"Deutsche Commerz" und das Ende eines Mythos
Nun sind die Gespräche zum bevorstehenden Zusammenschluss von Deutscher Bank und Commerzbank offiziell und es gibt zahlreiche Arbeitsgruppen, die sich mit den Perspektiven einer solchen Megabank beschäftigen. Außerdem wird zunehmend klar, was ohnehin die Größenverhältnisse der beiden Institute nahelegen: Wenn das Vorhaben umgesetzt werden sollte, dann wird dies vermutlich eine klassische Übernahme der Commerzbank durch die Deutsche Bank werden.Die strategischen Argumente zwischen den Befürwortern und Kritikern sind hinlänglich ausgetauscht: Auf der einen Seite gibt es die Stimmen, die nach dem Motto “size matters” auf die im internationalen Vergleich zu geringe Größe der Häuser verweisen und durch ein Zusammengehen der beiden verbliebenen deutschen Großbanken einen nationalen Champion herbeisehnen. Auf der anderen Seite betonen die Kritiker eines solchen Vorhabens die hohen Integrationsrisiken, die aufgrund der erheblichen Überlappungen im Privat- und Firmenkundengeschäft bestehen sowie die daraus resultierenden enormen Restrukturierungskosten.Hinzu kommen völlig unterschiedliche Markenkerne und Unternehmenskulturen, also “weiche” Faktoren, die aber in einer Integrationsphase nicht unterschätzt werden sollten. Gerade eine effizienzgetriebene Fusion, die bei dem überwiegenden Teil der Beschäftigten (vor allem bei der Commerzbank) Job-Ängste auslöst, kann eine Organisation lähmen und Vertriebserfolge gefährden – und das über Jahre hinweg.Der Autor möchte nachfolgend anhand einer Simulationsrechnung mit dem Mythos aufräumen, dass die kombinierte “Deutsche Commerz” besser dastehen wird als die einzelnen Institute heute. Zwar nimmt die schiere Größe gemessen an Marktkapitalisierung, Bilanzsumme und Risk-Weighted Assets (RWA) zu, jedoch erfolgt keine Verbesserung der Eigenkapitalrendite und der Cost-Income-Ratio. Von einem Gewinn an internationaler Wettbewerbsfähigkeit kann daher keine Rede sein.Dazu hat der Autor simuliert, wie zum 31.12.2018 die kombinierten Jahresabschlüsse nach einer Übernahme der Commerzbank durch die Deutsche Bank ausgesehen haben könnten, sofern die Transaktion schon zum 1.1.2018 stattgefunden hätte und Kostensynergien bzw. Ertragsverluste mit ihrem jeweiligen Ganzjahreseffekt (“full year effect”) eingetreten wären. Es handelt sich im ersten Schritt also um ein fiktiv- es Szenario, das ein um außerordentliche Effekte bereinigtes Bild des neuen Instituts zeichnet. In einem zweiten Schritt werden die Integrationskosten und deren Auswirkungen auf die wichtigsten Kennzahlen ermittelt. AnnahmenDie folgenden Annahmen liegen der Simulation zugrunde:1. Die Transaktion erfolgt im Wege einer Übernahme. Die Deutsche Bank zahlt eine marktübliche Prämie auf den Börsenwert von mindestens 10 %. Dies ist eher die Untergrenze, um Aktionäre zu einem Verkauf ihrer Aktien zu bewegen. Realistischer dürfte eine Prämie von mindestens 20 % sein.2. Die Kostensynergien werden mit 30 % der Personal- und Sachaufwendungen der Commerzbank angesetzt, ein nach den Erfahrungen früherer Bankenfusionen durchaus realistischer Wert, der freilich erst nach ein paar Jahren zu erzielen ist. Darin enthalten ist ein Personalabbau von ca. 25 000 Mitarbeitern, der in etwa einem Abbau von 25 % des kombinierten Inlandspersonals sowie 50 % der im Ausland beschäftigen Mitarbeiter der Commerzbank entspricht. Keineswegs soll das heißen, dass sämtliche Einspareffekte nur bei der Commerzbank anfallen würden, es handelt sich lediglich um eine kalkulatorische Annahme.In der Pro-forma-Rechnung wird der volle Kosteneinspareffekt in Höhe von ca. 2,2 Mrd. Euro im Jahr 2018 angesetzt, um einen Eindruck von den nachhaltigen Ergebniseffekten für das kombinierte Institut zu erhalten. Analog werden die Abschmelzverluste bei den Erträgen in Höhe von ca. 1,9 Mrd. Euro mit dem geschätzten Ganzjahreseffekt berücksichtigt.Die Ertragsrisiken sind bei einem Zusammenschluss zweier enger Konkurrenten im Heimatmarkt erheblich. Kaum ein größerer Firmenkunde, der nicht Kunde beider Banken ist. Beim Privatkundengeschäft spielen emotionale Bindungen und das Image der beiden Institute eine erhebliche Rolle. Denn beide Banken sind hinsichtlich ihrer Privatkundenprodukte bis auf Nuancen austauschbar, ob es sich um eine Baufinanzierung, Altersvorsorge oder typische Sparprodukte handelt. Daher ist bei einer Übernahme mit einer nicht unerheblichen Abwanderung von Commerzbank-Kunden zu rechnen. In der Simulation werden die Abschmelzverluste auf der Ertragsseite mit ca. 5,6 % der Gesamterträge der neuen Bank konservativ geschätzt. Dieser fällt überwiegend bei der Commerzbank an.Der Badwill, der bei einer Übernahme