Credit Suisse wird Lehrstück für Stabilitätswächter

Die Schweizerische Nationalbank zieht Lehren aus dem Fall der Credit-Suisse und will diese in ein zu reformierendes "Too big to Fail"-Gesetz einfliessen lassen. Die Erkenntnisse der Schweizer dürften auch unter ausländischen Bankaufseher auf grosses Interesse stossen.

Credit Suisse wird Lehrstück für Stabilitätswächter

SNB sieht Credit Suisse als Lehrstück

Schweizer Notenbank zieht Nutzen von AT1-Anleihen in Zweifel und relativiert den Wert von Kapital- und Liquiditätsquoten

Die Schweizer Stabilitätswächter werten die Credit-Suisse-Krise aus. Die Schuld für die Schieflage suchen sie in der Schwäche der internationalen Regulierungsvorgaben, die im Zuge der globalen Bankenkrise von 2008 entwickelt worden sind. Abhilfe schaffen soll ein nationales “Too-big-to-fail-Gesetz”.

dz Zürich

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat in ihrem aktuellen Bericht zur Finanzstabilität Lehren aus dem Fall der Credit Suisse gezogen. Auf einer Pressekonferenz, auf der die Notenbank auch die jüngste Leitzinserhöhung um 0,25 Punkte auf 1,75% erörterte, bezeichnete der für das Stabilitätsthema zuständige SNB-Vizepräsident Martin Schlegel die starke Fokussierung der bisherigen Großbankenregulierung auf regulatorische Kennzahlen wie Kernkapital- oder Liquiditätsquoten zumindest indirekt als Fehler. Die Fixierung auf bilanzielle Kennzahlen könne die frühzeitige Durchsetzung von Korrekturmaßnahmen verzögern und damit verhindern, dass sich Banken im Krisenfall aus eigener Kraft wieder aus dem Sumpf ziehen können.

Kapitalanforderungen übererfüllt

Tatsächlich hatte Credit Suisse die regulatorischen Kapitalanforderungen über den gesamten Krisenzeitraum von Oktober 2022 bis zur Übernahme im März 2023 übererfüllt. Der Niedergang der Bank war nicht primär Ausdruck eines Solvenzproblems, sondern eines akuten Vertrauensverlustes. Beides hängt indessen eng miteinander zusammen, wie die SNB in dem Bericht schreibt. So sei etwa die Glaubwürdigkeit einer Kernkapitalquote nur gegeben, wenn die der Bilanz zugrundeliegenden Aktiva vorsichtig bewertet seien und nötigenfalls ohne größere Verluste veräußert werden könnten.

Trügerische Bilanzquoten

Das war bei der Credit Suisse nicht der Fall, obschon die Bank bei der Berechnung ihrer Kernkapitalquote jeweils die internationalen Standards berücksichtigt habe. So habe die Bank künftig einforderbare Steuergutschriften aus Verlustvorträgen in Höhe von 2 Mrd. sfr als Aktiva geführt, die sich im Zuge des im Oktober angekündigten Rückbaus der Investmentbank aber über Nacht in Luft auflösten. Allein diese Abschreibung hatte die Hälfte der damaligen Kapitalerhöhung von 4 Mrd. sfr zunichtegemacht. Ein Problem, dem die Schweizer Bankenaufsicht weniger Beachtung geschenkt hat als die EU-Bankenaufsicht, waren auch die hohen immateriellen Aktiva der Credit Suisse in Form aktivierter Software-Investitionen. Aus diesen Beobachtungen leitet die SNB eine Schwäche der Definition von sogenanntem hartem Kernkapital ab.

Kritisch geht die Nationalbank auch mit den in der Bankenaufsicht gängigen Liquiditätskennziffern ins Gericht. Diese sahen im Fall der Credit Suisse von Oktober bis Mitte März einigermaßen solide bis genügend aus. Ein trügerische Sicherheit, denn den Gegenparteien der Credit Suisse war nicht entgangen, dass sich die Bank in einer ausgeprägten Stresssituation befand. Zwecks Beruhigung habe sich die Credit Suisse um ein besonders eiliges Zahlungsverhalten bemüht, gleichzeitig aber länger als sonst auf die Zahlungseingänge warten müssen. Dieser Umstand habe dazu geführt, dass ein großer Teil der ausgewiesenen Liquidität tatsächlich für die Aufrechterhaltung des Betriebes benötigt wurde und nicht für die Kontosaldierungen wechselwilliger Kunden zur Verfügung stand.

AT1-Option zu spät gezogen

Als wenig nützlich erwiesen sich nach Ansicht der SNB auch die Nachranganleihen, die sich im Fall einer Solvenzverschlechterung sofort in verlustabsorbierendes Kernkapital (AT1) umwandeln lassen. Dies sollte kriselnden Banken helfen, Verluste frühzeitig zu tilgen, um sich aus eigener Kraft wieder aufrichten zu können. Die AT1-Anleihen im Umfang von 16 Mrd. sfr seien jedoch zu einem Zeitpunkt abgeschrieben worden, als Staatshilfen für die Bank bereits “unumgänglich” gewesen seien, sagte Schlegel.

Zu einem früheren Zeitpunkt hätte auch die Möglichkeit bestanden, die AT1-Zinszahlungen auszusetzen und damit rund 1 Mrd. sfr pro Jahr einzusparen. Doch damit hätte sich die Credit Suisse dem Risiko negativer Marktreaktionen ausgesetzt und die dringend benötigte Refinanzierung im Oktober so möglicherweise erschwert oder gar verunmöglicht. Die Lehren aus der Credit-Suisse-Krise würden unter anderem in die Reform des “Too big to Fail”-Gesetzes einfließen, versprach Schlegel.

Am Donnerstag erhöhte die SNB zum fünften Mal in Folge den Leitzins auf aktuell 1,75%. Die Erhöhung um 0,25 Punkte fiel im Vergleich zum letzten Zinsschritt im März nur halb so hoch aus, was zunächst den Rückgang der Inflationsrate von durchschnittlich 3,2% im ersten Quartal des Jahres auf nur noch 2,2% im Mai reflektiert. Doch die landesweit anstehenden Mieterhöhungen infolge des im Juni angehobenen gesetzlichen Referenzzinssatzes werden die Teuerung in den kommenden Monaten in Verbindung mit höheren Strompreisen wieder stärker in Schwung bringen. Die SNB signalisierte daher eine weitere Erhöhung, möglicherweise schon im September.

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