Auch Banken sind in der Pflicht

Finanzwirtschaft muss gesellschaftlichen Wandel vorleben - Zukunftsmodell Kreislaufwirtschaft

Auch Banken sind in der Pflicht

Die grüne Welle rollt unaufhaltsam in der Finanzwirtschaft. Kaum eine Bank, die ihre Finanzierungs- und Beratungstätigkeit nicht auf nachhaltige Kriterien einstellt. Die politischen Entscheidungsträger und die Aufsichtsgremien der Branche haben sich national wie international längst des Themas angenommen und versuchen, dem Betätigungsfeld “Green Finance” einen angemessenen regulatorischen Rahmen zu geben. Auch wenn Beobachter mehr Koordination bei den verschiedenen Standardisierungs- und Transparenzvorhaben fordern und bereits vor einem “regulatorischen Wildwuchs” warnen, so bekommt der Finanzsektor doch langsam einen verlässlichen Rahmen für das, was den sogenannten ESG-Kriterien für Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung) entspricht und was nicht. Auf dem richtigen Weg?Alles also auf dem richtigen Weg? – Ja und nein. Der Siegeszug von Green Bonds und Green Loans bedeutet nicht, dass einfach eine neue attraktive Produktkategorie entstanden ist, die derzeit am Markt immer mehr Nachfrage erfährt. Erstmals in der modernen Finanzwirtschaft wird Finanzierungskapital in immer größerem Umfang so allokiert, dass es übergeordnete Ziele, die von weiten Kreisen der Politik und der Gesellschaft verfolgt werden, fördert und unterstützt, allen voran Klimaschutz und globale CO2-Reduktion.Es liegt auf der Hand, dass eine solche Umwälzung auch zu Veränderungen bei den Finanzinstituten selbst führen muss. Wenn Banken und Sparkassen ihr gerne zitiertes Postulat, “Teil der Gesellschaft” zu sein und “gesellschaftliche Verantwortung” zu tragen, wirklich ernst nehmen, müssen sie auch ihre eigene Kultur hinterfragen und stärker als bisher auf Nachhaltigkeitsaspekte ausrichten.Das beginnt wie immer im Kleinen und im eigenen Umfeld. Die Coronakrise hat uns gelehrt, dass digitale Kommunikationsmittel den Austausch mit Kollegen, Kunden und anderen Geschäftspartnern sicherstellen können, auch wenn Reise- und Kontaktbeschränkungen physische Treffen unmöglich machen. Diese Erkenntnis, die in der Finanzbranche zuvor alles andere als akzeptiert war, wird unser Kommunikationsverhalten vermutlich dauerhaft beeinflussen. Soweit eine Reisetätigkeit doch weiterhin notwendig ist, sollte sie möglichst CO2-neutral erfolgen – sei es durch geeignete Verkehrsmittel oder entsprechende finanzielle Ausgleichsleistungen.Und es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass Finanzinstitute und Finanzbehörden sich bemühen, ihre eigenen Räumlichkeiten so effizient und ressourcenschonend wie möglich zu gestalten. So ist zum Beispiel das neuerbaute “Marienforum” in der Frankfurter City, seit März 2019 Heimat der ABN Amro Deutschland, ein echtes “Green Building”. Es hat das Vorzeigezertifikat LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) “Platin” erhalten und setzt höchste Standards für Energieeinsparung und Ressourcenschonung. Zugegeben: Nicht jede – mitunter altehrwürdige – Niederlassung von Finanzdienstleistern wird diese strengen Anforderungen erfüllen können, aber die Unternehmen sind aufgefordert, zumindest an der Optimierung ihres ökologischen Fußabdrucks zu arbeiten. Katalysator für den WandelNachhaltige Finanzierungstätigkeit der Finanzwirtschaft sollte, wenn sie konsequent angelegt ist, die grüne Transformation von Unternehmen oder Institutionen nicht nur punktuell, sondern ganzheitlich fördern. So haben sich Green Loans, also Kredite, die an bestimmte nachhaltige Investitionen gebunden sind, in den vergangenen Jahren am Markt etabliert.Aussichtsreicher als die Finanzierung dieser speziellen Assets, etwa eines Windparks, sind aber Kreditmodelle, die die grundsätzliche Performance von Unternehmen mit Blick auf den ökologischen und sozialen Wandel als Maßstab haben. Diese sogenannten