Im GesprächRupert Graf Kerssenbrock

Das Gerüst für den EU-Datenticker steht

Nach zähem Ringen hat Brüssel die Spielregeln für den EU-Datenticker festgelegt. Laut LPA-Kapitalmarktexperte Rupert Graf Kerssenbrock kommen drei Pakete, über deren Vergabe die ESMA entscheidet.

Das Gerüst für den EU-Datenticker steht

Es war eine schwere Geburt: Ende Juni einigten sich der Europäische Rat und das Europaparlament auf einen Kompromiss zum sogenannten zentralen Datenticker (Consolidated Tape) als Teil der Überarbeitung der Mifir-Verordnung (Mifir Review). Die entsprechende Beschlussfassung wurde Mitte Oktober formuliert, womit Fahrplan und Details der Umsetzung stehen. Am 15. Januar sollte das Parlament dann final abstimmen.

Neben dem Datenticker für Aktien/ETFs und einem für Anleihen wird es auch einen für OTC-Derivate geben.

Rupert Graf Kerssenbrock

Dafür positionieren sich nun die Marktteilnehmer, und die Regulatoren entwerfen die Spielregeln in der technischen Umsetzung nebst Lizenzvergabe an kommerzielle Betreiber der Datenticker. „Man hat sich dazu entschlossen, je nach Assetklasse einen Datenticker zu schaffen. Neben dem für Aktien/ETFs und einem für Anleihen wird es auch einen für OTC-Derivate geben,“ sagt Rupert Graf Kerssenbrock, Kapitalmarktexperte der Beratungs- und Finanzsoftwaregesellschaft LPA, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Die Vergütung sei so angelegt, dass professionelle Marktteilnehmer wie Broker und Händler für die Nutzung der Echtzeitdaten bezahlen sollen und Kleinanleger kostenlos Zugang erhalten, sagt Kerssenbrock. Wenn Broker einerseits für Daten zahlen und diese andererseits den Kunden zur Verfügung stellen, müssen sie die Kosten an anderer Stelle zurückholen.

Bislang sind Neobroker wie Trade Republic gut damit gefahren, ihre Aufträge über Plattformen wie L&S Exchange auszuführen, um im Gegenzug eine Rückvergütung zu erhalten (Payment for Orderflow, PFOF). Von Kleinanlegern verlangen sie nur eine pauschale Transaktionsgebühr, zum Beispiel 1 Euro. Und da Rückvergütungen nach dem Payment-for-Orderflow-Modell, das auf EU-Ebene verschränkt mit dem Datenticker diskutiert wurde, vermutlich bald verboten werden, dürften die Gebühren im Aktienhandel für private Anleger nicht sinken.

Fragmentierte Märkte überwinden

Immerhin besteht nun die Aussicht, einen funktionierenden Datenticker zu erhalten, der die europäische Fragmentierung der Kapitalmärkte überwinden kann. 2011 sei ein Anlauf gescheitert, weil es kein wirtschaftliches Betreibermodell gegeben habe, sagt der LPA-Experte.

Das meiste Interesse verortet Kerssenbrock im Aktiensegment. Dafür haben sich zwei Konsortien gebildet: Das sind zum einen 14 Börsenbetreiber, die im Februar ein Joint Venture bildeten. Zum anderen ist das ein Zusammenschluss von Fondsbranche und Banken, die sich Ende Mai einer Initiative der Beratungsfirma Adamantia aus Paris anschlossen.

Streit zwischen Fondshäusern und Börsen

Dieses Konsortium wirft den Handelsplätzen vor, nur auf eine abgespeckte Version eines Börsentickers ohne Echtzeitdaten im Vorhandel zu zielen. Ein Säbelrasseln, das vielleicht unnötig ist, wird in den aktuellen Dokumenten doch festgehalten, dass Börsen und Handelsplätze (mit Ausnahme von kleinen Regionalbörsen) ihre Vorhandelstransparenzdaten zur Verfügung stellen müssen. Hierfür erhalten die Datenlieferanten einen Anteil an den Einnahmen des Datentickers gemäß dem bei Bewerbung festzulegenden „Revenue Distribution Scheme“.

Nun muss die EU-Wertpapieraufsicht ESMA entscheiden, wer den Zuschlag für die jeweiligen drei Datenpakete erhält. Das erste Paket ist der Anleihe-Ticker, wo Kerssenbrock die Entscheidung erst im Jahr 2025 erwartet. Dann würden alle sechs Monate die weiteren Mandate vergeben. Alle fünf Jahre stünde eine Erneuerung der Lizenzen an. Außerdem legt die ESMA sogenannte Technische Standards, also weitere Details für Regulierung und Implementierung fest.

Gewinner und Verlierer

Im Wertpapiermarkt zählen neben den Handelsplätzen auch die sogenannten APAs zu den Datenlieferanten. Das sind Anbieter wie Bloomberg und Tradeweb. Sie hätten wie die Handelsplätze Hausaufgaben zu erledigen, müssten mit Projekten in Vorleistung gehen, sagt Kerssenbrock. Außerdem würden der Deutschen Börse Lizenzeinnahmen aus dem Post-Trade-Bereich verloren gehen, da sie nun über den Datenticker zugänglich seien. Die Banken in ihrer Eigenschaft als SIs (Systemische Internalisierer) kämen wohl glimpflich davon, wie er vermutet.

Den meisten Kleinanlegern drohe ein weiterer „Information Overload“, befürchtet Kerssenbrock. Er geht davon aus, dass sich der Datenticker am ehesten für große ausländische Investoren und technische Händler lohnt.

IM GESPRÄCH: RUPERT GRAF KERSSENBROCK

"Es wird drei Pakete für den EU-Datenticker geben, auf die geboten werden kann"

Dem Kapitalmarktexperten von LPA zufolge ist auch die Vorhandelstransparenz inkludiert

Von Björn Godenrath, Frankfurt
Von Björn Godenrath, Frankfurt

Dr. Rupert H. Graf Kerssenbrock verantwortet bei LPA vor allem Kapitalmarktthemen rund um europäische Regelwerke wie Mifid und Mifir.

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