Finanzbranche

Hauptstadt bei Fintechs hoch im Kurs

Berlin ist eines der größten Fintech-Zentren der Welt. Unternehmer und Anleger aus der Finanzbranche sollten den Standort genau im Auge behalten.

Hauptstadt bei Fintechs hoch im Kurs

Internationaler Investoren-Treff, Start-up-Cluster und Talente-Pool – Berlin ist eines der größten Fintech-Zentren der Welt und das mit Abstand bedeutendste Fintech-Powerhouse der Nation. Unternehmer und Anleger aus der Finanzbranche sollten den Standort genau im Auge behalten.

Digital und disruptiv – so das Image von Start-ups aus der Finanzbranche, die seit einigen Jahren mit technischen Innovationen auf sich aufmerksam machen. Für manche sind sie die Vorboten eines neuen Finanzsystems, das neue Ansätze beispielsweise basierend auf Apps verfolgt und bestehende Player herausfordert. Wie groß das Potenzial der jungen Finanz-Start-ups ist, zeigt unter anderem ein aktueller Branchenbericht von KPMG („Pulse of Fintech“). Demnach ist das Volumen der weltweiten Fintech-Investitionen von 125 Mrd. Dollar im Jahr 2020 auf 210 Mrd. Dollar im Jahr 2021 gestiegen – ein Zuwachs von rund 68%. Allein in Europa lagen die Investitionen in Fintechs bereits im Jahr 2019 bei 58,1 Mrd. Dollar.

Auferstanden aus Ruinen

Neben den bekannten Anbietern von Smartphone-Brokern waren dabei vor allem Fintechs aus den Bereichen Zahlungsverkehr, Blockchain und Krypto erfolgreich. So konnten sich die Investments im Segment Zahlungsverkehr mit rund 52 Mrd. Dollar im vergangenen Jahr nahezu verdoppeln, während Fintechs aus der Kryptobranche 2021 etwa 30 Mrd. Dollar einstrichen – fast sechsmal so viel wie im Vorjahr. Rekordinvestitionen gab es allerdings nicht nur in den verschiedenen Fintech-Segmenten, sondern auch an den Standorten der internationalen Branche. In Deutschland stieg die Summe der Investments auf 5,9 Mrd. Dollar. Besonders wichtig dabei: die deutsche „Fintech-Hauptstadt“ Berlin.

Jung, innovativ und stets am Puls der Zeit – Eigenschaften, die auf Fintechs zutreffen, genauso wie auf das Lebensgefühl vieler Berliner. Geschichtlich ist das allerdings nicht immer so gewesen, da die jahrzehntelange Teilung der Stadt in ­gesellschaftlicher wie wirtschaftlicher Hinsicht zu starken Brüchen geführt hat.

Doch mit der Mauer fiel 1989 auch der Startschuss zu einer historischen Neugestaltung und Internationalisierung der Metropole. Eine bis heute anhaltende Wachstumsphase, dank der Berlin zu einem der dynamischsten Wirtschaftszentren Europas aufgestiegen ist. Ein Grund dafür: Die im Vergleich zu Paris, London oder Frankfurt geringen Mieten, die bis heute dazu führen, dass vor allem junge und kreative Menschen in die Stadt kommen.

Das Resultat: Heute ist Berlin zusammen mit Paris und London die wohl schillerndste Stadt des Kontinents und zieht neben vielen Neu-Berlinern auch zahllose Touristen in ihren Bann. Für das internationale Städteranking der Beratungsagentur Mercer ist sie deshalb auch die studentenfreundlichste Stadt Europas und eine der 15 lebenswertesten Städte der Welt. Darüber hinaus beherbergt die Stadt mittlerweile 24 öffentliche und private Hochschulen.

Für die Fintech-Branche noch viel wichtiger ist allerdings, dass die niedrigen Lebenshaltungskosten und vielfältigen Bildungs-, Kultur- und Freizeitangebote auch einen großen Pool an Talenten aus dem Technologiebereich anziehen. Und die haben den Standort in den vergangenen Jahren zu einem echten Brutkasten der internationalen Fintech-Branche gemacht.

Von den optimalen Bedingungen in Berlin profitieren auch die Gründer selbst, die sich in vergleichsweise günstigen Büros ansiedeln können. Bei den ersten Schritten können sie vor Ort zudem vom Wissenstransfer innerhalb eines einmaligen Netzwerks aus jungen Unternehmen profitieren. Auch steht ihnen ein ebenso gutes Netzwerk von Investoren zur Verfügung, das Tech-Unternehmen schon frühzeitig mit Seed- und Early-Stage-Finanzierungen unterstützt.

