"Der Bankensektor ist die Achillesferse in einer Volkswirtschaft"
Herr Gottschalk, in den USA gab es in den vergangenen Wochen einige Runs auf regionale Banken. Wie haben Sie die Ereignisse rund um Silicon Valley Bank, First Republic Bank und Co. wahrgenommen?
Was wir dort gesehen haben, war ein Bank Run neuer Art. Er fand nicht primär an den Schaltern statt, sondern im Internet. Und es gibt Auslöser, über die man nachdenken sollte, etwa im Zusammenhang mit Leerverkäufen und Kreditausfallversicherungen, also Credit Default Swaps, CDS.
Plädieren Sie dafür, CDS pauschal zu verbieten?
Nein. Ich bin ein kapitalmarktorientierter Mensch. Und Credit Default Swaps sind ein wichtiges Instrument – zumindest für Unternehmen, bei denen anders als bei Banken der Schutz von Einlagen nicht zum Geschäftsmodell gehört.
Und CDS, die sich auf Bankaktien beziehen?
Das Problem ist, dass CDS von Marktakteuren schon mit relativ geringer Liquidität, also mit wenigen Millionen Euro, in eine Richtung beeinflusst werden können. Wenn Marktteilnehmer zunächst über Leerverkäufe Bankaktien verkaufen, dann die Swaps ins Uferlose treiben, um anschließend die Bankaktien zu niedrigen Preisen wieder kaufen zu können, besteht die Gefahr, dass sich Marktbewertungen entwickeln, die durch die fundamentalen Daten überhaupt nicht mehr gerechtfertigt sind.
Was schlagen Sie vor?
Wir sollten darüber nachdenken, ob es überhaupt sinnvoll ist, dass Leerverkäufe bei Bankaktien zulässig sind – aufgrund der großen volkswirtschaftlichen Bedeutung der Banken und der Gefahr, Einleger zu verunsichern. Ich erwarte, dass diese Debatte geführt werden wird – mit etwas zeitlichem Abstand zu den jüngsten Ereignissen.
Die Bankenbeben haben das Vorhaben einer europäischen Einlagensicherung wieder auf die Agenda gebracht. Aber Sparkassen und Kreditgenossen in Deutschland stehen noch immer den Plänen aus Brüssel für eine EU-Einlagensicherung völlig abweisend gegenüber.
Na ja, da wird auch ein wenig künstlich ein Gegensatz aufgebaut. Aus meiner Sicht ist ein gut funktionierendes Einlagensicherungssystem für die Bürger in Europa wichtig und auch für die Stabilität der Banken. Warum sollte es nicht möglich sein, dass in einer Banken- und Kapitalmarktunion Kreditgenossen, Sparkassen oder andere Bankengruppen vorgelagert institutsbezogene Schutzmechanismen aufbauen.
Was heißt das konkret für eine EU-Einlagensicherung?
Ich bin dafür, dass man die etablierte Lösung, bei der sich Sparkassen und kreditgenossenschaftliche Institute in Teilen auch an der Finanzierung europäischer Fonds beteiligen, konstruktiv weiterentwickelt, nicht ideologisch. Ich bin ein großer Anhänger des Subsidiaritätsprinzips. Was man vor Ort gut regeln kann, das muss man nicht unbedingt auf die obere Ebene hochziehen und vereinheitlichen.
Aber gerade die aktuellen Krisen von US-Regionalbanken haben damit zu tun, dass es in den USA keine einheitlichen Vorgaben gab, sondern stark differenziert wurde.
Ich rede ja nicht dem das Wort, dass für Sparkassen, Volksbanken oder kleinere private Institute ganz andere Regeln gelten sollen.
Sondern?
Man muss hier zwischen Einlagensicherung und Regulierung unterscheiden: Wenn Einzelinstitute, die zu einem Verbund gehören, durch Institutssicherung dafür Sorge tragen, dass die Einlagen ihrer Kunden geschützt sind, ist das gut so. Dennoch müssen Regulierung und Aufsicht sicherstellen, dass in kleinen Banken genauso solide bilanziert wird wie in großen und die Liquiditätsregeln eingehalten werden. In den USA ist jetzt augenscheinlich geworden, was passieren kann, wenn für Regionalbanken regulatorische Vorgaben außer Kraft gesetzt werden, die für größere Häuser gelten.
Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Nehmen Sie das Zinsänderungsrisiko. Das kann für kleine Banken genauso schlagend werden wie für große. Deshalb war es sicherlich ein Fehler, US-Regionalbanken aus bestimmten Regelungen rauszunehmen, etwa mit Blick auf Wertberichtigungen.
Was meinen Sie?
Wenn die Presseberichte stimmen, dann waren bei den kleineren US-Banken im vergangenen Jahr Wertberichtigungen auf Wertpapierbestände in der Größenordnung von 600 Mrd. Dollar erforderlich, die aber nicht durchgeführt wurden. Demgegenüber haben Sparkassen und Genossenschaftsbanken in Deutschland, die ja hierzulande die kleineren Institute repräsentieren, in den vergangenen Monaten in hohem Maße milliardenschwere Wertberichtigungen durchgeführt, um ihre Wertpapiere auf den Kursstand per Jahresende zu bringen.