Sustainability-linked Loans (SLL) sind, auch in Bezug auf das Pricing, an das Erreichen klar definierter Ziele geknüpft, etwa die CO2-Reduktion in der Produktion oder eine verantwortungsbewusste Einkaufspolitik. Es liegt auf der Hand, dass die gesellschaftlich größte Wirkung von SLL-Modellen sich in jenen Branchen entfaltet, in denen nach landläufiger Meinung noch viel Verbesserungspotenzial gesehen wird, etwa in der Schwerindustrie oder in der Schifffahrtsbranche.Niemand verlangt, dass Banken und andere Finanzdienstleister im “Fridays-for-Future-Zeitalter” zu altruistischen Kämpfern für eine saubere und gerechte Welt werden. Es reicht, wenn die Finanzwirtschaft sich ihrer Rolle und Bedeutung als Katalysator beim notwendigen gesellschaftlichen Wandel bewusst ist und ihr Geschäftsmodell nach und nach und vor allem glaubwürdig darauf ausrichtet.Der niederländische ABN-Amro-Konzern hat diese Aufgabe in den Slogan “Banking for better, for generations to come” gepackt. Dabei geht die Bank noch einen Schritt weiter und sieht die nächste Stufe nachhaltigen Finanzierens in der “Circular Economy”, also der Kreislaufwirtschaft. Sie beschreibt ein System, in dem der Abfall einer Partei nicht einfach entsorgt wird, sondern einer anderen Partei als Rohstoff dient. Ziel ist, eine maximale Wertschöpfung und Nutzung aller Rohstoffe, Produkte und Abfälle zu erreichen, Energie einzusparen und Emissionen zu minimieren. Die Vorteile solch eines zirkulären Wirtschaftssystems hat auch die Europäische Kommission erkannt und bereits 2015 ein entsprechendes Maßnahmen- und Förderpaket verabschiedet.Im Gegensatz zu den Niederlanden ist der Grundgedanke der Circular Economy in Deutschland noch wenig verbreitet. In unserem Nachbarland gibt es dagegen eine Vielzahl von unternehmerischen Initiativen, die konsequent auf die Vermeidung von Abfall und die Wiederverwendung von Materialien setzen, darunter Start-ups wie etablierte Großunternehmen.Banken können diesen Übergang zur Kreislaufwirtschaft durch eine gezielte Finanzierungstätigkeit beschleunigen. ABN Amro hat erklärt, bis Ende dieses Jahres 1 Mrd. Euro in zirkulärem Umlaufvermögen sowie 100 zirkuläre Kredite finanzieren zu wollen. Hinzu kommt die Reduzierung der CO2-Emissionen um 1 Million Tonnen. Noch in den KinderschuhenDie Regierung in Den Haag hat beschlossen, die heimische Wirtschaft bis 2050 auf ein Kreislaufmodell umzustellen. Das ist natürlich noch ein weiter Weg: Um zirkulär zu wirtschaften, müssen Verbraucher ihre Verhaltensmuster ändern und anders konsumieren. Produzenten und Lieferanten müssen nach tragfähigen zirkulären Erlösmodellen suchen. Dabei bieten sich Konzepte an, bei denen sie ihre Produkte nicht verkaufen, sondern vielmehr ihr Eigentümer bleiben und ihnen nach dem Gebrauch ein “zweites Leben” ermöglichen.Warum zum Beispiel können Fahrstühle in einem Gebäude nicht als Service des Herstellers genutzt werden, der pro Nutzung bezahlt wird? Am Ende seines Lebenszyklus wird der Fahrstuhl demontiert, und mehr als 95 % der Komponenten können wiederverwertet werden. Utopie? – Nein, sondern eines der Geschäftsmodelle, die von ABN Amro im Rahmen der “100 circular deals”-Kampagne gefördert werden.Auch wenn die Kreislaufwirtschaft noch in den Kinderschuhen steckt, so bietet sie für Banken, die sich frühzeitig auf dieses Wirtschaftsmodell einstellen, mittel- und langfristig interessante Wachstums- und Renditechancen. ABN Amro dokumentierte bereits 2017, dass es die Bank ernst mit zirkulärem Denken meint. Damals eröffnete sie im Amsterdamer Geschäftsviertel Zuidas den spektakulären Multifunktions-Pavillon “Circl”. Er ist ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft weitgehend aus bereits gebrauchten Materialien gebaut. So bekamen etwa 16 000 alte Jeans in dem Eye-Catcher-Gebäude ein neues Leben – als Deckenisolierung. Stefan Meine, Head of Corporate Banking Deutschland bei der ABN Amro Bank N.V.