DAS CFO-INTERVIEW - IM INTERVIEW: GREGOR POTTMEYER

Auf beschleunigtes organisches Wachstum fokussiert

Finanzvorstand der Deutschen Börse: Unternehmensübernahmen nur in kleinem Maßstab - Finanztransaktionssteuer nicht der richtige Weg

Auf beschleunigtes organisches Wachstum fokussiert

– Ist die Deutsche Börse auch ohne Nyse Euronext ein starkes und schlagkräftiges Unternehmen?Ja. Wir wollten den Merger machen, mussten es aber nicht. Die Überlegung war, dass es Potenziale gibt, die wir gemeinsam schneller hätten heben können. Die Deutsche Börse ist auch ohne Partner gut aufgestellt und sehr stark. 2011 war unser zweitbestes Geschäftsjahr, wir haben den Erlös um 6 %, das Ergebnis vor Zinsen und Steuern um 13 % und das Ergebnis je Aktie um 16 % gesteigert. Unser Geschäftsmodell, das die gesamte Wertschöpfungskette vom Handel über Clearing und Abwicklung bis hin zu Verwahrung und Marktdaten abdeckt, hat Vorbildcharakter und wird von anderen Börsen kopiert. Insofern haben wir mit unserem Modell, das wir weiterentwickeln, einen Vorsprung vor unseren Wettbewerbern.- Wie steht die Deutsche Börse im Peergroup-Vergleich da?Gut. Nach Erlös sind wir weltweit die Nummer 2 hinter der amerikanischen CME Group, nach Nettoergebnis sogar die Nummer 1. Nach eigener Marktkapitalisierung sind wir der viertgrößte Börsenbetreiber. In Europa sind wir nach dieser Betrachtung mit knapp 10 Mrd. Euro der mit Abstand größte Börsenbetreiber und auch der einzige, der in der Weltliga mitspielt. Die Marktkapitalisierung der nächstgrößten Börse in Europa, der LSE, beträgt gerade mal ein Drittel.- Ist das Thema M & A tot?Man muss zur Kenntnis nehmen, dass im vergangenen Jahr alle großen, grenzüberschreitenden Transaktionen von Börsen nicht genehmigt wurden, neben Deutsche Börse/Nyse zum Beispiel auch die versuchten Fusionen der LSE mit der kanadischen TMX oder der Börse Singapur mit der australischen Börse. Sie sind alle aufgrund von Bedenken von Politikern und Regulatoren nicht zum Tragen gekommen. In den kommenden ein bis zwei Jahren wird es deswegen vermutlich keine großen internationalen Transaktionen im Börsenbereich geben.- Wie formulieren Sie nach der Absage der Fusion Ihre strategischen Prioritäten?Wir konzentrieren uns nun auf beschleunigtes organisches Wachstum. Dabei fokussieren wir uns auf drei Bereiche: neue Produkte für unbesicherte, unregulierte Märkte, erweiterte Technologie-Dienstleistungen sowie mehr Geschäft in Wachstumsregionen, darunter insbesondere Asien. Anorganisches Wachstum, also Unternehmensübernahmen, werden wir nur im kleinen Maßstab tätigen, wenn unmittelbar ein Mehrwert für unser Unternehmen, unsere Anteilseigner und unsere Kunden entsteht – so wie im zurückliegenden Jahr, als wir die Mehrheit an der Leipziger Strombörse EEX übernommen haben. Wenn sich interessante Gelegenheiten ergeben, werden wir sie prüfen.- Welche Rolle spielt für die Deutsche Börse die Regulierung?Eine sehr wichtige, denken Sie an die neue Regulierung in Gestalt der Emir (European Market Infrastructure Regulation) bei den außerbörslichen Derivaten. Sie sieht vor, dass künftig standardisierte außerbörsliche Derivate über Clearing-Häuser abgerechnet und besichert werden sollen. Derzeit gehen die Regulatoren davon aus, dass ungefähr 80 % des außerbörslichen Derivatemarktes standardisierbar sind. Das ist ein riesiger Markt, der sich da öffnet, und wir sind zuversichtlich, dass wir mit unseren ausgezeichneten Instrumenten zum Risikomanagement dort Marktanteile und Volumina gewinnen können.