GastkommentarKreditrisiken von Gewerbeimmobilien

Besuch der Fußgängerzone hätte sich für manche Bank gelohnt

Der Signa-Schock wäre vermeidbar gewesen, schreibt Gastautor Dirk Müller-Tronnier. Banken sollten bei der Kreditvergabe nicht blind auf Modelle vertrauen.

Besuch der Fußgängerzone hätte sich für manche Bank gelohnt

Besuch der Fußgängerzone hätte sich für manche Bank gelohnt

Alle paar Jahre materialisieren sich aufgetürmte Kreditrisiken plötzlich und erschüttern den Markt. In den 90er Jahren wurden Ostimmobilien immer teurer und damit zum Problem. Jürgen Schneider baute kleiner als beliehen oder einfach zu aufwändig. Die 2000er Jahre brachten das Ende des Kirch-Konglomerats und des Neuen Marktes. Es folgte die ABS/CDS-Falle, bei der viele schlechte Risiken durchmischt wurden, bis sie kaum noch erkennbar waren.

Später verursachte der ungebremste Aufbau von Überkapazitäten im Schiffsbau einen massiven Einbruch der Charterraten und belastete die Kreditbücher teilweise erheblich. In diesem Jahr sind es die Gewerbeimmobilien und insbesondere die Probleme der Signa, die erheblichen Korrekturbedarf verursachen.

Gemeinsames Muster

In dieser kleinen Auswahl zeigt sich ein Muster. Gemeinsam ist diesen Beispielen, dass sich Marktentwicklungen in den von Banken eingesetzten Bewertungsverfahren niedergeschlagen haben. Das sorgte dafür, dass zahlreiche Kreditgeber ähnlich und gleichgerichtet agierten. Auf diese Weise stützten sich die Bewertungen der finanzierten Projekte gegenseitig. In der Folge wurden die Projekte selbst immer größer und riskanter.

Zusätzlich fühlten sich Vorstände gedrängt, ähnlich lukrative Geschäfte wie die Wettbewerber zu machen. So sprangen einige Häuser spät noch auf und befeuerten den Trend weiter – bis er in sich zusammenbrach.

Kreditentscheidungen erfordern eine sorgfältige Analyse der Kreditwürdigkeit, Zahlungsfähigkeit und der vorhandenen Sicherheiten. Nicht nur im Massengeschäft wird dabei mit möglichst vielen Arbeitsschritten zunächst recht standardisiert vorgegangen. Dies ist naheliegend, üblich und hilfreich, weil sich so die nächste Entscheidungsebene weitgehend auf bereits erledigte Vorarbeiten verlassen kann.

Modelle sind nur ein Mittel

Die Maschine allein kann dem Vorstand die Entscheidung aber nicht abnehmen. Modelle sind nicht alles; schon die genannten Beispiele der jüngeren Vergangenheit zeigten, dass auch Systeme versagen können, die lange funktionierten. Zudem sind Szenarien in engen Märkten schnell überholt, wenn sich Nebenbedingungen wie das Zinsumfeld, staatliche Förderungsprogramme oder die geopolitischen Nebenbedingungen ändern.

Die verwendeten Eingangsparameter und Fakten sind nur aussagefähig, wenn sie aktuell sind – und wenn sie alle Nebenbedingungen berücksichtigen. Per Modell ist das kaum zu bewältigen – es lässt sich nicht vorab umfassend testen.

Abstrakte Resultate

Die Lehre daraus ist: Ob es sich nun um Kredite oder Handelsprodukte handelt, die Verwendung von Ratings und Scores sollte nicht automatisch erfolgen. Die so erhaltenen abstrakten Resultate sind interpretationsbedürftig – bei der Ablehnung, aber gerade auch bei der Genehmigung von Limits und Krediten.

Aus standardisierten Rechenoperationen ermittelte Zahlen oder Buchstaben sollten daher immer nur unterstützend herangezogen werden. Das forderte zuletzt auch der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil zum Einsatz der Schufa-Scores, freilich eher mit Blick auf die mögliche Ablehnung von Kreditanträgen.

Plausibilisierung erforderlich

Bei den über ein Geschäft entscheidenden Stellen muss ein Grundverständnis bestehen, wie das eingesetzte Modell rechnet und wie es welche Sachverhalte gewichtet. Dieses Verständnis muss immer wieder plausibilisiert werden. Nirgends sollte einfach nur ein Rechenwerk eingesetzt werden, das nicht so weit selbst durchschaut und getestet wurde, dass man sich guten Gewissens darauf verlassen kann.

Das gilt, unabhängig davon, ob es ein intern entwickeltes, zugekauftes oder extern arbeitendes System ist. Daneben und zusätzlich braucht es die qualifizierte Sicht auf die Umstände.

Banken müssen auch beim Einsatz aller denkbaren Hilfsmittel letztlich eine eigene Entscheidung herleiten und treffen. Das gilt in beide Richtungen: nicht nur eine Ablehnung, gerade auch eine Genehmigung braucht eine ergänzende Beurteilung für die (positive) Entscheidung. Die Gewährung eines Kredites oder die Ablehnung muss also aus eigener Kraft erfolgen.

Dies wird auch recht klar von den MaRisk gefordert. Die Umsetzung aber erfordert zusätzliche und regelmäßige Anstrengungen.

Bauchgefühl hilfreich

Sich selbst speisende Trends müssen zumindest für das eigene Haus eingegrenzt werden. Neben Berechnungen und Modellszenarien sollte auch unsystematisch auf Risiken geschaut werden: mit Bauchgefühl, gesundem Menschenverstand, unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen und Erwartungen.

Dieser Rat kam in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zu spät. Kreditgeber tun gut daran, bei den großen Projekten der Kreditnehmer vorbeizuschauen und den persönlichen Eindruck auf sich wirken zu lassen. Der Besuch der Fußgängerzone hätte sich auch im Boom der vergangenen Jahre gelohnt. Die persönliche Besichtigung der erstellten Flächen oder die Einschätzung des Kunden- oder Warenverkehrs an einem normalen Geschäftstag hätte modellgestützte Bewertungsergebnisse möglicherweise relativiert, wertvoll ergänzt oder auch verworfen.

Kritischen Blick schulen

So kann also ein Gang durch die Innenstadt oder ein Gewerbegebiet auch heute noch eine sinnvolle Abwechslung im Arbeitsalltag sein. Der Vorstand muss die eingesetzten Bewertungsmethoden regelmäßig hinterfragen lassen, diese kritische interne Sicht fördern und dies auch selbst verproben. Ein Aufsichtsrat, der aufgrund seiner heterogenen Zusammensetzung unterschiedliche Erfahrungen mitbringt, kann und soll mit dem jeweiligen individuellen Hintergrund kritische Fragen stellen.

Das sich materialisierende Kreditrisiko ist also kein alter Brauch, aber ein zu oft wiederkehrendes Phänomen. Wie Weihnachten kommt dies nur scheinbar überraschend. Jetzt drohen wieder Kreditausfälle, die eine Vielzahl von Gläubigern teilweise erheblich betreffen. Es gilt, dies künftig einzudämmen.

Dirk
Müller-Tronnier

war Senior Partner bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY und arbeitet heute als selbständiger Berater