Commerzbank ändert Prioritäten
Drei Jahre nach Einführung ihrer Group Finance Architecture leistet sich die Commerzbank nach wie vor einen Parallelbetrieb verschiedener Systeme, weil sie Investitionen scheut, die nötig sind, um die alte Apparatur abzuschalten. Bereichsvorstand Jochen Sutor wertet die IT-Plattform dennoch als Erfolg. Von Bernd Neubacher, FrankfurtDie Commerzbank schöpft auch drei Jahre nach Start ihrer “Group Finance Architecture” mangels erforderlicher Investitionen nicht alle Möglichkeiten dieser IT-Plattform aus, sieht den Start des Systems dennoch als Erfolg an. Dies wird in einem Gespräch der Börsen-Zeitung mit Jochen Sutor, Bereichsvorstand Group Finance, deutlich. So führt die Bank zwar bereits seit längerem weltweit alle Finanz- und Risikodaten in Frankfurt in einem Financial Data Warehouse zusammen, um auf einer einheitlichen Datenbasis ihre Bilanz nach HGB sowie nach IFRS zu erstellen. Im Ausland allerdings bleiben zugleich die alten Systeme weiter in Betrieb. Grund: Die auf das Financial Data Warehouse aufgeschaltete SAP-Software Bank Analyzer, die aus den Daten die aufsichtlichen Meldungen erstellt, ist bislang allein im Heimatmarkt in Betrieb. In den ausländischen Zweigstellen erledigen dies noch die alten Systeme. Systeme im ParallelbetriebDer Haken: Bevor die Bank die alten Systeme abschalten und die SAP-Software Bank Analyzer im Ausland aufspielen kann, muss sie diese Sutor zufolge zunächst in einen gleichsam eingefrorenen Zustand bringen und die dort erfassten Daten archivieren, um auch Jahre später etwa für steuerliche oder aufsichtliche Zwecke noch darauf zugreifen zu können. Dies aber erfordert Investitionen, welche die Bank derzeit nicht stemmen mag.Demgegenüber kostet freilich auch der Betrieb paralleler Systeme die Bank Geld. Wann die Commerzbank in die Abschaltung der alten Systeme im Ausland investieren wird, um den Parallelbetrieb abzuschalten, ist “eine Frage der Priorisierung”, wie Sutor erklärt. Die Kosten eines Übergangs differierten jeweils und seien pauschal nicht zu beziffern, sagt er über die mit einem Übergang verbundenen Kosten. “Ich würde gerne auch alte Systeme abschalten”, erklärt er. “Aber wir richten die zur Verfügung stehenden Mittel momentan eher auf Digitalisierungsthemen und Projekte aus, die auf unser Neugeschäft einzahlen. Die Group Finance Architecture bietet so gesehen also noch Potenzial.” Finanzvorstand Stephan Engels dreht derzeit jeden Euro zweimal um, nachdem der Konzern im August sein Kostenziel fürs laufende Jahr kassieren musste. “Voll im Toleranzbereich”Zugleich tritt Sutor dem Eindruck entgegen, die Bank sei damit hinter ihren Plan zurückgefallen. “Unsere Erwartung lautete, dass wir alte Systeme und Zulieferstrecken für die Datenversorgung sukzessive herunterfahren. Und da liegen wir voll im Toleranzbereich”, erklärt er. Mit ihrem neuen System spart die Bank nach eigenen Angaben zudem wie geplant jährlich einen zweistelligen Millionenbetrag ein. Auch würden auf der Plattform wie ursprünglich vorgesehen bereits Steuerdaten, etwa zur Umsatzsteuer, gebucht. In vollem Umfang zur Entfaltung gebracht hat die Bank das Potenziel ihrer Plattform damit dennoch nicht.Ihre Group Finance Architecture hatte die Bank sechs Jahre entwickelt und konzipiert. “Nach der Dresdner-Bank-Integration ist die Group Finance Architecture das größte Projekt, das wir in der Bank jemals gestemmt haben”, hatte Chief Operating Officer Frank Annuscheit 2016 der Börsen-Zeitung erklärt. Annuscheit und Finanzvorstand Stephan Engels hatten sich einen Wettbewerbsvorteil durch die Einführung der IT-Plattform attestiert. “Schön, aber auch kein Muss”Sutor relativiert nun, dass die Bank dabei den letzten Schritt noch nicht gegangen ist. Nachdem die Finanz- und Risikodaten auch aus dem Ausland im Financial Data Warehouse konzentriert seien, “wäre es schön, aber auch kein Muss”, die SAP-Architektur, konkret den Bank Analyzer, auch im Ausland für lokale Zwecke in Betrieb zu nehmen. “Für jede einzelne Zweigstelle” lohne es sich “eigentlich nicht”. Relevant sei