IM INTERVIEW: ALEXANDER SCHINDLER, UNION INVESTMENT

Andere Kompetenzen fürs Assetmanagement

Der Vorstand für das institutionelle Geschäft über den Wandel im Fondsgeschäft und die Chancen im Portfolio durch Derivate

Andere Kompetenzen fürs Assetmanagement

Nach der US-Notenbank Fed leitet in Europa auch die EZB mit Trippelschritten den Abschied aus der ultralockeren Geldpolitik ein. Was das für Investoren und Assetmanager bedeutet und welchen großen Nutzen Derivate im Portfolio haben, erläutert Alexander Schindler, bei der Fondsgesellschaft Union Investment unter anderem Vorstand für das institutionelle Geschäft, im Interview der Börsen-Zeitung.- Herr Schindler, die EZB hat als Signal, um sich allmählich aus der ultralockeren Geldpolitik zu verabschieden, angekündigt, die Höhe der Anleihekäufe ab Anfang 2018 zumindest mal zu halbieren. Gibt es daher Handlungsbedarf bei den Investoren?Die jüngsten Maßnahmen der Fed und der EZB zeigen, dass wir vor einem geldpolitischen Gezeitenwechsel stehen. Dieser bleibt mittelfristig nicht ohne Folgen für die Kapitalmärkte. Der Rückgang der Geldflut wird vor allem risikoreichere Anlageklassen unter Druck setzen, wenn auch nicht alle gleichermaßen. Vor dem Hintergrund, dass Investoren in der Vergangenheit zwangsläufig stärker ins Risiko gegangen sind, ist dies natürlich nicht unkritisch. Der konkrete Handlungsbedarf bei den Investoren wird dabei je nach Allokation im Einzelfall zu ermitteln sein.- Und was bedeutet die EZB-Ankündigung für die Fondsgesellschaft Union Investment?Wir verstehen Risikomanagement immer auch als Chancenmanagement. Und diese Chancen wird es trotz des geldpolitischen Kurswechsels der Zentralbanken weiterhin geben. Der Performanceschub nach oben muss künftig von der fundamentalen Seite kommen. Das ist für einige Sektoren und Länder durchaus denkbar. Nehmen Sie zum Beispiel den europäischen Aktienmarkt, den unser Portfoliomanagement derzeit sehr positiv sieht, trotz des EZB-Taperings. Unsere Aufgabe als aktiver Manager ist es, genau darüber mit unseren Kunden zu sprechen.- Blicken wir noch weiter nach vorn. Eines Tages wird die EZB die Zinswende vollziehen. Wann rechnen Sie damit?Bei dieser Frage muss man vorsichtig mit den Begriffen sein, damit nichts durcheinandergeht. Am Kapitalmarkt haben wir die Wende insofern bereits gesehen, als das Renditetief hinter uns liegt. Das ist aber etwas anderes als steigende Leitzinsen. Angesichts des moderaten Inflationsdrucks dürfte noch viel Wasser den Main hinunterfließen, bis die EZB an Erhöhungen denkt. Wir rechnen nicht vor 2019 mit einem solchen Schritt. Leitzinsen auf einem Niveau wie vor der Finanzkrise werden wir dennoch so schnell nicht wieder sehen – weder in den USA noch in der Eurozone.- Mit welchen Folgen für Investoren? Müssen Investoren schon jetzt erste Vorbereitungen hierfür treffen, und wenn ja, welche?Der sachte Kurswechsel in der Geldpolitik führt dazu, dass das Niedrigrenditeumfeld nicht einfach über Nacht vorbei ist. Die Bondrenditen werden zwar strukturell, aber eben nur leicht anziehen. Die Zinserträge bleiben damit auf Sicht zu niedrig, um die Renditeanforderungen vieler Investoren zu erfüllen – von Kursverlusten bei bereits im Depot befindlichen Anleihen ganz zu schweigen. An den Aktienmärkten geht die Unterstützung des billigen Geldes zurück und wirft die Frage nach den künftigen Aktienrenditen auf. Darauf gilt es sich einzustellen, etwa durch Änderungen in der Asset Allocation. Denn es gibt ja nach wie vor Chancen, an den Aktienmärkten zum Beispiel in Europa und Japan. Auf der Rentenseite sehen wir Performancepotenzial beispielsweise für Emerging-Markets-Anleihen. Manch institutioneller Investor dürfte auch die Duration seiner Anlagen überdenken. Insgesamt bleiben die Renditenmöglichkeiten in den traditionellen Assetklassen aber überschaubar. Daher werden alternative Performancequellen sowie eine aktive Allokationspolitik weiter an Bedeutung gewinnen.