"Das ist schneller als der Schall"
“Keiner erwartet, dass Banken Engel sind”, ist der Gründer des Zahlungsdienste-Fintechs Transferwise, Taavet Hinrikus, sicher. Teure Auslandsüberweisungen haben ihn aber so frustriert, dass er 2010 ein Start-up gründete. Mit Wachstumsraten von 60 % bis 70 % läuft das Einhorn traditionellen Anbietern den Rang ab.Von Angela Wefers, Berlin Regulierung in der Finanzbranche muss nicht immer eine Last sein. Für das Fintech Transferwise sind die neuen Vorgaben der EU, Gebühren und Wechselkurse im internationalen Zahlungsverkehr transparent zu machen, ein echter Wettbewerbsvorteil. Davon ist Transferwise-Gründer und -Chairman Taavet Hinrikus fest überzeugt. Von April 2020 an müssen Finanzdienstleister die Kosten für Auslandsüberweisungen und die Umrechnungskurse für Auslandszahlungen offenlegen. Basis ist die geänderte “EU-Verordnung über Entgelte für grenzüberschreitende Zahlungen in der Union und für Währungsumrechnungen”. Die EU hofft damit nicht nur auf ein berechenbares, sondern auch kostengünstiges Angebot von internationalen Geldtransaktionen. Dies genau ist das Geschäftsmodell von Transferwise. “Wir waren so verärgert über das Verhalten der Banken”, sagt Hinrikus im Gespräch mit der Börsen-Zeitung zu den Anfängen des Start-up. “Das war der Hauptgrund, warum wir Transferwise gegründet haben.” Der berufliche Wechsel von Estland nach London hatte bei Hinrikus und dem Mitgründer und CEO von Transferwise , Kristo Käärmann, zu leidvollen Erfahrungen mit teueren Auslandsüberweisungen geführt. Im Wachstum profitabelTransferwise ist ein Einhorn. Nach der jüngsten Finanzierungsrunde im Mai wird das Unternehmen mit Sitz in London mit 3,5 Mrd. Dollar bewertet. Ein Börsengang ist derzeit nicht geplant. Profitabel ist das 2010 gegründete und 2011 gestartete Fintech seit zwei Jahren. Zahlen liegen bis 2017/18 vor. Umgesetzt wurden 117 Mill. Pfund bei einem Gewinn nach Steuern von 6,2 Mill. Pfund. Das Geschäftsjahr endet am 31. März. “Wir wachsen mit Raten von 60 bis 70 % im Jahr”, sagt Hinrikus. “Wir bleiben im Wachstum profitabel.” Neue Zahlen für 2018/19 werden im Herbst publiziert. “Der Trend hat sich im vergangenen Geschäftsjahr so fortgesetzt”, so der Gründer.Nach acht Jahren im Markt kommt Transferwise auf beachtliche Zahlen: Weltweit hat das Fintech 5 Millionen Kunden und bewegt 5 Mrd. Dollar jeden Monat. Mit diesem Transaktionsvolumen kommt das Unternehmen bald an Western Union, den US-Anbieter von Bargeldtransfers, heran. “Wir werden in nicht allzu weiter Ferne dort vorbeiziehen”, stellt Hinrikus in Aussicht. Im Gründungsland Großbritannien (UK) liege der Marktanteil der Menschen, die Geld via Transferwise über die Grenze schickten, bei 15 %. Dies sei der größte Anteil eines Fintech-Produkts in der Welt. “Wir sind noch nicht zufrieden damit”, so Hinrikus. “Wir denken darüber nach, wie wir in Großbritannien auf 30 % kommen.” Bedarf über Grenzen hinweg Genutzt wird der Zahlungsdienst von Menschen, deren Gehälter in anderen Währungen gezahlt werden, oder von Absolventen, die einen Studienkredit in den USA zurückzahlen. Auch Beschäftigte mit Familien im Ausland setzen Transferwise ein, um Geld nach Hause zu überweisen. Kleine und mittlere Firmen hätten