

Die Vertriebslandschaft in der Finanzdienstleistung wird sich schneller wandeln – Blockchain wird Wertschöpfungsketten und Produktangebot verändern, möglicherweise sogar revolutionieren.

Finanzdienstleistungs­branche gewinnt deutlich an Fahrt

Im Technologiesektor sind 20 Jahre eine Ewigkeit: Telefon statt Smartphone, mehr Desktop als Laptop, Telefon- statt Videokonferenz. Als wir vor rund 20 Jahren die Vertriebsniederlassung in Frankfurt gründeten, war das Umfeld ein völlig anderes: in technologischer und in regulatorischer Hinsicht, beispielsweise beim Stichwort Nachhaltigkeit. Aber auch die Struktur des Marktes selbst sah anders aus. Im Rückblick haben mindestens vier Meilensteine zum Wachstumspfad europäischer Anbieter wie Robeco beigetragen.

Eine vernünftige Geschäftsplanung und -entwicklung beginnt mit der Abschätzung möglicher künftiger Entwicklungen und deren Auswirkungen. Die Kenntnis der Vergangenheit hilft hoffentlich dabei, aktuelle und künftige Veränderungen ein bisschen besser abzuschätzen. Was direkt die Frage aufwirft: Welche Schlüsselereignisse und Strömungen der zurückliegenden 20 Jahre sind wichtig und welche Wirkung haben sie entfaltet? Nun ist ein Rückblick isoliert betrachtet eher von intellektuellem Interesse. Viel wichtiger ist: Mit welchen Veränderungen haben wir aktuell zu tun und welche Konsequenzen könnten sich daraus ergeben?

Neue Geschäftsmöglichkeiten

Blicke ich auf die vergangenen 20 Jahre, fallen mir vier Themen ein, die für uns als deutsche Vertriebsniederlassung eines europäischen Assetmanagers entscheidend waren: das sogenannte Nikolaus-Rundschreiben, die Mifid (Markets in Financial Instruments Directive), das Verschwinden des Zinses sowie Technik. Drei dieser Themen wirken sich meines Erachtens weiterhin stark auf die künftige Entwicklung aus.

Das Rundschreiben R11/2001 der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (es wurde von Marktteilnehmern wegen des Erscheinungstermines „Nikolaus-Rundschreiben“ getauft) ermöglichte die Auslagerung von Assetmanagement-Leistungen von Kapitalverwaltungsgesellschaften (KVGs) an Dritte. Es dauerte zwar noch ein paar Jahre, bis das Master-KVG-Geschäftsmodell richtig ins Laufen kam, aber für Assetmanager, die lediglich eine Vertriebsniederlassung in Deutschland unterhielten, ergaben sich dadurch vollkommen neue Geschäftsmöglichkeiten. Das Geschäftsmodell des reinen grenzüberschreitenden Vertriebs (eigener) Publikumsfonds wurde ergänzt um die Anlageberatung von Spezialfonds institutioneller Investoren.

Die Mifid, die 2004 in Kraft trat, war ein weiterer wichtiger Treiber für die Veränderung des Geschäftsmodells: Die Regulierung machte Anlageberatung aufwändiger. Es entwickelten sich zunehmend professionelle Vermögensverwaltungsmodelle auch außerhalb von Dachfonds. Fondsanbieter wurden dadurch zum Lieferanten für Bausteine mitunter wesentlicher Teile der Asset Allocation professioneller Vermögensverwalter. Heute dürften schätzungsweise 50% des Absatzmarktes, der für ausländische Anbieter zugänglich ist, auf Vermögensverwaltungen entfallen. Im Gründungsjahr (2002) unserer Niederlassung war deren Anteil noch sehr überschaubar. Der Effizienzgewinn allein hieraus war und ist für das Geschäftsmodell einer Vertriebsniederlassung wie der unseren enorm.

Aber auch jenseits der Regulierung gab es kräftige Impulse für Veränderungen: Die Zinsarmut der Kapitalmärkte sorgte für zunehmendes Interesse der Endanleger jenseits des Tagesgeldes und ließ das ehemals große Segment der Geldmarktfonds fast vollständig verschwinden.

