GastbeitragTarifverhandlungen für das private Bankgewerbe

Das „Wir“ ist auch in der Tarifpolitik wichtiger als das „Ich“

Obwohl das Direktionsrecht beim Arbeitgeber liegt, fordert Verdi in den aktuellen Tarifverhandlungen Zeitsouveränität. Dabei gehe das an den Bedürfnissen der Beschäftigten vorbei, unterstreicht der Vorsitzende des AGV Banken in seiner Replik.

Das „Wir“ ist auch in der Tarifpolitik wichtiger als das „Ich“

Das „Wir“ ist auch in der Tarifpolitik wichtiger als das „Ich“

In der Arbeitswelt löst kaum ein Thema so viele Emotionen aus wie die Gestaltung der Arbeitszeit. Aktuell schlagen die Wellen wieder einmal besonders hoch – weil verschiedene Debatten gleichzeitig geführt werden: über das Arbeitsvolumen in Deutschland, über eine Umstellung von täglicher auf wöchentliche Höchstarbeitszeit und über Arbeitszeitwünsche von Beschäftigten. Hier gilt es, sorgsam zu unterscheiden.

Mit Blick auf die demografische Entwicklung und die dramatische Unterfinanzierung unserer Sozialsysteme ist es unausweichlich, dass sich das Arbeitsvolumen in Deutschland in den nächsten Jahren insgesamt erhöht, etwa durch mehr Investitionen, eine höhere Vollzeitquote und die gezielte Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte. Denn wir können nur verteilen, was wir vorher erwirtschaftet haben.

Koalitionsvertrag verspricht lediglich Flexibilität

Bei der Umstellung von täglicher auf wöchentliche Höchstarbeitszeit, auf die sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag verständigt hat, geht es allein um eine größere Flexibilität und nicht darum, die Arbeitszeit auszuweiten. Schon heute sind viele Beschäftigte – insbesondere die wachsende Gruppe der Menschen mit Betreuungsverpflichtungen – darauf angewiesen, an bestimmten Tagen ihre Arbeitszeit deutlich zu reduzieren. Das geht nur, wenn sie die Möglichkeit haben, an anderen Tagen deutlich mehr zu arbeiten, ohne sich dabei selbst zu überfordern. Dafür brauchen wir den weiteren Rahmen der wöchentlichen Höchstarbeitszeit, wie er in vielen europäischen Ländern auf Basis der EU-Arbeitszeitrichtlinie längst Alltag ist.

Bleibt die Debatte über die Arbeitszeit der Beschäftigten. Hier tut sich besonders die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hervor, die unter der Überschrift „Arbeitszeitsouveränität“ weitreichende Forderungen erhebt. Schon das Wort ist ein Fehlgriff, denn es postuliert eine grundsätzliche Unabhängigkeit nach innen und außen. Auch kommunikationspsychologisch liegt der Ball im Aus.

Begriff mit Schlagseite

Unbeschadet dessen hat der Begriff Schlagseite, denn er suggeriert, die Beschäftigten könnten über die Gestaltung ihrer Arbeitszeit weitgehend selbst bestimmen. Das ist schon rechtlich fragwürdig: Das zum Kernbereich des Arbeitsrechts gehörende Direktionsrecht in den §§ 106 GewO und 611a BGB regelt, dass der Arbeitgeber im Rahmen der arbeitsvertraglichen Abreden und gesetzlichen Vorgaben den Arbeitsort, die Arbeitszeit und den Arbeitsinhalt festlegen kann.

Richtig ist: In vielen Unternehmen, auch der Bankenbranche, haben die Beschäftigten infolge der Pandemie zusätzliche Freiheiten bei der Wahl ihres Arbeitsortes erhalten und damit automatisch die Möglichkeit, sich ihre Arbeitszeiten selbstständig etwas flexibler einzuteilen. Dafür sorgt allein der Wegfall von Pendelzeiten bei mobiler Arbeit, übrigens ein einseitiges Entgegenkommen der Arbeitgeber ohne unmittelbare Gegenleistung. Doch auch Beschäftigte in hybriden Arbeitsmodellen bewegen sich notwendigerweise sowohl im Rahmen des betrieblich Möglichen als auch innerhalb der Vorgaben durch das Direktionsrecht.

