Cum-ex und das Versagen des Gesetzgebers
In einem Monat beginnt am Landgericht Bonn der erste Strafprozess in der Causa Cum-ex. Dass dann neben zwei Aktienhändlern auch “der Staat” auf der Anklagebank sitzen müsste, hatten wir bereits geschrieben (vgl. BZ vom 26. Juli). Nicht nur für historisch Interessierte, auch für Juristen könnte indes eine Rolle spielen, seit wann das offensichtliche “gesetzgeberische Versagen” vorlag, das zum Beispiel der Rechtsanwalt, Diplom-Volkswirt und heutige Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) in diesem Zusammenhang einmal konstatierte. Oft wird gesagt, die Gesetzeslücke, die zu den umstrittenen Steuertricks mit Aktiengeschäften um den Dividendentermin einlud, hätte schon 2007 geschlossen werden können und müssen (statt erst fünf Jahre später). Etlichen Banken und den jetzt Beschuldigten oder angeblich Beteiligten hätte das vielleicht teure Rechtsstreitigkeiten und womöglich existenzielle Folgen erspart – immerhin haben bisher zwei Banken, Maple und Dero, wegen Cum-ex die Grätsche gemacht, und den Angeklagten drohen langjährige Haftstrafen.Tatsächlich war viel früher publik, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Einmal davon abgesehen, dass sich Bankenverbände spätestens 1978 und 1980 in der Bundesregierung zugänglichen Schreiben mit “Wertpapiergeschäften kurz vor dem Ausschüttungstermin” und “Erteilung von Steuerbescheinigungen” befasst hatten: Es war anno 1991, als der damalige hessische Wirtschaftsminister Ernst Welteke einen großen Auftritt hatte. In einem Frankfurter Finanzamt stellte der SPD-Politiker und spätere Bundesbankpräsident vor verdutzten Reportern fest, die Börse sei jahrelang als “Steuerverkürzungseinrichtung” missbraucht worden. Seinerzeit wurde hierzulande zum ersten Mal der Begriff “Dividendenstripping”, mit dem auch die meisten Finanzjournalisten zunächst nichts anzufangen wussten, für eine breitere Öffentlichkeit wahrnehmbar. Von “Cum-cum” und “Cum-ex” war noch nicht die Rede. Hinweise auf Straftaten fand die Staatsanwaltschaft, soweit bekannt, mit Ausnahme von zwei Einzelfällen aber nicht.Im September 1992 erschien eine Analyse der damaligen Landeszentralbank in Hessen mit dem Titel “,Dividendenstripping` im Zwielicht”. Sie beschrieb en détail diverse Fallgestaltungen, von denen mindestens eine, die auf Leerverkäufen basierte, vom Prinzip her jener Variante sehr nahe kam, für die später der Begriff “Cum-ex” (mit/ohne Dividendenanspruch) geprägt wurde. “Dagegen zielt die bewusste Produktion von Steuerbescheinigungen darauf, Erstattungsansprüche für Steuern zu erlangen, die überhaupt nicht gezahlt wurden”, hieß es. Eindringlich wurde auf drohende Konsequenzen etwa für Börsenmakler hingewiesen.Marktteilnehmer und staatliche Instanzen mussten also seither gewarnt sein, und tatsächlich hat der Gesetzgeber damaligen Formen des Stripping mit dem sogenannten Standortsicherungsgesetz 1993 einen Riegel vorschieben wollen. Doch der Riegel hat offenbar nicht lange gehalten, und irgendwann muss die Politik das Thema bis 2012 aus den Augen verloren haben.