sehr ähnliche Bedürfnisse, sagt Hinrikus. Ihre Arbeitnehmer, Anbieter oder Kunden säßen möglicherweise im Ausland. “Bei Banken werden diese Bedürfnisse überbezahlt, und sie sind nicht kundenfreundlich.”Geldtransfers können bei Transferwise über eine App auf dem Smartphone getätigt werden. “Wir haben das grenzenlose Multiwährungskonto”, sagt Hinrikus. Der Kunde kann sein Konto gleichzeitig in mehr als 40 Währungen führen. Blitzschnell und zu geringen Transaktionskosten könne er dort Geld von der einen in die andere Währung umtauschen. In Europa gibt es seit ungefähr einem Jahr eine Debitkarte, mit der in jeder Währung gezahlt werden kann. Vor einen Monat hat Transferwise die Karte auch in den USA eingeführt. Bei der Transaktion wird festgestellt, ob Deckung in der gewünschten Währung vorhanden ist. In Europa wurde die Debitkarte laut Hinrikus bislang für rund 15 Millionen Transaktionen genutzt. Auf die grenzenlosen Multiwährungskonten haben Menschen rund 10 Mrd. Dollar eingezahlt. “Das sind vielversprechende Zahlen für ein Start-up”, stellt Hinrikus fest.Rund 20 % der Transaktionen kommen heute schon bei den Empfängern des Geldes in wenigen Sekunden an. Das gilt auch für eine Überweisung von Australien nach UK. “Das ist schneller als der Schall”, betont Hinrikus. “Das gab es vor Transferwise nicht.” Kalkulierbarkeit zähltGeld verdient Transferwise mit geringen Transaktionsgebühren für den Umtausch in andere Währungen. Überweisungen werden je nach der Geschwindigkeit vergütet, die der Kunde wählen kann. Während die Statistik der Weltbank einen Durchschnittspreis für Überweisungen von 8 % in einer Spanne von 4 % bis 12 % ausweist, kam Transferwise im vergangenen Quartal ihrem Gründer zufolge auf nur 0,6 bis 0,7 %. Verschiedene Preise werden zudem nach Herkunft des Geldes aufgerufen – etwa von einer Debit- oder einer Kreditkarte. Gebühren gibt es zwar wie bei Banken: “Der wesentliche Unterschied ist, dass Transferwise Wechselkurs und Gebühren im Voraus nennt und sie nicht mehr verändert”, schildert der Gründer das Prinzip. “Der Kunde weiß genau, welchen Betrag der Empfänger bekommt.” Es gehe um Transparenz. “Keiner erwartet, dass Banken Engel sind.” Mehr als 70 % der Leute seien aber ahnungslos, wie Banken internationale Überweisungen berechneten. Wären sie kundiger, würden sie nach Alternativen suchen.Transferweise ist aufsichtsrechtlich keine Bank, hat aber eine Lizenz für “electronic banking”. Mit einigen Banken kooperiert das Fintech aber. Die BPCE, eine der größten Gruppen in Frankreich, integriere Transferwise. Nächstes Jahr können laut Hinrikus BPCE-Kunden mit rund 16 Millionen Konten online oder mobil über ihre Bank via Transferwise zahlen. Monzo – eine als Fintech gestartete junge Bank im Vereinigten Königreich – binde Transferwise für ihre Kunden in Großbritannien an. Selbst ins Bankgeschäft will das Start-up nicht einsteigen. “Wir sehen Transferwise als internationalen Begleiter zum Hauptbankkonto an”, sagt Hinrikus. “Wir versuchen nicht, die Bank zu ersetzen.”Um weltweit schnell und zu sehr niedrigen Kosten zu agieren, sucht Transferwise Zugang zum Zahlungsverkehrssystem über lokale Plattformen – typischerweise über eine Bank oder einen Partner. Diese Netzwerke werden in der