- Was für Folgen erwarten Sie für Ihr eigenes Haus, und wie bereiten Sie sich darauf vor?Erfolgreiches Assetmanagement erfordert heute andere und vor allem mehr Kompetenzen als noch vor wenigen Jahren. Unser Portfoliomanagement hat deshalb auf der Rentenseite seine globale Expertise gestärkt, insbesondere auch durch den personellen Ausbau des Emerging-Markets-Teams. Auch bei Multi-Asset- und Absolute-Return-Ansätzen haben wir aufgerüstet, sowohl personell als auch mit Blick auf Investmentinstrumente und Produkte. Solche Investitionen in Köpfe und Ideen sind unserer Auffassung nach notwendig, um Kunden im Niedrigrenditeumfeld adäquate Lösungen anbieten zu können.- Kehren wir zurück in die Gegenwart. Das von Union Investment verwaltete Vermögen hat im institutionellen Geschäft in diesem Jahr zur Jahresmitte einen Höchststand erreicht. Was sind die Treiber, und worin lassen sich Unterschiede zum Vorjahr feststellen?Die Assets under Management im institutionellen Geschäft erreichten mit 180,4 Mrd. Euro tatsächlich einen neuen Höchststand. Der Nettoabsatz lag im ersten Halbjahr mit 9,9 Mrd. Euro fast 50 % über dem Vorjahreswert. Gefragt waren vor allem Produkte mit größeren Renditechancen wie Unternehmens-und Schwellenländeranleihen. Darüber hinaus gewannen Multi-Asset- und Absolute-Return-Produkte sowie Immobilieninvestments an Bedeutung. Zudem wurden nachhaltige Lösungen unverändert stark nachgefragt. Durch das weiter wachsende Interesse ist deren Bestand in den letzten zwölf Monaten auf mehr als 30 Mrd. Euro gestiegen.- Hielt das Aufwärtstempo im zweiten Halbjahr an? Wie sind Ihre Erwartungen an das kommende Jahr?Wir sind weiterhin auf Wachstumskurs, sowohl beim Nettoabsatz als auch den Marktanteilen. Im kommenden Jahr möchten wir diese Entwicklung auf ähnlichem Niveau fortschreiben.- Ihre Gesellschaft hat in einer jüngst veröffentlichten Umfrage festgehalten, dass deutsche Investoren die Liquiditätsrisiken im Vergleich zu Investoren anderer Länder nicht hinreichend beachten. Warum halten Sie das für riskant?Jeder Investor weiß, dass mangelnde Liquidität zu Renditeeinbußen und Verlusten in der Kapitalanlage führen kann. Insofern sollten Anleger das Liquiditätsrisiko nicht auf die leichte Schulter nehmen, sondern bei der Ausrichtung des Gesamtportfolios von Anfang an miteinbeziehen. Dies gilt erst recht, seitdem im Niedrigzinsumfeld viele Investoren die Risikoleiter hinaufsteigen und auch in Assetklassen investieren mussten, die weniger liquide sind. Wenn dann in krisenhaften Marktphasen viele Marktteilnehmer den gleichen Ausgang benutzen wollen, kann es unter Liquiditätsaspekten eng werden.- Aktuell sind aber krisenhafte Marktphasen mit Liquiditätsrisiken nicht sehr wahrscheinlich.Aktuell hat es den Anschein, ja. Das Problem an Krisen ist aber, dass man sie trotz komplexer und hoch entwickelter Risikomodelle nicht wirklich vorhersehen kann. Wenn sie dann eintreten, kann der Schaden hoch sein, wie wir 2008 alle erfahren mussten. Ich erinnere an die Risikomanagementstudie, die unser Haus im darauffolgenden Jahr vorgelegte. Darin hatten lediglich 28 % der befragten institutionellen Investoren angegeben, im Zuge der Finanzmarktkrise keine oder fast keine Probleme mit Marktilliquidität gehabt zu haben. Drei Viertel der Investoren waren demnach von Liquiditätsengpässen betroffen.- Auf welche Weise können Investoren die Liquiditätsrisiken besser im Portfolio berücksichtigen?Eine große Herausforderung, keine Frage. Ich glaube, es ist schon viel gewonnen, wenn man das Problem in sein Entscheidungs- und Pricing-Kalkül mit einbezieht. Eine illiquide Anlage erfordert einen Abschlag, und sobald man sich diszipliniert an diese Einsicht hält, wird der Anteil an schwer handelbaren Positionen im Portfolio vermutlich geringer ausfallen, als wenn dieser Frage keine Beachtung geschenkt wird. Eine weitere Möglichkeit ist, alle zur Verfügung stehenden Liquiditätsquellen anzuzapfen. Meine Kollegen im Portfoliomanagement haben deshalb den Handelstisch zu einem “Multi-Asset Trading Desk” zusammengefasst, um so über alle Anlageklassen hinweg agieren zu können. Auch der zielgerichtete Einsatz von Derivaten kann ein wirksames Instrument sein. Und wenn das alles nicht ausreicht, um die notwendige Flexibilität zu erzielen, muss man auch einmal auf ein Investment verzichten.