- Worauf gründet sich Ihre Zuversicht?Wir bieten die höchste Kapitaleffizienz durch unser Portfolio-Margining. Hinterlegte Sicherheitsleistungen können so optimal genutzt werden, was in Zeiten gestiegener Eigenkapitalanforderungen sehr wichtig ist. Aufgrund der damit möglichen Einschussverrechnung zwischen außerbörslichen und unseren börslichen Derivaten wie den Bund- oder den Aktienindex-Futures wird bei den Marktteilnehmern weniger Kapital beansprucht. Für Banken ist vor dem Hintergrund von Basel III sehr wichtig, Kapital möglichst effizient zu allozieren. So ist es attraktiv, unser Clearing-Haus zu nutzen. Zudem sind wir das einzige Haus, das Risikomanagement in Echtzeit anbietet. Andere Wettbewerber bieten lediglich ein bis zwei Mal am Tag eine Positionsübersicht an. Auch da sind wir deutlich in Führung.- Welches Potenzial versprechen Sie sich durch die Probleme der unbesicherten Märkte?Das ist eine Vertrauensfrage im Jahr vier seit Ausbruch der Finanzkrise. Sicherheiten-Management hat heute eine zentrale Bedeutung. Mit Clearstream bieten wir eine Möglichkeit, das Sicherheitenmanagement zu optimieren. Wir helfen den Kunden, alle Sicherheiten über sämtliche Zeitzonen und Assetklassen für die Hinterlegung zu mobilisieren. Das geschieht mittels eines Systems, das vollautomatisch aufzeigt, welche Sicherheiten effizient für eine Transaktion hinterlegt werden können. Wir bauen das durch Kooperationen mit anderen Zentralverwahrern aus. So haben wir unter anderem Kooperationen mit den Zentralverwahrern in Brasilien, Australien, Südafrika und Kanada vereinbart. Interessant ist unser Angebot aber auch für Depotbanken. So haben wir eine Kooperation mit BNP Paribas vereinbart. Auch in diesem Bereich können wir Mehrwert bieten und Wachstum generieren.- Was planen Sie im Bereich Technology Services?Derzeit wird der Bereich primär für den eigenen Bedarf genutzt. Ferner bieten wir unser Know-how Kunden an, die daran interessiert sind. So wird das Xetra-Handelssystem in Wien, Dublin, Ljubljana und Sofia genutzt. Bisher ist die Nutzung unseres Know-hows durch Externe aber noch nicht als systematischer Ansatz gefahren worden. Wir können unseren Service nicht nur auf der Handelsebene, sondern auch im Clearing-, Settlement- und Custody-Bereich anbieten. Damit sind wir für andere Börsen, Zentralverwahrer sowie auch für Banken interessant, denen wir Dienstleistungen über unsere Netzwerke anbieten können.- Welche Bedeutung haben die Schwellenländer, insbesondere Asien?Wir sind in Asien schon gut aufgestellt, insbesondere mit Clearstream. Clearstream erwirtschaftet bereits 20 % ihres internationalen Umsatzes mit asiatischen Kunden, und das wollen wir bis zum Jahr 2016 auf 30 % ausbauen. Darüber hinaus wollen wir auch mit Eurex in Asien wachsen. Dabei setzen wir unter anderem auf Produktkooperationen. So bieten wir bereits zur europäischen und amerikanischen Handelszeit den Handel in der koreanischen Kospi-200-Option, dem weltweit aktivsten Kontrakt, an. Ferner wollen wir neue Handelsfirmen finden, die Eurex-Prozesse und -Produkte nutzen. Derzeit haben wir rund 20 Teilnehmer in Asien.