Sie sehen also Schwachstellen in der Regulierung in den USA?
Ich denke, es war in den USA ein Fehler, dass man die kleinen Institute aus sinnvollen Regelungen rausgenommen hat.
Wie beurteilen Sie die Zinswende in Europa?
Aus volkswirtschaftlicher Sicht bin ich sehr froh, dass die EZB die Zinsen deutlich angehoben hat und wohl noch weiter anheben wird. Wir haben hohe Inflationsraten, und hohe Inflation ist auf die Dauer Gift für eine Volkswirtschaft. Zudem bremsen höhere Zinsen die Fehlallokation von Kapital..
Inwiefern?
Wenn sich die Zinsen wieder in Richtung Normalniveau entwickeln, gewinnt der Zins seine Lenkungsfunktion zurück. Solange Kapital nichts kostet, wie wir das einige Zeit erlebt haben, kommt es zu Fehllenkungen von Kapital.
Die Banken sind sehr unterschiedlich mit dem Zinsänderungsrisiko umgegangen. Entsprechend unterschiedlich sind nun die Auswirkungen der Zinswende auf ihre Gewinn-und-Verlust-Rechnung. Wie steht die Commerzbank da?
Die Commerzbank hat den Zinsbereich durch Hedging weitgehend abgesichert. Von der Seite ist hier eine grundsolide Politik betrieben worden, die uns im Moment natürlich auch im Ergebnis Vorteile bringt. Die Commerzbank ist in einer komfortablen Position.
Welche Lehren sollten Banken aus den jüngsten Ereignissen in den USA ziehen?
Dass es in hohem Maße unverantwortlich ist, in sehr langfristige Wertpapiere zu gehen und diese Engagements mit Tagesgeld zu refinanzieren. Erfreulicherweise haben wir in dieser Hinsicht in Europa ein ganz anderes Regime, als dies offensichtlich für die US-Regionalbanken gegolten hat.
Was ist anders?
Die europäischen Liquiditätsgrundsätze würden es von vorneherein erschweren, langfristige Investitionen kurzfristig zu refinanzieren. Und die Zinsrisikosteuerungsmechanismen, die ja auch eng überwacht werden, würden das ebenfalls in der EU verhindern.
Und was ist mit der Schweiz? Wie beurteilen Sie den Zusammenbruch der Credit Suisse?
Das ist ein spezieller Fall. Es bestand der Eindruck, dass dort über lange Zeit viele Dinge nicht in Ordnung gebracht worden sind.
Trotzdem ist Ihnen um die Stabilität der Banken in der EU in den vergangenen Wochen nicht bange gewesen?
Nach der Finanzkrise sind in der EU viele harte Regelungen getroffen worden, etwa höhere Kapital- und Liquiditätsanforderungen. Die Banken haben darunter zum Teil gestöhnt. Aber jetzt haben wir ein stringentes Regulierungsregime. Probleme, die anderswo zu beobachten sind, gibt es bei uns nicht. Zudem fühlt die EZB-Aufsicht den Banken streng auf den Zahn, auch den Aufsichtsräten. Ich finde es richtig, dass die Aufsicht engmaschig überwacht. Denn der Bankensektor ist die Achillesferse in einer Volkswirtschaft, die geschützt werden muss.
Kritiker halten das Drei-Säulen-System für ein Risiko für das deutsche Bankensystem, weil es den Wettbewerb aus ihrer Sicht verfälscht.
Da bin ich anderer Meinung. Die deutsche Wirtschaft war sehr gut darin, seit dem Beginn der Industrialisierung die Banken so aufzubauen, wie sie gebraucht werden. Anfang des 19. Jahrhunderts die Sparkassen, danach die genossenschaftlichen Banken und dann eben auch die großen Geschäftsbanken wie die Commerzbank, die vor 153 Jahren von Hamburger Kaufleuten für die Unternehmensfinanzierung und den Außenhandel gegründet wurde. Das ist bis heute in der DNA des Instituts verankert und seine große Stärke. So läuft über die Commerzbank etwa 30% des deutschen Außenhandels. Durch den Übernahme der Dresdner hat die Commerzbank auch im Private Banking eine bedeutende Stellung. Die Stärken der Commerzbank liegen sicher oberhalb des normalen Geschäfts der Verbundbanken – und etwas unter dem der großen internationalen Geschäftsbanken. Das ist ein sehr großer Bereich, in dem die Commerzbank erfolgreich arbeiten kann – und der Vorstand ist ja auch gerade dabei, die Strategie so weiterzuentwickeln, dass die Commerzbank diese Stärken nutzen kann.
Mit Blick auf die Profitabilität haben die Stärken bislang nicht ausgereicht, um mit dem Wettbewerb Schritt zu halten. Braucht die Commerzbank nicht doch einen großen Partner, mit dem sie zu den großen internationalen Banken aufschließen kann?