entstehende Unterschiedsbetrag zwischen dem gebotenen Übernahmepreis und dem bilanziellen Buchwert des Eigenkapitals, wird mit einem Wert von 14 Mrd. Euro angesetzt, der voll auf das harte Kernkapital (CET1) angerechnet wird. Dieser Wert könnte abhängig von der Fair-Value-Berechnung der erworbenen Net Assets der Commerzbank (sog. Purchase Price Allocation) deutlich niedriger ausfallen und damit die Argumente für einen Zusammenschluss schwächen.Die Eigenkapitalausstattung – gemessen durch die CET 1-Quote – des kombinierten Instituts verbessert sich aufgrund des Badwill auf 16 % (vgl. nebenstehende Tab.). Allerdings: Bei Übernahmen entsteht gewöhnlich ein Goodwill, der vom regulatorischen Eigenkapital abgezogen wird. Ein Badwill bedeutet wirtschaftlich, dass die Investoren das bilanzielle bzw. regulatorische Eigenkapital als keinen realistischen Gradmesser für den wirtschaftlichen Wert des Eigenkapitals ansehen. Das bedeutet, dass der Kapitalmarkt erhebliche Risiken in der künftigen Geschäftsentwicklung der Commerzbank sieht. Insofern ist die Qualität des Badwill als vollwertiges CET1-Kapital kritisch zu hinterfragen.Die erhöhte Eigenkapitalbasis, bedingt durch den Badwill, führt automatisch zu einer geringeren Eigenkapitalrendite. Bei der hier vorgenommenen Vorsteuerbetrachtung würde die Eigenkapitalrendite ohne Berücksichtigung integrationsbedingter Sonderbelastungen nur noch 2,9 % betragen (zum Vergleich: die derzeitigen Werte von Deutscher Bank und Commerzbank liegen bei 2,0 % bzw. 4,3 %). Bezieht man die anteiligen außerordentlichen Aufwendungen ein, liegt die Eigenkapitalrendite einer Deutschen Commerz nur noch bei 2,0 %.Die Cost-Income-Ratio (CIR) der neuen Bank wäre mit ca. 89,9 % zwar besser als bei der Deutschen Bank (93,3 %) aber schlechter als bei der Commerzbank (85,5 %). Inklusive der jahresanteilig zu erwartenden Restrukturierungskosten liegt die geschätzte CIR der kombinierten Bank sogar bei 93,0 % und so nur leicht unter dem Wert der Deutschen Bank stand alone.Bei den Integrationskosten wird ein Personalabbau von 25 000 Vollzeitstellen unterstellt (geschätzte Personalabbaukosten ca. 800 Mill. Euro) sowie Kosten für die IT-Integration von 1,5 Mrd. Euro. Inklusive Transaktions- und Beratungskosten von ca. 300 Mill. Euro dürften die kumulierten Restrukturierungskosten bei ca. 2,6 Mrd. Euro liegen. Diese fallen für drei bis fünf Jahre ab dem Closing an und sind in der Simulation entsprechend zeitanteilig berücksichtigt.Ein gutes Rating und damit günstige Refinanzierungskosten am Kapitalmarkt sind essenziell für die Wettbewerbsfähigkeit einer Großbank. Zwar ist der Anteil der Einlagenfinanzierung bei der Commerzbank deutlich höher als bei der Deutschen Bank, allerdings muss das während der Integration keineswegs so bleiben. Ein verbessertes Rating für die Deutsche Bank infolge der Übernahme der Commerzbank hält der Autor für sehr unwahrscheinlich, da die Ratingagenturen bereits auf die erheblichen Integrationsrisiken hingewiesen haben.Außerdem würde der Anteil des Bundes an dem kombinierten Institut bestenfalls noch bei 5 % liegen, wenn nicht der Bund die Chance nutzt, sich im Zuge des Zusammenschlusses von der Beteiligung komplett zu verabschieden. Also entfällt auch die mit einer Bundesbeteiligung implizit verbundene Hoffnung auf Stützung des neuen Instituts, sollte es zu einer Krise kommen. Zudem spricht der seit geraumer bestehende Einheitliche Abwicklungsmechanismus dagegen, dass die Bundesbeteiligung überhaupt einen nennenswerten Einfluss auf das Rating hat. Holzschnittartige AnalyseZugegeben, diese Analyse ist notwendigerweise holzschnittartig, basiert sie doch ausschließlich auf öffentlich verfügbaren Informationen. Dennoch sind die Annahmen hinsichtlich möglicher Synergieeffekte und Abschmelzverluste durchaus realistisch. Außerdem muss man an dieser Stelle anmerken, dass die Deutsche Bank bei einer Übernahme der Commerzbank den Commerzbank-Aktionären sicherlich eine Übernahmeprämie von mindestens 20 % bis 25 % auf den Aktienkurs bieten muss. Ansonsten dürfte man kaum die gewünschte Mehrheit erzielen, die bei mindestens 75 % der Aktien liegen sollte. Eigentlich muss die Deutsche Bank perspektivisch sogar auf 100 % zielen, um vollständigen Durchgriff auf die Commerzbank zu erhalten. Wie mühsam das sein kann, zeigen zahlreiche Erfahrungen mit Squeeze-out-Verfahren in Deutschland. Entscheidet man sich dagegen für eine echte Fusion, dann wäre dies zumindest technisch einfacher. An der fehlenden industriellen Logik würde aber auch das nichts ändern.Volker Brühl, Professor für Banking and Finance, Hochschule für Oekonomie und Management, Geschäftsführer, Center for Financial Studies