Regel nur von Banken genutzt. “Ich erwarten aber, dass in einigen Jahren dieser exklusive Club offener sein wird für Nichtbanken”, sagt Hinrikus. “Wir ermöglichen ein neues finanzielles System, das sich auch Nichtbanken öffnet.” Das müsse kontrolliert geschehen, aber es müsse geschehen. “In einem Zeithorizont von etwa zehn Jahren werden wir das in der gesamten Welt sehen.” Das Netzwerk von Swift – dem bislang zentralen Anbieter für internationale Geldtransfers mit angeschlossenen Korrespondenzbanken – schrumpfe. Hinrikus hält das System zudem für umständlich. “Um Geld schnell und billig zu versenden, mussten wir unsere Alternative zu Swift bauen”, sagt er. Bei Swift berechneten oft mehrere Korrespondenzbanken Gebühren, und jeder Korrespondent benötige einige Tage. Zugang zu Netzwerken In Großbritannien hat das Fintech bereits selbst Zugang zum lokalen Clearingsystem namens Faster Payments (FPS). Es besteht seit zehn Jahren mit neun Banken als Gründungsmitgliedern. Transferwise ist seit 2018 als erstes neues Mitglied und erste Nichtbank dabei. Australien baue die New Payments Platform (NPP). Transferwise werde auch dort Mitglied sein, stellt Hinrikus in Aussicht. Direkten Zugang hat Transferwise zu zwei Zentralbanken – zur Bank of England (BoE) und zur Zentralbank in Litauen. Für schnelle Zahlungen in UK sei dies unerlässlich. Der Pfundbestand auf dem Konto der Kunden werde effektiv bei der BoE gehalten. Direkte Verbindung zu anderen Zentralbanken hielte Hinrikus zwar für hilfreich: “Sie sind aber nicht so fortschrittlich wie die BoE.”Seine Infrastruktur im Zahlungsverkehr stellt das Fintech nun Banken, Finanzdienstleistern und auch branchenfremden Unternehmen zur Verfügung. Dies sei ein weiteres Geschäftsfeld. Interesse, diese Infrastruktur zu nutzen, gebe es auch jenseits der Finanzbranche. Firmen, die ihren Kunden ein Cashback-Versprechen gäben, wenn die Ware nicht gefällt, nutzten für die Rückerstattung heute schon Transferwise. Wie weit dieser Teil des Geschäfts inzwischen gediehen ist, lässt Hinrikus allerdings offen. “Wir haben große Fortschritte gemacht”, sagt er. “Wir sind nicht fertig und werden nie fertig sein.” Innovativer Regulator Großbritannien hält der Gründer für das Land mit der besten Regulierung für innovative Finanzdienstleistungen. “In UK haben der Regulator und die Regierung Innovationen von Finanzdienstleistungen zur Priorität gemacht.” Mit speziellen Projekten wurden Start-ups durch die Regulierung begleitet. Es werde ständig überlegt, wie Innovationen gefördert werden könnten. “Die meisten Regulatoren sind stark von den traditionellen Finanzdienstleistern und ihrer Lobbyarbeit beeinflusst”, zeigt sich Hinrikus überzeugt. In UK dächten die Regulierer dagegen stärker über ein gutes Wettbewerbsumfeld nach: Es dürfe keinen geschlossenen Club geben, sei dort die Devise.Deutschland war 2013 der Markt, auf den das Unternehmen nach der Gründung expandierte. “Derzeit ist Deutschland der europäische Markt, der am schnellsten wächst”, sagt Hinrikus. “Für uns ist es wichtig, hier Erfolg zu haben.” Mit 12 Millionen Ausländern sei Deutschland attraktiv. Den Marktanteil lässt der Gründer offen. Das UK-Geschäft sei so groß wie Europa insgesamt. Hierzulande wurde Transferwise