Wir sollten nicht so sehr auf andere schauen, die mit uns im Wettbewerb stehen, sondern uns darauf konzentrieren, unsere Stärken gegenüber dem Wettbewerb zu entwickeln. Ich bin überzeugt, dass die Commerzbank als große deutsche Privatbank für relevante Kundenzielgruppen dauerhaft so attraktive Leistungen anbieten kann, dass sie auch eine auskömmliche Ertragslage erzielen kann. Neben der Entwicklung der eigenen Stärken zum Nutzen der Kunden geht es auch darum, den eigenen Betrieb effizient zu organisieren. Und da ist die Commerzbank intensiv dabei, um eine gute Grundlage für die nachhaltige Eigenständigkeit zu schaffen.
Wie definieren Sie diese Zielgruppe?
Neben dem gesamten deutschen Mittelstand sind das Privat- und Unternehmerkunden, die wir mit dem Leistungsspektrum einer Universalbank begleiten – vom Direktbrokerage bis zum Private Banking. Mit dem neu strukturierten Filialnetz, dem Online Banking und den Beratungszentren haben wir ein Betreuungsmodell geschaffen, das den Kunden den Zugang ihrer Wahl ermöglicht – persönlich und digital. Unsere Ablaufprozesse müssen verlässlich sein. Das erwarten unsere Kunden. Und sie müssen effizient sein. Wenn man das gut durchdekliniert, kann man ein hervorragendes Angebot mit guten Kostenstrukturen erreichen.
Sie wurden kürzlich mit der Aussage zitiert, dass die Notübernahme der Credit Suisse der Commerzbank Geschäftschancen in der Schweiz eröffnet. Können Sie das erläutern?
Ich bin fest überzeugt, dass dass sich Wirtschaftsunternehmen, ob in der Schweiz oder in Deutschland Wettbewerb bei Banken wünschen. Aus Sicht des Kunden ist es immer eine gute Sache, wenn man Alternativen hat. Und es führt dazu, dass man sich als Anbieter mehr anstrengt, wenn man weiß, dass man am Wettbewerber gemessen wird. In der Schweiz zeichnet sich jetzt ab, dass die beiden großen Banken auf Sicht nicht mehr im Wettbewerb stehen werden. Das wirft für die Kunden die Frage auf, ob sie sich in der Unternehmensfinanzierung oder im Außenhandel von einer einzigen Bank abhängig machen wollen.
Aber es gibt ja nicht nur diese beiden Banken in der Schweiz.
Natürlich gibt es die Kantonalbanken und andere, spezialisierte Institute. Die Frage ist aber doch, ob sie größeren, international ausgerichteten Unternehmen mit Blick auf den Außenhandel und die Finanzierung das bieten können, was sie brauchen. Ich denke, dass die Commerzbank, die ja bereits in der Schweiz vertreten ist, hier eine gute Alternative darstellt.
Haben Sie schon eine Kampagne gestartet, um dieses Kundenpotenzial zu erreichen?
Wir beobachten mit Interesse, wie sich das entwickelt. Es wird auch Teil der Strategiedebatte des Vorstands sein, Antworten zu finden auf die Frage, wie die Commerzbank diese Möglichkeiten nutzen kann.
Zur Person – Wanderer zwischen den Welten
Harmonisch ist es nicht gerade zugegangen im Aufsichtsrat und Vorstand der Commerzbank, seit Helmut Gottschalk vor gut zweieinhalb Jahren kurzfristig für Hans-Jörg Vetter einsprang, der das Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden aus gesundheitlichen Gründen von heute auf morgen niederlegen musste. Zahllose Wechsel in beiden Gremien zeugen davon, dass der 1951 geborene Schwabe, der sein gesamtes Berufsleben bei den Verbünden verbracht hat, eine sehr klare Vorstellung von guter Governance hat.
Auch wenn der frühere Vorstandssprecher der Volksbank Herrenberg-Nagold-Rottenburg und langjährige Aufsichtsrat der DZ Bank mit Herzblut bei der Sache war, nimmt man ihm ab, dass ihm die bevorstehende Übergabe des Staffelstabs leichtfällt. Sein designierter Nachfolger, der ehemalige Bundesbankpräsident Jens Weidmann, bringt nicht nur bankaufsichtsrechtliches Know-how mit, sondern auch die politische Erfahrung, die im Umgang mit dem Bund als Commerzbank-Großaktionär gewiss nicht schaden kann.
Interview: Helmut Gottschalk
“Der Bankensektor ist die Achillesferse”
Der Aufsichtsratschef der Commerzbank über das Bankenbeben in den USA und die Folgen für die Eurozone
In wenigen Wochen wird Helmut Gottschalk den Aufsichtsratsvorsitz der Commerzbank an seinen Nachfolger Jens Weidmann übergeben. Im Interview der Börsen-Zeitung ordnet er das Bankenbeben in den europäischen Kontext ein und spricht über den Platz der Commerzbank im deutschen Kreditwesen.
Das Interview führten Anna Sleegers und Detlef Fechtner.