Beschäftigte schätzen Arbeitszeitregelungen

In diesem Rahmen fühlen sich die Beschäftigten im Übrigen ausgesprochen wohl. Im privaten Bankgewerbe bewerten aktuell 86% von ihnen ihre Arbeitszeitregelungen und 84% ihre Entscheidungsspielräume positiv, wie die jüngste repräsentative Beschäftigtenbefragung des Sozialforschungsinstituts Kantar im Auftrag des AGV Banken zeigt. Beides sind die höchsten bislang gemessenen Werte. Das Ausmaß an Überstunden ist auf einem unauffälligen Niveau und seit Jahren rückläufig. Und auch die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben bewerten die Beschäftigten – zu Recht – so gut wie noch nie.

Trotz dieser hervorragenden Bedingungen haben sich die Arbeitgeber im privaten Bankgewerbe bereiterklärt, mit den Gewerkschaften im Nachgang zur Tarifrunde 2024 Gespräche auf Arbeitsebene zum Thema „lebensphasenorientierte Arbeitszeitgestaltung“ aufzunehmen. Die Gespräche haben im Frühjahr 2025 begonnen und werden aktuell fortgesetzt. Sie sind ausdrücklich keine offiziellen Verhandlungen, denn aus Sicht der Arbeitgeber ist es bei dieser komplexen Materie hilfreich, sich zunächst offen und ausführlich auf Expertenebene auszutauschen und dann erst darüber zu befinden, ob und auf welcher Ebene die Konsultationen fortgesetzt werden. Daran werden wir festhalten.

Verdi stellt unrealistische Forderungen

Das erscheint vor dem Hintergrund der von Verdi jüngst an dieser Stelle erhobenen Forderungen erforderlich. Unrealistisch sind bereits die geforderten einseitigen Ansprüche, Gehaltsbestandteile in bis zu vier Wochen zusätzliche freie Tage umwandeln und jederzeit in und aus Teilzeit wechseln zu können – als sähe die 2019 gesetzlich eingeführte Brückenteilzeit nicht aus gutem Grund Vorlauffristen und Planungszeiträume für Arbeitszeitveränderungen vor. Auch sollen Beschäftigte einen Anspruch auf Altersteilzeit mit Arbeitgeberzuschuss über das gesetzlich vorgesehene Maß hinaus erhalten, ebenso das Recht auf ein Langzeitkonto, um Sabbaticals oder einen früheren Eintritt in den Ruhestand zu erleichtern. Und schließlich fordert Verdi den Anspruch auf eine Vier-Tage-Woche für Beschäftigte mit einer Wochenarbeitszeit von 36 Stunden oder weniger.

Kein Handlungsbedarf

Die Umsetzung dieser Vorschläge käme einer einseitigen Änderung der Arbeitsbedingungen gleich. Sie würde eine seriöse Kapazitäts- und Personalplanung ad absurdum führen und nicht nur betriebliche Belange ignorieren, sondern auch die Tatsache, dass die auf hohem Niveau nochmals verbesserte Arbeitszufriedenheit keinen Handlungsbedarf auslöst. Das Direktionsrecht wird schon an vielen Stellen – zum Beispiel durch die betriebliche Mitbestimmung – durch wohl austarierte Regelungen begrenzt. Eine weitere Beschneidung auf Tarifebene würde nicht nur die Betriebe überfordern, sondern auch die Beschäftigten, die kurzfristig wegfallende Kapazitäten ersetzen müssten. Daran kann niemandem gelegen sein.

Abgesehen davon müssen angesichts der gewaltigen Herausforderungen unserer Zeit mehr denn je objektive Handlungs- und Entscheidungsnotwendigkeiten und weniger subjektive Bedürfnisse der Maßstab sein. Das „Wir“ ist wichtiger als das „Ich“ – auch in der Tarifpolitik.

Thomas A. Lange

Vorsitzender des AGV Banken und Vorstandsvorsitzender der National-Bank in Essen.