Börse Stuttgart hofft auf erleichterten Zugang zu Unternehmensanleihen
Börse Stuttgart hofft auf erleichterten Zugang zu Unternehmensanleihen
In ihrer Kleinanlegerstrategie deutet die EU-Kommission Kehrtwende bei Make-Whole-Klauseln an – Umsetzung wird noch Zeit in Anspruch nehmen
spe Stuttgart
Von Thomas Spengler, Stuttgart
Mit ihrer jüngst vorgelegten Kleinanlegerstrategie hat die EU-Kommission die Tür zum Handel von mehr Corporate Bonds für Privatanleger aufgestoßen. In dem Papier heißt es, dass Finanzinstrumente, deren variable Rückzahlung auf einer sogenannten Make-Whole-Klausel beruht, nicht mehr als „verpacktes Produkt“ (Priip) eingestuft und damit für Privatanleger börslich handelbar werden sollen. Betroffen sind Unternehmensanleihen, bei denen Make-Whole-Klauseln weit verbreitet sind.
„Die Kommission macht damit eine Kehrtwende, wie wir sie seit fünf Jahren fordern“, sagte Simon Guntrum, Regulierungsexperte an der Börse Stuttgart, die sich als Haupthandelsplatz für Corporate Bonds sieht. Der Sinneswandel in Brüssel dürfte unter anderem auf eine Studie der BaFin vom April 2021 zurückgehen, die einen signifikanten Rückgang des Handels von Corporate Bonds durch Privatanleger seit Inkrafttreten der Priips-Verordnung zum 1. Januar 2018 festgestellt hatte. Priips ist das Kürzel für die englische Bezeichnung solcher Produkte: Packaged Retail and Insurance-based Investment Products.
Größeres Produktuniversum
Tatsächlich würde sich durch Umsetzung der neuen Sichtweise das zugängliche Produktuniversum für Privatanleger bei Unternehmensanleihen erheblich vergrößern. Unter den derzeit rund 10.700 an der Börse Stuttgart gelisteten Corporate Bonds dürften rund 1.700 für Privatanleger handelbar sein.
Hinzukommen würden laut Guntrum rund 6.000 Papiere, die mit einer Make-Whole-Klausel ausgestattet sind. Eine solche Klausel gewährt dem Emittenten zwar ein vorzeitiges Kündigungsrecht, beinhaltet zugleich aber auch mehr
Anlegerschutz. So sichert die Klausel Investoren bei einer frühzeitigen Rückzahlung zu pari einen zusätzlichen Zuschlag, der den Zinsen entspricht, die bis zur eigentlichen Fälligkeit der Anleihe anfallen würden – und zwar abdiskontiert auf den Barwert zum Zeitpunkt der vorzeitigen Rückzahlung der Anleihe. Weil damit eine Art der Entschädigung ganz im Sinne des Anlegers vorgesehen ist, nennt Guntrum die bisherige Regelung innerhalb der Priips-Verordnung paradox.
Auch Rolf Deml, Geschäftsführer der Börse Düsseldorf, spricht in diesem Kontext von „falsch verstandenem Anlegerschutz“. Offenbar habe die Kommission aber inzwischen registriert, dass zahlreiche Unternehmensanleihen auch mit guter Bonität für Privatanleger nicht mehr erreichbar sind.
Ohnehin sei es äußerst seltene Praxis, dass Emittenten die Make-Whole-Klausel in Anspruch nehmen würden. „Die Unternehmen hätten dann mit einem gewissen Reputationsverlust zu kämpfen“, so Deml. Grundsätzlich könnten die Emittenten selbst die Handelbarkeit ihrer Corporate Bonds für Privatanleger ermöglichen, dann nämlich, wenn sie ein sogenanntes Basis-Informationsblatt für jede Emission erstellen würden. Da dies die allermeisten aber vermutlich aus Desinteresse nicht tun, bleiben Privatanleger außen vor.
Trilog steht noch aus
So oder so kann sich die Umsetzung nach Einschätzung Guntrums in die Länge ziehen. Formal folgen nach dem Vorschlag der EU-Kommission zur Kleinanlegerstrategie nun die Positionierungen des Europäischem Parlaments und des Rats der EU-Mitgliedstaaten. Anschließend gibt es die Beratungen im Trilog der drei EU-Institutionen, um einen gemeinsamen Text zu erarbeiten.
„Somit stehen wesentliche Teile des politischen Entscheidungsprozesses noch aus“, so Guntrum. Ob der finale Gesetzestext zur Kleinanlegerstrategie die von der EU-Kommission vorgeschlagene Änderung der Priips-Verordnung enthält, bleibt also noch abzuwarten. Auch die Zeitspanne bis zu einem Inkrafttreten der möglichen Änderung ist laut Guntrum noch offen.