- Sie haben für dieses Jahr Investitionen von 160 Mill. Euro in Wachstumsinitiativen angekündigt. Wo liegen die Schwerpunkte?Mehr als die Hälfte widmen wir dem Derivatebereich, weil wir hier das größte Wachstumspotenzial sehen. 35 % sind für Clearstream vorgesehen, der Rest für den Kassamarktbereich und das Datengeschäft.- Wie sieht Ihr Ausblick auf das Jahr 2012 aus?Wir gehen von einem Erlöswachstum von zwischen 5 % und 12 % aus. Ferner rechnen wir mit Kosten von weniger als 1,2 Mrd. Euro und einem im Vergleich zum Vorjahr höheren Ergebnis vor Zinsen und Steuern von 1,2 Mrd. bis 1,35 Mrd. Euro.- Wie wirkt sich die Übernahme des 15 %-Anteils an der Eurex der Six Group aus?Durch den Erwerb generieren wir, wenn wir die Zahlen des Jahres 2011 zugrunde legen, einen zusätzlichen Erlös von rund 110 Mill. Euro. Der Überschuss erhöht sich dadurch um ca. 60 Mill. Euro.- Die New Yorker Optionsbörse ISE hat in der Vergangenheit in Form hoher Abschreibungen für Probleme gesorgt. Wie zufrieden sind Sie mit der aktuellen Entwicklung?Wir sind mit der aktuellen Entwicklung zufrieden. Im zurückliegenden Jahr konnte die ISE ihren Handelsumsatz um 4 % steigern und ihren Marktanteil stabilisieren. Gelungen ist das insbesondere mit der Einführung des neuen Optimise-Handelssystems. Dadurch haben sich Geschwindigkeit und Funktionalität massiv verbessert. Außerdem können wir nun wesentlich schneller, nämlich innerhalb von vier Wochen, neue Funktionalitäten einführen. Optimise hat dazu geführt, dass sich die Marktakzeptanz der ISE wieder gesteigert hat.- Und wie beurteilen Sie die Aussichten?Der Ausblick ist schwierig, was für den gesamten Derivatehandel gilt. In den ersten drei Monaten sind die Handelsumsätze der gesamten Eurex um 16 % gesunken, und es bleibt abzuwarten, wie sich das weiterentwickelt. Entscheidend wird sein, ob die Volatilität wieder anzieht. Wir gehen davon aus, dass dies in den nächsten Quartalen geschehen wird und dann auch der Handelsumsatz steigt. Wir rechnen nach wie vor mit Wachstum in diesem Jahr. Im Übrigen ist zu bedenken, dass die Ausgangsbasis des Vorjahresquartals sehr hoch ist. Ferner hatten wir im März bereits ein besseres Bild. Der Handelsumsatz war um 20 % höher als in den ersten beiden Monaten des Jahres. Allerdings lag auch das März-Volumen unter der sehr hohen Ausgangsbasis des Vorjahres. Bei Clearstream lag das verwahrte Vermögen im März mit 11,1 Billionen um 2 % leicht unter dem Vorjahreswert. Das Servicegeschäft mit den Bereichen Sicherheitenmanagement, Wertpapierleihe und Triparty Repo legte im März weiter zu und wuchs im ersten Quartal 2012 um insgesamt 8 % im Vergleich zum Vorjahresquartal.- Wie beurteilen Sie die von der Regulierung ausgehenden Risiken, so insbesondere die Finanztransaktionssteuer?Grundsätzlich können wir die politische Motivation verstehen, die Finanzbranche an den Kosten der Krise zu beteiligen. Die Steuer ist jedoch nicht das richtige Instrument, denn sie führt zu Marktverzerrungen. Sie würde sich negativ auf das Wachstum auswirken und dazu führen, dass der Handel in nichttransparenten Märkten zunimmt. Wenn sie eingeführt wird, muss das EU-weit geschehen, um Verlagerungen in Länder ohne Finanztransaktionssteuer zu verhindern. Zudem ist ein ganzheitlicher Ansatz notwendig, das heißt, es muss besonders der risikoreiche außerbörsliche Handel besteuert werden.