- Hat dies nicht womöglich Abstriche bei der Rendite zur Folge?Das ist möglich, aber nicht zwingend. Jeder kennt das sogenannte magische Dreieck der Vermögensanlage aus Rendite, Sicherheit und Liquidität – diese Zusammenhänge lassen sich leider nicht außer Kraft setzen. Ungeachtet dessen besteht jedoch die Möglichkeit, ein Risiko durch ein anderes zu ersetzen. Anstelle einer ertragreichen, aber illiquiden Anlage investiert man dann beispielsweise in ein gleichermaßen renditestarkes Asset, das dafür ein höheres Kreditrisiko aufweist. Im Portfoliokontext kann eine derartige Mischung durchaus Sinn ergeben, weil die Risiken sich auf unterschiedliche Kategorien verteilen. Aber sie bleiben natürlich vorhanden und müssen deshalb gemanagt werden.- Interessant ist auch, dass deutsche Investoren im Vergleich zu Profianlegern anderer Länder kaum auf Umweltrisiken achten. Wie kann das ausgerechnet in einem Land sein, das bei der Energiewende oder in der Mülltrennung sich in internationalen Gremien immer als Besserwisser aufspielt?Ich denke, dass viele Investoren hier eine eher pragmatische Einstellung an den Tag legen. Umweltrisiken werden zwar gesehen. Im Verhältnis zu anderen Anlagerisiken spielen sie jedoch keine herausgehobene Rolle. Gleichwohl stellt sich auch für mich die Frage, ob die Bedeutung von Umweltrisiken richtig eingeschätzt wird. Denn über die internationale Klimaschutzpolitik – ich verweise da zum Beispiel auf die aktuell in Bonn stattfindende UN-Klimaschutzkonferenz – finden Umweltrisiken verstärkt Eingang in die Kapitalanlage. Umwelt- und Klimarisiken betreffen dabei nicht nur die Geschäftsmodelle einzelner Unternehmen, sondern die wirtschaftliche Zukunft ganzer Branchen. Vor diesem Hintergrund stellen sie einen Aspekt für die Kapitalanlage dar, den jeder Investor verstärkt auf dem Schirm haben sollte.- Mit Blick auf die zunehmende Herausforderung für Investoren, im Niedrigzinsumfeld auskömmliche Renditen zu erwirtschaften und zugleich durch immer mehr regulatorische Bestimmungen in der Bewegungsfreiheit beeinträchtigt zu sein, hat Ihr Haus eine wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben, die sich mit der Unterstützung von Derivaten bei Renditeoptimierung und Risikominimierung befasst. Was war die Motivation dabei?Galten Derivate vor der Finanzkrise eher als nice to have, so ist ihr Einsatz heute wichtiger denn je. Denn um die notwendigen Renditen zu erwirtschaften, können sich Investoren nicht mehr allein auf traditionelle Assetklassen und gängige Investmentkonzepte verlassen. Ohne alternative Anlagestrategien geht es nicht mehr. Viele von diesen Strategien benötigen bei der Umsetzung allerdings Derivate wie etwa Optionen, Futures oder Swaps. Da liegt es nahe, sich einmal genauer anzuschauen, welchen Mehrwert derivatebasierte Handelsstrategien tatsächlich liefern.- Was lässt sich mit dem Einsatz von Derivaten in puncto Markt- und Kreditrisiken erreichen? Und auf welche Weise?Unter Einbeziehung verschiedener empirischer Arbeiten zeigt die Studie, dass der Einsatz von Derivaten sowohl bei Hedgefonds als auch bei klassischen Investmentfonds zu einer Reduzierung des Risikos führen kann. Im Fall der untersuchten Investmentfonds konnte durch Long-Positionen in Optionen, wie beispielsweise den Protective Put, die risikoadjustierte Rendite um 0,42 % pro Jahr gesteigert werden, bei gleichzeitiger Reduzierung des systematischen Risikos um 13 %. Ein weiteres wichtiges Ergebnis: Die Risikominimierung mit Derivaten lässt sich grundsätzlich in allen Marktphasen realisieren, also auch in Krisenzeiten.