Analog ist kein Schimpfwort
Um ehrlich zu sein: Wir alle, die ganze Branche, reden ständig von der Digitalisierung des Bankgewerbes, und ich muss zugeben, dass mich das bisweilen selbst irritiert. Nicht, weil ich in Abrede stelle, dass die Welt sich dreht, dass also die Kunden heute in vielerlei Hinsicht anders sind als gestern. Und erst recht nicht, weil ich bestreiten würde, dass die jungen Digital Natives von ihrer Bank etwas anderes erwarten als deren Großeltern. Sondern weil ich finde, dass der “Digitalisierung” wie einem vermeintlichen Zaubertrank Kräfte zugeschrieben werden, die sie nach meiner Überzeugung nicht hat. Und dass digitaler Ehrgeiz unsere Branche nicht davon abhalten darf, ganz andere mindestens genauso wichtige Hausaufgaben zu erledigen.Ich habe überdies den Eindruck, dass die Dringlichkeit der Digitalisierung, wie sie häufig propagiert wird, und das Bedürfnis unserer Kunden, in der digitalen Welt unterwegs zu sein, nicht unbedingt deckungsgleich sind. Mir ist jedenfalls bislang noch nicht bekannt geworden, dass sich ein Kunde mit letzter Kraft in eine unserer Geschäftsstellen geschleppt und wie ein Verdurstender um das Allheilmittel Digitalisierung gebettelt hätte. Keine Kundin rauscht herein und fordert mit Nachdruck künstliche Intelligenz. Und kein Jugendlicher hat bislang von uns verlangt, endlich von einem Roboter beraten zu werden.Sollten Sie jetzt aber den Eindruck gewinnen, für ein mittelständisches, ausschließlich regional operierendes Institut wie die Frankfurter Volksbank sei die Digitalisierung nur ein Randthema, würde das nicht dem Ernst und der Konsequenz entsprechen, mit denen wir uns professionell dieser Herausforderung stellen. Denn: Wir sind längst digital gut aufgestellt und haben noch viel mehr vor. Online-Banking ist wie manch anderes natürlich längst Standard. Hier stichwortartig die wichtigsten Schritte in Richtung Zukunft:Erster Schritt: Wir haben in diesem Jahr die Kapitalanlage “MeinVermögen” eingeführt: Der Kunde muss für diese Anlagemöglichkeit (ab 10 000 Euro) nicht mehr persönlich vorstellig werden. Er legitimiert sich per Video. Ganz bequem macht er online ein paar Angaben. Danach stellen wir seine Risikobereitschaft fest. Unsere bewährten und vielfach ausgezeichneten Vermögensberater legen dann sein Kapital an. Aber, und das ist ein ganz wesentlicher Aspekt: Unsere Kunden können “MeinVermögen” komplett im Internet abschließen, aber sie müssen es nicht. Sie können jederzeit wieder in die analoge Welt wechseln, in der sie selbstverständlich auch zukünftig jederzeit herzlich willkommen bleiben. Kein “Entweder-oder”Zweiter Schritt: Einer unserer mittelständischen Gewerbekunden hält sich geschäftlich in Asien auf. Noch auf dem Rückflug richtet er online seine Anfrage für einen Investitionskredit an uns. Er bekommt umgehend eine Antwort, und bis zu einem Betrag von 60 000 Euro ist auch eine Zusage möglich. Der Dialog zwischen dem Kunden und uns kann, aber muss nicht ausschließlich online geführt werden. Wir werden Direktkontakt und Digitalkommunikation immer stärker vernetzen. Für uns gibt es kein “Entweder-oder”!Der dritte Schritt steht unmittelbar bevor: Über Facebook, Instagram und unsere Homepage frankfurter-volksbank.de suchen wir junge Leute. Wir wollen mit ihnen in Workshops erarbeiten, was sie von einer regionalen Bank wie der unseren für ihre Zukunft erwarten. Wir möchten erfahren, was sie lieber digital erledigen und wo sie sich eine persönliche Beratung erhoffen. Gemeinsam mit den jungen Frauen und Männern gestalten wir eine Website und Produktlinie speziell für diese Zielgruppe.Auch mit unseren Verbundpartnern in der genossenschaftlichen Finanzgruppe werden wir im Zuge der BVR-Digitalisierungsoffensive neue Prozesse und Plattformen nutzen, um unsere