Technikbooster überall

Technik veränderte unser Ge­schäft gleich in mehrerlei Hinsicht: Die Möglichkeit der Verarbeitung immer größerer Datenmengen vereinfachte die Entwicklung und Anwendung quantitativer Anlage-modelle. Technik machte Geldanlage für Anleger aber auch immer transparenter, kostengünstiger und einfacher nutzbar. Die vollständige Automatisierung von Anlageprozessen, wie sie heute Robo-Advisor versprechen, wäre 2002 schwer – wenn überhaupt – umsetzbar gewesen.

Natürlich gab es weitere Impulse in den zurückliegenden 20 Jahren: Zu nennen sind in diesem Zusammenhang offene Vertriebsarchitekturen im Filialvertrieb, Direktbanken wie auch Exchange Traded Funds (ETFs), die in Europa erstmals im Jahr 2000 angeboten wurden. Bei genauerem Hinsehen waren diese Impulse aber eher die Reaktion der Marktteilnehmer auf sich verändernde Umstände oder die Nutzung neuer technischer oder regulatorischer Möglichkeiten.

Welche Impulse beschäftigen uns aktuell und werden uns künftig beschäftigen? Wir treffen teilweise auf alte Bekannte wie Mifid, Zinsarmut, Technikeinsatz.

Aktuelle Impulse

Die Mifid hat Gesellschaft bekommen von SFDR (Sustainable Finance Disclosure Regulation) und Taxonomieverordnung. Die Regulatorik stellt also weiter steigende Anforderungen an die Anlageberatung durch Vertriebe. Finanzvertriebe und Produktanbieter haben alle Hände voll zu tun die Anforderungen der SFDR zu implementieren. Ihren Status als beinahe exotische Anlageklasse – wie noch vor knapp zehn Jahren – hat nachhaltige Kapitalanlage längst überwunden. Als „Mainstreamanforderung“ unterstützt vom Aktionsplan der Europäischen Union (EU) fließen Kapitalströme hin zu nachhaltigen Geldanlagen – also weg von Sektoren, die beispielsweise zur Erderwärmung beitragen. Die neue Regulatorik ist Chance und Herausforderung zugleich für ein Gros der Finanzindustrie. Das gilt auch für uns, obwohl Robeco sich seit mehr als 20 Jahren in Sachen Nachhaltigkeit einsetzt.

Die diskretionäre professionelle Vermögensverwaltung als Angebotskomponente von Finanzdienstleistern wird deshalb weiter und noch schneller an Bedeutung gewinnen. Dort, wo sich Banken aus der Anlageberatung in der Fläche zurückziehen, werden unabhängige Vertriebe möglicherweise florieren, deren Vertriebsmodell auf einer schlankeren Struktur beruht. Es ist anzunehmen, dass es mittel- bis langfristig zu noch deutlicheren Verschiebungen in den Vertriebsstrukturen kommt. Die SFDR und die Taxonomieverordnung dürften europäischen Assetmanagern oder solchen mit starker Präsenz auf dem Kontinent einen Vorteil verschaffen.

Niedrig- oder Nullzinsen sind wohl gekommen, um zu bleiben. Auch wenn der „Inflationsschuh“ drückt – die Möglichkeiten hinsichtlich deutlich höherer Zinsen, die als echte Anlagealternative gesehen werden, dürften eher begrenzt sein. Der Unabhängigkeit der Zentralbanken sind ein Stück weit – sinnbildlich gesprochen – „Schuldengrenzen“ gesetzt. Die Zinsarmut wird die Nachfrage nach Beratung und Anlagealternativen insbesondere kurz- bis mittelfristig eher befeuern. Eine große Chance für die Finanzdienstleistungsindustrie und die Aktienkultur in Deutschland.

Auch die Finanzdienstleistungsindustrie hat durch die Pandemie einen enormen digitalen Schub erlebt. Auf der Vertriebsseite werden digitale Vertriebsmodelle signifikant und schnell an Bedeutung gewinnen und die Vertriebslandschaft weiter und schneller verändern. Auf der Produktseite ist in Ansätzen bereits erkennbar, wie die Blockchain Wertschöpfungsketten und das Produktangebot verändern, möglicherweise sogar revolutionieren könnte.

Beim persönlichen Blick zurück gewinne ich den Eindruck, dass die Entwicklung in den vergangenen drei bis fünf Jahren in unserer Industrie deutlich an Fahrt gewonnen hat. Deshalb ist es vermutlich überflüssig zu betonen wie wichtig es ist, die Entwicklungen auch aus dem Blickwinkel einer Niederlassung mit lokalem Know-how im Blick zu behalten.