- Welche Folgen hätte die Steuer für den Hochfrequenzhandel, und wie beurteilen Sie die von Politikern geäußerten Bedenken gegen den ultraschnellen Börsenhandel?Der Hochfrequenzhandel würde durch eine Finanztransaktionssteuer getroffen. In der Folge würde es zu einer Verlagerung in Jurisdiktionen kommen, die eine solche Steuer nicht einführen wollen, also etwa nach London, in die Schweiz oder nach Singapur. Dieses Geschäft würde also nicht verschwinden, sondern lediglich verlagert. Hochfrequenzhändler sind nach unserer Meinung aber Liquiditätsspender. Sie sorgen für engere Geld-Brief-Spannen und damit für attraktivere Preise für unsere Kunden. Ein europäischer Markt ohne Hochfrequenzhandel wäre also ein Stück schlechter.- Wie sehen die Eckpfeiler Ihrer Finanzplanung aus?Wie bereits erwähnt gehen wir für dieses Jahr von einem Erlöswachstum von 5 % bis 12 %, von Kosten von weniger als 1,2 Mrd. Euro und einem Ergebnis vor Zinsen und Steuern von 1,2 Mrd. bis 1,35 Mrd. Euro aus. Die Investitionen in Wachstumsinitiativen erhöhen wir von 120 auf 160 Mill. Euro. Die Dividende steigt von 2,10 auf 2,30 Euro. Hinzu kommt eine Sonderdividende von 1 Euro, sodass wir eine attraktive Dividendenrendite von rund 6 % bis 7 % bieten. Ferner planen wir im zweiten Halbjahr Aktienrückkäufe von bis zu 200 Mill. Euro zu tätigen. Die Ausschüttungssumme beläuft sich dann auf insgesamt rund 800 Mill. Euro. Wir streben grundsätzlich eine Dividendenausschüttungsquote von 40 % bis 60%. Sofern zusätzliche liquide Mittel zur Verfügung stehen und nicht für wertschaffende Investitionen benötigt werden, führen wir Aktienrückkäufe durch.- Warum ist das Rating für die Deutsche Börse wichtig?Als eines der wenigen Unternehmen im Dax haben wir ein “AA”-Rating, sein Ausblick wurde nach der Absage der Fusion wieder auf stabil gestellt. Wir haben Assets under Custody im Volumen von 11 Bill. Euro. Unter den Kunden sind sehr viele Asiaten. Gerade für diese ist ein sehr gutes Rating wichtig. Sie fühlen sich dann sicher, dass ihre Assets in sicheren Händen sind. Weil das Rating somit für Clearstream entscheidend ist, streben wir eine Zinsdeckung von wenigstens Faktor 16 Ebitda zu Zinsaufwand, was einem “AA”-Rating entspricht, an. Im Jahr 2011 hatten wir eine Zinsdeckung von 19, für das laufende Jahr prognostizieren wir 19 bis 21. Insofern haben wir unser Rating stabilisiert.- Sind die Effizienzmaßnahmen der Deutschen Börse im Plan?Ja. Im Jahr 2010 haben wir ein Kostensenkungsprogramm über 150 Mill. Euro beschlossen, das bis zum Jahr 2013 umgesetzt sein sollte. Dieses Ziel werden wir früher als geplant bereits in diesem Jahr erreichen. 2011 waren von dem Programm bereits 130 Mill. Euro realisiert. Im laufenden Jahr kommen weitere 20 Mill. hinzu. Die Personalmaßnahmen sind schon länger umgesetzt, im Übrigen ausschließlich sozialverträglich und einvernehmlich, das heißt ohne betriebsbedingte Kündigungen. Derzeit haben wir keine neuen Kostensenkungsprogramme geplant. Vielmehr wollen wir ein kontinuierliches, stabiles Kostenmanagement betreiben. Weitere Effizienzgewinne werden sich übrigens durch die Einführung des neuen Eurex-Handelssystems ergeben.- Wie entwickelt sich die Steuerquote?Die Steuerquote liegt bei 26 %. Damit haben wir hier ebenfalls unsere Ziele erreicht. Wir planen auch für das laufende Jahr mit einer Steuerquote von 26 %.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.