EU-Taxonomie

Atomkraft spaltet deutsche Finanzbranche

Nuklearenergie stößt in Deutschland auf Ablehnung. Ein offener Brief an die EU, der einen Ausschluss aus der geplanten Taxonomie fordert, findet in der Finanzbranche aber nicht überall Anklang.

Atomkraft spaltet deutsche Finanzbranche

jsc/wü Frankfurt/Paris

Das Plädoyer für einen Ausschluss der Atomkraft aus der geplanten EU-Taxonomie findet nicht überall in der deutschen Finanzbranche Rückhalt: Ein offener Brief an die EU-Kommission der Initiative Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG), der neben zivilen Vereinen und Forschungsinstituten auch Banken, Fondsanbieter und andere Finanzadressen angeschlossen sind, nennt im Dokument neben einigen Einzelpersonen 44 Finanzfirmen und Organisationen als ausdrückliche Unterstützer, obwohl die Initiative insgesamt mehr als 200 Mitglieder zählt. Das Forum appelliert an die Kommission, Atomkraft nicht als nachhaltige Energieerzeugung einzugruppieren. In dem Brief verweist die Initiative auf die ungelöste Frage der Atommülllagerung und auf das Unglück in Fukushima­ 2011. In etlichen Bewertungssystemen, darunter das FNG-Siegel, werde Atomkraft ausgeschlossen.

Aus Sicht der Initiative bedeutet ein Fehlen in dem Schreiben nicht, dass die jeweilige Gesellschaft das Ansinnen ablehnt. „Die meisten Mitglieder betrachten eine Stellungnahme des FNG sowieso als ‚ihre‘ Stellungnahme“, schreibt Geschäftsführerin Angela McClellan auf Nachfrage. „Einige wollten aber zusätzlich noch namentlich erwähnt werden.“

Die Fondsgesellschaft DWS, die wie Allianz Global Investors, aber anders als Deka Investment und Union Investment nicht in dem Brief auftaucht, stellt sich zwar im Prinzip hinter das Anliegen. „Grundsätzlich erscheint für uns die Einwertung von Atomkraft als wirtschaftlich nachhaltige Aktivität vor dem Hintergrund des Do-No-Significant-Harm innerhalb der Taxonomie als wenig nachvollziehbar“, erklärt die DWS. „Im Sinne einer einheitlichen europäischen Einigung“ analysiere sie aber die weitere Entwicklung.

Allianz Global Investors wiederum verwies am Freitag auf die seit Juli global gültige Ausschlussliste des Unternehmens. „Nach intensiven internen Diskussionen wurde eine Liste von Ausschlusskriterien veröffentlicht, die Nuklearenergie nicht enthält. Daher wäre es jetzt inkonsequent, auf der politischen Schiene auf den Ausschluss zu drängen.“

Der offene Brief berührt zwei grundsätzliche Fragen im nachhaltigen Finanzwesen: erstens die Haltung der Branche zur Atomkraft, die als stabile Energiequelle eine Alternative zur Kohlekraft darstellt, statt Treibhausgasemissionen und Feinpartikeln aber bekanntlich eigene Ri­siken mit sich bringt. Zweitens die Frage, wie stark sich eine Gesellschaft für politische Ziele einsetzen sollte, – und wann Zurückhaltung geboten ist.

Auch in Frankreich umstritten

In Frankreich ist die Atomkraft anders als in Deutschland noch verbreitet – entsprechend finden sich die Namen der französisch geprägten Adressen Candriam und Sycomore ebenfalls nicht unter den Unterstützern. Doch auch in dem Nachbarland ist die Atomkraft umstritten: Kritisch äußert sich etwa die Nichtregierungsorganisation Reclaim Finance. Es bestehe das Risiko, dass eine breit angelegte Lobbykampagne die Taxonomie nicht nur zugunsten der Gas-, sondern auch der Atomindustrie kompromittiere, urteilt die Initiative in einem kürzlich veröffentlichten Bericht.

Dabei stellten beide Energieformen eine Gefahr für die nachhaltige Entwicklung dar und seien daher in den ersten Vorschlägen der Experten für die Taxonomie-Verordnung ab­gelehnt worden. Seitdem habe es hunderte von Treffen der Lobbyisten der Gas- und Atomindustrie mit EU-Beamten­ gegeben. Wenn diese Sektoren aufgenommen würden, be­deute das den Todesstoß für die Taxonomie-Verordnung, die eigentlich der Eckstein der nachhaltigen Finanzstrategie der EU hätte sein sollen, hält Paul Schreiber fest, der Autor des Berichts von Reclaim Finance.

Auch der Vermögensverwalter La Financière de l’Echiquier äußert sich kritisch: Die Taxonomie könne einen großen Einfluss haben, wenn sie auf unanfechtbaren wissenschaftlichen Daten basiere, sagt Coline Pavot, Research-Leiterin für verantwortliches Investieren. „Wenn das Gewicht der Lobbygruppen uns dazu bringt, einige umstrittene Aktivitäten mit reinzunehmen, wird die Taxonomie weniger einvernehmlich sein.“

Wertberichtigt Seite 6