Kontaktkanäle noch besser miteinander zu verzahnen und das Omnikanalangebot auszubauen.Aber bei aller notwendigen digitalen Weiterentwicklung ist mir etwas anderes wichtiger. Und zwar die Verteidigung des Analogen.Wenn ich jetzt hier von “analog” spreche, so meine ich unser angestammtes Bankgeschäft mit jenen Tugenden, auf die wir seit über 155 Jahren ein bisschen stolz sind. Das ist in erster Linie unser Beratungsgeschäft. Vielfach von unabhängigen Institutionen ausgezeichnet, arbeiten wir fortwährend an der Verbesserung dieser Expertise. Ob Geldanlage, Kredite, Immobilien, Vermögensverwaltung, Nachfolgeregelung, Erbschaftsangelegenheiten, Existenzgründung, Stiftungsangelegenheiten – unsere Kunden werden intensiv und persönlich beraten. Dieses – analoge – Know-how lassen wir uns nicht nehmen. Und setzen es gern auch digital ein, siehe “MeinVermögen”. Umgehend reagierenWenn ich länger über den Begriff “digital” nachdenke, dann birgt er im Kern eine wichtige Eigenschaft, nämlich die der Schnelligkeit. Aber reicht das aus? Ja, es ist richtig, dass unser Umgang mit Smartphone, iPad, Laptop und Co. uns alle etwas ungeduldiger macht. Auf E-Mails und WhatsApp-Nachrichten erwarten wir sekundenschnelle Reaktionen. Und wenn uns etwas in einem Internetauftritt oder einem Online-Angebot nicht verständlich erscheint oder der Aufbau einer Seite zu lange dauert, klicken wir sofort weiter.Diese Art der Beschleunigung ist ein Phänomen, auf das wir auch als Bank reagieren müssen. Konkret heißt das: Sobald uns die Anfrage eines Kunden erreicht, sei es per Brief, per E-Mail, telefonisch oder über den Kontaktbutton unserer Homepage, müssen wir umgehend und qualifiziert reagieren.Andererseits ist unsere Absage an das komplett Anonyme ein wichtiger Teil unserer DNA als Regionalbank. Wenn Sie genauer wissen wollen, was den Wesenskern einer Regionalbank ausmacht, dann antworte ich: Wir sind tief verwurzelt in unserer Region und weit vernetzt mit ihren Menschen. Wir mögen diese spannende Region Frankfurt-Rhein-Main. Und wir mögen die Menschen, die darin leben, arbeiten und sich erholen. Wir halten den persönlichen Kontakt zu diesen Kunden, die in immer größerer Zahl übrigens auch Mitinhaber unserer Bank sind und sie längst zur mitgliederstärksten Volksbank in Deutschland gemacht haben. Wir sind ihnen oft über Generationen hinweg verbunden und nennen diese Beziehung sogar etwas pathetisch Lebenspartnerschaft. Vertraute NachbarschaftWeil wir unsere Kunden sehr schätzen und sie das spüren, sind wir oft ihre ersten Ansprechpartner, erfahren Neuigkeiten zuerst, werden in private und geschäftliche Pläne einbezogen. Auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen aus der Region, leben hier, engagieren sich in Vereinen und Gemeinden. Das alles verbindet. Wir sind die vertraute Nachbarschaft! Und wir sind überzeugt: Unsere Kunden entscheiden sich künftig nicht für uns, weil wir die billigsten Produkte, die ausgeklügeltsten Algorithmen und den modernsten Video-Chat anbieten. Sondern weil sie wissen, dass wir ihnen, ihrer Familie und unserer Region echtes Interesse entgegenbringen. Und sie ebenso vielfältig wie individuell begleiten. Unsere Kunden haben – wie wir – eine Heimat. Regionalität ist für sie wichtig, und viele Trends zeigen: Sie wird es auch bleiben. An den Prinzipien aus der Entstehungszeit der Volks- und Raiffeisenbanken hat sich nichts geändert: Wir stehen den Menschen in der Region zur Verfügung.Letztlich müssen wir das können, was unsere Kunden brauchen. Ob sie es digital oder analog einfordern, bleibt allein den Kunden überlassen. Das Digitale hilft uns. Es ist kein Selbstzweck. Unsere Tugenden bleiben die gleichen, wie seit über 155 Jahren. Wir stehen dazu.—-Eva Wunsch-Weber, Vorstandsvorsitzende der Frankfurter Volksbank