Wie wichtig Berlin für die deutsche Fintech-Branche ist, zeigt ein Blick auf die Liste der Regionen mit den meisten Fintechs im Land. Hier lag die Zahl 2021 laut Germany Finance, der Arbeitsgemeinschaft deutscher Finanzplätze, für Berlin bei 182, während das Rhein-Main-Gebiet und Bayern als Zweit- und Drittplatzierte lediglich 118 und 109 Finanz-Start-ups beheimateten. Und das, obwohl beide Städte über eine wesentlich höhere Dichte an etablierten Finanzdienstleistern verfügen – ob Banken, Versicherer, Börsenmakler, Handelsplätze, Steuer- und Beratungsgesellschaften oder Vermögensverwalter. Doch für die jungen Disruptoren der Branche spielen die etablierten Player aus Frankfurt und München kaum eine Rolle, da sie ihre Online-Dienste unabhängig anbieten wollen.

Ein weiterer Vorteil der Hauptstadt ist, dass sich auch neue Technologie-Start-ups aus den Segmenten Blockchain, Web 3.0 oder Metaverse in räumlicher Nähe ansiedeln. Ein weiterer Vorteil für Fintechs, die neben neuen Anreizen für ihre Geschäftsmodelle auch von Kooperationen profitieren können. Denn anders als häufig kritisiert, generieren Fintechs ihren technologischen Vorsprung gegenüber den Branchenriesen in ausgewählten Bereichen nicht nur durch nette Apps und intuitive Bedienelemente. Auch bei den viel wichtigeren Backend-Innovationen hinter der Software-Oberfläche bauen sie ihre Kompetenzen konsequent aus. Und die dafür nötigen Entwickler finden sich nun mal vor allem in Berlin und nicht in Frankfurt. So zum Beispiel das Start-up Mambu, das Fintechs eine Banking-Plattform als Software as a Service anbietet.

Ohne Moos kein Growth

Geht es um die Zusammenarbeit von Fintechs mit anderen Unternehmen, spielt natürlich auch der Cluster-Effekt eine wichtige Rolle. So befinden sich mit der Neobank N26, dem Online-Broker Trade Republic und der Einlagenvermittlungsplattform Raisin die jeweils führenden Fintechs ihres Segments in der deutschen Hauptstadt. Für Geschäftspartner und Konkurrenten, die auf kurze Wege oder das Abwerben von Top-Personal setzen, ist eine Ansiedlung in Berlin daher immer die erste Wahl. Im Windschatten der nationalen Zugpferde ist auf diese Weise ein Cluster herangewachsen, der für andere deutsche Standorte kaum mehr einzuholen ist. Und so wächst die Berliner Szene in gewisser Weise analog zu der „Hockey Stick Curve“ ihrer Fintechs.

Zu guter Letzt gilt es, Berlins besonderen Markt für Venture Capital hervorzuheben. Denn auch beziehungsweise gerade in der Start-up-Branche stellen günstige Finanzierungsmöglichkeiten einen wesentlichen Faktor für den Geschäftserfolg dar. Am besten ist dabei die Bereitstellung von Eigenkapital, das in Deutschland traditionell jedoch sehr schwer und im internationalen Vergleich noch schwerer aufzutreiben ist. Doch Berlin entwickelt sich hier zunehmend zur Ausnahme, wie die steigende Zahl an Risikokapitalgebern oder Company Buildern wie Finleap nahelegt.

Immer mehr Aufmerksamkeit

Dank ihnen konnten Berliner Fintechs in den Jahren 2018 und 2019 insgesamt rund 1,8 Mrd. Euro an Investitionen einsammeln. Das entsprach etwa 70% aller in diesem Zeitraum getätigten Investitionen in deutsche Fintechs. In der ersten Hälfte 2021 stieg die Zahl noch einmal auf beeindruckende 1,6 Mrd. Euro. Damit liegt Berlin im globalen Städteranking für Fintech-Investitionen an fünfter Stelle, hinter San Francisco, London, New York und Palo Alto.

Und so hat sich Berlin seit dem Mauerfall nicht nur zum führenden Tech-Inkubator aus Deutschland gemausert, sondern zieht auch weltweit immer mehr Aufmerksamkeit auf sich. Manche Experten rechnen nach so vielen Jahren des Erfolgs bereits mit künftigen Rückgängen bei Gründungen und Kapitalströmen. Nach unserer Einschätzung ist von einer Fintech-Flaute in Berlin derzeit allerdings nichts zu sehen. Wobei der zunehmende Fachkräftemangel auch an der Fintech-Hauptstadt nicht spurlos vorbeigehen dürfte. Hier können die internationale Ausrichtung und die früh gestartete Rekrutierung von Fachkräften aus dem Ausland für Berlin Wettbewerbsvorteile sein.

Klar ist jedoch: Im Vergleich mit den führenden Fintech-Standorten aus dem angelsächsischen Raum dürfte Berlin auch künftig noch den Kürzeren ziehen. Zwar konnte Berlin im Zuge des Brexits von der Gründung neuer Niederlassungen im EU-Binnenmarkt gegenüber der City of London profitieren. Trotzdem bleiben die Finanzierungsbedingungen und das technologische Umfeld in Großbritannien und den USA weiter bestehen. Doch als Bewohner einer der lebenswertesten Städte der Welt dürften Berliner Fintech-Mitarbeiter das verkraften.

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