- Was lässt sich mit dem Ziel der Renditeoptimierung mittels Derivaten herausholen, und wie geht das, was ist insbesondere in Zeiten niedriger Zinsen ein vielversprechender Ansatz?Die wesentlichen Resultate zeigen, dass Investmentfonds durch den gezielten Einsatz von Derivaten ein Renditeplus von etwa 2 % pro Jahr erwirtschaften können. Grundsätzlich stehen hierfür verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Sie reichen von der Vereinnahmung alternativer Risikoprämien etwa aus Volatilität und Liquidität über Arbitrage bis hin zu Timing-Ansätzen. Einen Schwerpunkt der Studie bildet die Frage, inwieweit das Korrelationsrisiko auch dazu genutzt werden kann, eine systematische Risikoprämie zu vereinnahmen. Das Ergebnis: Durch das Schreiben von Multi-Asset-Optionen kann das Korrelationsrisiko tatsächlich eine signifikante Risikoprämie erwirtschaften. Mittelfristig dürften also auch Cross-Assetklassen-Korrelationen ein potenzieller Faktor für alternative Risikoprämien sein.- Sind die positiven Wirkungen der Derivate, die die Studie anhand von mehreren vorliegenden wissenschaftlichen Untersuchungen festgestellt hat, auch erlebte Realität von deutschen Investoren?Diese Frage haben wir im Zusammenhang der Studie auch den 60 % der Anleger gestellt, die Derivate bei der Kapitalanlage nutzen. Dabei wurden deren Erfahrungen mit dem Derivateeinsatz sowohl mit Blick auf die Risikoabsicherung als auch auf die Renditeoptimierung quantifiziert. In beiden Bereichen äußerten sich die Befragten mehrheitlich positiv, wenngleich die Erfahrungen im Bereich der Risikominimierung in der Gesamtheit leicht besser waren als die im Bereich der Renditeoptimierung.- Ist aus Ihrer Sicht die Nutzung von Derivaten bei deutschen Investoren nicht ausreichend genug oder falsch gelagert? Besteht Handlungsbedarf?Die deutschen Investoren sind auf einem guten Weg. Der Einsatz von Derivaten ist eher die Regel als die Ausnahme. Allerdings sind längst noch nicht alle Potenziale ausgeschöpft. Einerseits gibt es immer noch einen spürbaren Anteil an Abstinenzlern. Darüber hinaus zeigt die Analyse unserer eigenen Mandate, dass viele Investoren den Derivateeinsatz auf Absicherungspositionen beschränken. Da bleibt noch viel Potenzial zur Performance-Verbesserung ungenutzt, zeigen unsere Studien doch, dass die Nutzer von Derivaten deutlich höhere risikoadjustierte Erträge generieren als die Nichtnutzer. Diesen Verzicht muss man sich im Negativzinsumfeld erst einmal leisten können.- Sehen Sie bei sich selbst Handlungsbedarf?Bei den uns anvertrauten Mandaten sind in 95 % Derivate erlaubt. Etwa 22 % der Kunden beschränken die Nutzung jedoch auf reine Absicherungspositionen. Hier können wir durch permanente Aufklärungsarbeit sicherlich noch etwas bewegen. Um dies zu leisten, werden unsere Fondsmanager in internen Veranstaltungen ständig fortgebildet.- Gibt es auch Derivatekonstrukte, von denen Sie Investoren abraten?Das sind die, bei denen die erwarteten Kosten größer sind als der Nutzen. Welche das sind, ist jedoch von Anleger zu Anleger sehr verschieden und hängt vom jeweiligen Know-how der Gesamtorganisation ab. Zwei einfache Fragen sollte man mit “ja” beantworten können, um ein Derivat ins Portfolio zu integrieren: Kann ich den fairen Preis bestimmen? Und kann ich es hedgen?- Hat die strengere Regulierung der Derivate, die Anfang 2018 durch das EU-Regelwerk Mifid II beziehungsweise Mifir noch einmal nachgeschärft wird mit der Handelspflicht für außerbörsliche Derivate, den Derivaten als Investmentmöglichkeit eher genutzt oder geschadet?Grundsätzlich kann man sagen, dass man die allermeisten Einsatzzwecke von Derivaten ohnehin sehr gut mit börsengehandelten Derivaten abdecken kann. Die neuen Regeln, die außerbörslich gehandelte Derivate näher an börsenbasierte beziehungsweise zentralisierte Abläufe heranführen, können einerseits in diesen Produkten zu einem verminderten Realitätsbezug führen. Andererseits sollten sie die Finanzarchitektur weniger anfällig machen. Das ist sicherlich ein äußerst wünschenswertes Ziel.—-Das Interview führte Silke Stoltenberg.