letztlich, eine einheitliche Basis zu haben, in der alle Daten aus dem Ausland enthalten seien.Auch wenn die Bank nun am Geld spart, das nötig wäre, um die Vorzüge des Systems in vollem Umfang zu nutzen, dürfte das Haus mit ihrer Group-Finance-Architektur in der Branche dennoch recht achtbar dastehen: Die IT der Deutschen Bank, von Ex-Chef John Cryan als lausig bezeichnet, ist ein Kapitel für sich, und manche Landesbank muss dem Vernehmen nach derzeit derart hohe Beträge für ihre IT aufbringen, um Mängellisten der Aufsicht abzuarbeiten, dass dies spürbar den Gewinn drückt. “Ich weiß, dass wir mit unserer Architektur gut dastehen”, sagt Sutor, der die 2015 in Betrieb genommene Group Finance Architecture als Erfolg wertet. “Definitiv anders”Insgesamt hat die Commerzbank für das Vorhaben “etwas mehr als 300 Mill. Euro” ausgegeben, wie Sutor erklärt. “Wir sind jetzt in der Abschreibungsphase und damit zur Hälfte durch.” Der Jahresabschluss 2018 werde nun die vierte in dieser Architektur erstellte Bilanz nach HGB und IFRS sein. Hinzu kommen die jeweiligen Quartalsabschlüsse. “Im Umgang mit dem System sind wir jetzt geübt”, sagt er. Auch die Hoffnung auf eine höhere Qualität der Daten hat sich Sutor zufolge erfüllt, da die Maschine in Frankfurt nun in einer einheitlichen Vorgehensweise bestückt wird und auch die Qualitätssicherung harmonisiert ist. Der Abschluss funktioniere nun “definitiv anders”.In ihr Financial Data Warehouse hat die Bank Sutor zufolge die Risikodaten “bis zum Einzelkredit weltweit” mit Ausfallvolumina und Risikogewichten integriert. “Mit diesen Daten rechnen wir die Risikovorsorge zentral aus und schicken diese etwa an die Zweigstellen im Ausland zurück.” Dies erleichtere nicht nur die Erfüllung regulatorischer Vorgaben, sondern auch die Umsetzung der Geschäftspolitik. Dank einer stärkeren Standardisierung kann die Bank Teile ihres Abschlusses sogar in ihrem Shared Service Center in Halle, einer internen Outsourcing-Einheit, erstellen lassen, wie er sagt.Entgegen ihrer zu Beginn des Vorhabens damit verknüpften Hoffnung hat die Bank die Erstellung ihrer Abschlüsse indes nicht beschleunigen können. Sutor: “Das haben wir bisher nicht erreicht.” Der Manager führt dies auf zusätzliche Anforderungen zurück, die seit Start der Plattform hinzugekommen sind. “Dafür verarbeiten wir wesentlich mehr abschlussrelevante Inhalte und Daten in derselben Zeit”, sagt er. Seinen Angaben zufolge haben allein die Anforderungen des Kreditregisters Anacredit sowie die Einführung des Bilanzstandards IFRS 9 das Volumen der zu verarbeitenden Daten nahezu verdoppelt. Deutlich leichterVor diesem Hintergrund streicht Sutor heraus, dass das System dadurch nicht langsamer geworden sei. Auch ließen sich neue Vorgaben wie Anacredit oder IFRS 9 mit Hilfe einer einheitlichen Datenbank deutlich leichter umsetzen als mit der Vielzahl der zuvor genutzten Datensysteme – mit einer Abfrage zur Immobilienkreditvergabe hat Felix Hufeld, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), erst dieser Tage schon die nächste Neuerung angekündigt. Schon im Falle von IFRS 9 sei es kein Problem gewesen, Daten zur erwarteten Risikovorsorge zu integrieren, sagt Sutor: “Wir sind auf jeden Fall gut aufgestellt, um die geforderten Datenmengen auch künftig zeitgerecht bereitstellen können.” Wider den DatenseeZurückhaltend steht der Bereichsvorstand unterdessen dem Gedanken gegenüber, das Financial Data Warehouse des Instituts in das Banken und ihre Berater derzeit elektrisierende Konzept eines “Data Lake” zu integrieren, eines sehr großen Datenspeichers also, der sowohl unstrukturierte als auch strukturierte Daten aus den unterschiedlichsten Quellen im Rohformat aufnimmt und sich unter anderem für Big-Data-Analysen im Vertrieb einsetzen lässt.”Unser Data Lake soll perspektivisch mit Hilfe von Data Analytics vor allem den Vertrieb unterstützen, um unseren Kunden optimalen Nutzen zu bringen”, erklärt er. “Der Finanzbereich allein sollte aber die Hoheit über die Interpretation der Finanzdaten haben. Hier gilt das Need-to-know-Prinzip.”