in diesem Jahr mit dem Fintech Germany Award als bestes ausländisches Fintech auf dem hiesigen Markt ausgezeichnet. Verliehen wird der Preis von Frankfurt Main Finance, Business Angels Frankfurt Rhein-Main, Techfluence und der WM Gruppe, die die Börsen-Zeitung herausgibt.In jedem Land, aus dem Transferwise Geld sendet, ist das Fintech reguliert. In den USA werde mit 50 Regulatoren zusammengearbeitet, da jeder Staat seine eigenen Aufseher habe, erläutert Hinrikus. In Europa sei dies durch das europäische Passporting-Prinzip viel leichter. Transferwise ist heute in 71 Staaten tätig – aber nicht in China und nur in einigen afrikanischen Staaten. Der Marktzugang im China scheitere an politischen Hürden. China bleibe aber ein Ziel. “Ich bin ein Optimist”, sagt Hinrikus. “Irgendwann werden wir da sein.” Chancen mit Libra Wettbewerb fürchtet der Transferwise-Gründer nicht. Das Vorhaben von Facebook, mit Libra womöglich eine neue Währung in Umlauf zu bringen, begrüßt er. “Erst einmal ist es sehr gut, dass jemand einen ambitionierten Plan hat.” Mit 2 Milliarden Nutzern und fast unbegrenztem Geld habe Facebook alle Möglichkeiten, eine bessere Welt für die Menschen zu schaffen. Was Libra genau sein werde, müsse die Zeit entscheiden. Wenn es eine Währung werde, sei dies auch für Transferwise großartig. “Wir senden dann Geld von einer Währung zu Libra oder umgekehrt.”Rund 1 600 Mitarbeiter sind für Transferwise tätig – an zwölf Standorten in zehn Ländern. Die Hälfte arbeitet in Estland, weitere 200 Menschen sind in London tätig. In Europa hat das Fintech neben London und Tallinn Standorte in Budapest und der Ukraine. Brüssel wurde gerade eröffnet. In Deutschland, Frankreich oder Spanien gibt es keine Büros, obwohl es große Länder sind. “Wir brauchen das nicht in jedem Land”, sagt Hinrikus. “Wir bleiben lieber etwas konsolidierter.” Die Kunden-Identifikation läuft online, inzwischen auch in Singapur, wo anfangs ein kleiner Kiosk für reale Begegnungen nötig war. Rund 400 Mitarbeiter bauen für Transferwise Produkte – Entwickler, Designer, Statistiker und Produktmanager. Weitere Bereiche kümmern sich um IT, Compliance, Regulierung, Zentralbanken und Zahlungssysteme. Hunderte arbeiten im Kundendienst, der bewusst nicht ausgelagert sei. “Wir gehen mit fremdem Geld um”, begründet Hinrikus diese Entscheidung. Am Anfang hätten die Leute angerufen, um herauszufinden, ob Transferwise überhaupt existiert. “Wir dachten deshalb, das ist ein wichtiger Schritt.” Oft genug seien es mehrere 1 000 Euros, die Kunden versendeten. Im Normalfall liegt das Limit für Transfers heute bei 1,2 Mill. Euro. Um größere Summen kümmert sich ein Spezialteam. Bei der Gründung vor acht Jahren war der Höchstbetrag auf 2 000 Euro begrenzt, erinnert sich Hinrikus. Große Sorgfalt lässt Transferwise mit ihrem Compliance-Team nach den Worten ihres Gründers auch bei den Vorkehrungen gegen Geldwäsche walten. “Wir verlangen Ausweisdokumente, wir kontrollieren die Geldquellen unserer Kunden”, sagt er. “Wir nehmen das sehr ernst.” Die heutige Welt sei beim Thema Geldwäsche sensibilisiert. “Wir lieben es, Dinge schnell zu machen”, sagt Hinrikus. “Aber die Herausforderung liegt darin, die Geschwindigkeit gesetzeskonform zu erreichen.”