ANSICHTSSACHE

Deutschland darf den digitalen Anschluss nicht verlieren

Börsen-Zeitung, 20.11.2020 Anfang November machte die Nachricht Schlagzeilen, dass ein deutsches Unternehmen vermutlich den ersten solide erprobten Impfstoff gegen das Coronavirus entwickelt hat. Eine Meldung, die in Deutschland, Europa und weltweit...

Deutschland darf den digitalen Anschluss nicht verlieren

Anfang November machte die Nachricht Schlagzeilen, dass ein deutsches Unternehmen vermutlich den ersten solide erprobten Impfstoff gegen das Coronavirus entwickelt hat. Eine Meldung, die in Deutschland, Europa und weltweit für Erleichterung gesorgt hat und uns hoffen lässt, dass wir absehbar zu einem normalen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben zurückkehren können.Es war auch eine Meldung, die eines ganz deutlich zeigt: Deutschland ist und bleibt ein Land der Spitzenforschung, der Ideen und der Innovationen. Das muss es auch sein, denn unsere Innovationskraft ist der einzige Rohstoff, den wir haben und durch den wir erfolgreich und auf internationaler Ebene wettbewerbsfähig bleiben. Es tut sich einigesTrotz dieser Binse laufen wir Gefahr, bei dem Megathema Digitalisierung den Anschluss zu verlieren und so unsere Zukunftsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit mittel- und langfristig zu verspielen. Deshalb ist eines ganz klar: Deutschland muss digitaler werden. Das gilt für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, und das gilt auch und insbesondere für die Finanzwirtschaft und den Kapitalmarktbereich. Die gute Nachricht ist, dass sich hier aktuell einiges tut.Ein Beispiel dafür sind die Planungen zur Einführung elektronischer Wertpapiere. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und das Bundesfinanzministerium haben dazu im Sommer dieses Jahres einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem das Wertpapierrecht in Deutschland modernisiert werden und für elektronische Wertpapiere geöffnet werden soll. Register statt UrkundeZunächst soll dies in einem ersten Schritt für elektronische Inhaberschuldverschreibungen umgesetzt werden. Dabei soll die papierhafte Urkunde durch die Eintragung in ein elektronisches Register ersetzt werden.Herkömmliche Wertpapiere sollen nicht abgeschafft werden, sondern unter bestimmten Bedingungen durch Eintragung in das Wertpapierregister in elektronische Wertpapiere umgewandelt werden können. Auch der umgekehrte Weg soll möglich sein. Elektronische Wertpapierregister können dabei zentral oder dezentral geführt werden. Registerführer sollen hier ausschließlich zugelassene Zentralverwahrer sein – eine Aufgabe, die auch von Depotbanken erfüllt werden könnte.Im dezentralen Wertpapierregister werden elektronische Wertpapiere durch Einzeleintragung oder Sammeleintragung begeben. Sie werden nicht im Effektengiro abgebildet, sondern in diesem Register verwaltet. Das alles geschieht mittels Blockchain-Technologie, wobei der Gesetzgeber bestimmte technische Mindestanforderungen vorsieht. Wichtig ist jedoch, dass diese auch praktisch umsetzbar sind.Das elektronische Wertpapier wird im zentralen Register durch Sammeleintragung begeben. Umbuchungen elektronischer Wertpapiere im zentralen Register werden weiterhin im traditionellen Effektengiro erfasst und durch die Wertpapiersammelbank treuhänderisch verwaltet.Damit der Gesetzentwurf umgesetzt werden kann, haben die Ministerien an den sachenrechtlichen Grundsätzen auch für elektronische Schuldverschreibungen festgehalten. Diese Fiktion ermöglicht es, elektronische Schuldverschreibungen einzuführen, ohne weite Teile des Wertpapierrechts aufwendig neu regeln zu müssen.Als Bundesverband Öffentlicher Banken (VÖB) unterstützen wir den Gesetzentwurf zur Einführung digitaler Wertpapiere. Für uns und unsere Mitglieder ist das Thema Digitalisierung eine Herausforderung, ganz klar – vor allem ist es aber eine große Chance. Die öffentlichen Banken haben die veränderten Kundenbedürfnisse frühzeitig erkannt, und sie haben das Thema für sich und ihre Kunden angenommen. Gemeinsam mit dem VÖB treiben die öffentlichen Banken die Digitalisierung proaktiv voran.Entsprechend positiv begleiten wir als Bundesverband Öffentlicher Banken den vorliegenden Gesetzentwurf. Positiv bewerten wir insbesondere die stufenweise Einführung zunächst für Schuldverschreibungen, denn dadurch ist der politische und regulatorische Prozess zügiger umsetzbar und sind die Vorteile für die Finanzindustrie schneller nutzbar.Aktien und Fondsanteile sollten dann zu einem späteren Zeitpunkt digitalisiert werden. Zudem ist es sinnvoll, neben elektronischen Schuldverschreibungen herkömmliche beizubehalten und Regelungen für einen fließenden Übergang aufzunehmen, damit sich die Finanzindustrie und Anlegerinnen und Anleger darauf einstellen können. Besonders positiv ist auch, dass der Gesetzgeber – entgegen den ursprünglichen Plänen – die Nutzung dezentraler Register für Privatanleger zulässt. Sie wären ansonsten von Teilen des Kapitalmarktes per se ausgeschlossen, was dem Ziel der europäischen Kapitalmarktunion klar widerspräche. Vorteil Technologieneutralität Auch die technologieneutrale Ausgestaltung begrüßen wir sehr, denn sie ermöglicht es, für weitere technische Innovationen offen zu bleiben, ohne das Gesetz bei jeder Neuerung anpassen zu müssen.Die deutsche Politik ist nun in der Verantwortung. Europäische Nachbarländer wie Frankreich und Luxemburg sind uns schon einen Schritt voraus. Die dortige Finanzindustrie sowie die Anlegerinnen und Anleger profitieren schon lange von den Vorteilen digitaler Wertpapiere. Deutschland muss diesen Schritt nun auch gehen. Bei der Digitalisierung sind wir ins Hintertreffen geraten. Doch es ist noch nicht zu spät aufzuholen. Deutschland muss ein Land der Innovationen bleiben, auch beim Thema Digitalisierung! Iris Bethge-Krauß ist Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands Öffentlicher Banken. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——-In Frankreich und Luxemburg profitieren Anlegerinnen und Anleger von Vorteilen digitaler Wertpapiere. Deutschland muss diesen Schritt nun auch gehen.——Von Iris Bethge-Krauß—