Die Erwartungen von Kunden verändern sich

Produktentwicklung auf neuen Wegen

Die Erwartungen von Kunden verändern sich

Klaus-Peter BrunsVorstandsvorsitzender der Fiducia & GAD IT AGWeil die Digitalisierung die Erwartungen von Kunden permanent verändert, muss sich auch die Entwicklung digitaler Banking-Angebote ändern. Derzeit testen wir mit drei internen Start-ups, welche Vorgehensweisen am besten geeignet sind, um aus innovativen Trends rund um KI und User Experience (UX) einen greifbaren Mehrwert für Banken und Kunden zu generieren. Der genossenschaftliche IT-Dienstleister ist gewiss nicht das einzige Großunternehmen in Deutschland, das sich von der Agilität und Innovationskraft kleinerer Start-ups inspirieren lässt. Start-ups praktizieren eine unbürokratische Firmenkultur ohne ausgeprägte Hierarchien: Die Entwicklung digitaler Lösungen braucht bei ihnen weder langwierige Vorlaufzeiten noch seitenlange Dokumentationen. Start-ups verzichten bewusst auf alles, was spontaner Experimentierfreude abträglich wäre.Dazu gehört auch der Erfolgszwang, der für klassisch geplante Projekte oft zeitraubende Bedarfsanalysen und Evaluierungen erforderlich macht. In einem Start-up hingegen gehört Scheitern zum Konzept: Beim ergebnisoffenen Experimentieren mit neuen Möglichkeiten und Ideen entfaltet Scheitern sogar eine produktive Wirkung – nämlich als Filter, der die Spreu vom Weizen trennt. Allerdings muss dieses produktive Scheitern in einem frühen Stadium erfolgen. Denn niemand kann es sich leisten, unnötig viele Entwicklungsressourcen in einen Lösungsansatz zu investieren, der sich im Nachhinein doch nicht als marktfähig erweist. Doch nach welchen Kriterien lässt sich die Marktfähigkeit schon im Vorfeld bewerten? Dafür kommt nur das Urteil der künftigen Nutzer in Frage. Deshalb ist die Kundenperspektive das Maß aller Dinge für die agile Entwicklungsmethodik: An ihrem Anfang steht in der Regel die schnelle Bereitstellung eines fragmentarischen Prototyps, der Testnutzern gleichwohl eine lebendige Anschauung von dem künftigen Produkt oder Service verschafft. Der weitere Lösungsweg gliedert sich dann in zyklische Phasen – in sogenannte Sprints, die den Prototypen iterativ erweitern und stetig perfektionieren. Diese Sprints wiederholden sich so lange, bis der Funktionsumfang komplett und die Testgruppe zufrieden ist. Eine solche Iteration mit beständigem Anwenderkontakt sorgt dafür, dass die spätere Lösung tatsächlich den Nerv der Kunden trifft. Ohne weiteres lässt sich der Kurs nach jedem Sprint neu einjustieren, wobei aussichtslose Lösungsideen frühzeitig am Nutzervotum scheitern.Anders als viele andere etablierte Firmen gründete die Fiducia & GAD jedoch keine externen Spin-offs aus, sondern favorisiert ein internes Start-up-Modell. Denn die organisatorische Einbettung der als Schnellboote bezeichneten Start-ups und ihre räumliche Nähe löst eine Rückkopplung der neu erprobten Innovationskultur auf das gesamte Unternehmen aus.So verbringt zum Beispiel die interdisziplinär zusammengesetzte Crew des ersten Projekts, das im September 2017 in Karlsruhe vom Stapel lief, je 80 % ihrer Arbeitszeit im Projekt und 20 % in ihrer bisherigen Heimatabteilung. Auf diese Weise halten die im Start-up erworbenen Sichtweisen und Methoden über kurz oder lang auch Einzug in den Alltag etablierter Fachbereiche.Der Fokus des Karlsruher Projektteams liegt auf Verbesserungen im Kundenservice des genossenschaftlichen IT-Providers, wo manueller Aufwand mitunter zu Verzögerungen in der Bearbeitung von Support-Anfragen der Bankmitarbeiter führte. Unter dem Namen “Customer Advisor” entwarf das Team die Zielvision für ein selbstlernendes System, das die zugrundeliegenden Prozesse und Informationsflüsse vereinfachen und beschleunigen sollte. Dazu agiert der Customer Advisor wie ein virtueller Serviceassistent, der alle benötigten Support-Informationen automatisch zur Verfügung stellt: Einfache Support-Anfragen beantwortet er direkt. Anspruchsvollere Tickets werden nach einer KI-basierten Analyse vollautomatisch an einen kompetenten Support-Mitarbeiter aus Fleisch und Blut weitergereicht. Der virtuelle Serviceassistent kombiniert also vorhandene Informationen auf neue Weise und bietet das so generierte Wissen kontextgerecht über ein sprachfähiges User Interface an. Dank selbstlernender KI-Algorithmen wird das System mit jeder Anfrage klüger, sodass es im Lauf der Zeit immer mehr Fragen beantworten kann. Während der Customer Advisor die Servicequalität für Mitarbeiter der VR-Banken verbessert, widmet sich das einen Monat später in München angelaufene Projekt Nummer 2 dem Potenzial natürlich-sprachlicher Assistenz für die Kunden der Volks- und Raiffeisenbanken: Das gleichfalls KI-basierte System namens “Kiu” erledigt auf Zuruf oder per Texteingabe typische Alltagshandlungen wie Kontostände oder Zahlungseingänge ansagen. Doch sind die Anwendungsmöglichkeiten keineswegs nur auf banktypische Routinen beschränkt. Denkbar wären zum Beispiel auch Onlineeinkäufe bei regionalen Einzelhändlern – inklusive komfortabler und sicherer Bezahlung per VR BankingApp.Das dritte Projekt schließlich lotet seit Ende vorigen Jahres in Münster neue Chancen zur Erweiterung der Geschäftstätigkeit von VR-Banken aus. Als Hebel dafür soll künftig eine überregionale Digitalplattform dienen, die zwischen lokal begrenzten digitalen Ökosystemen vermittelt – etwa Onlineangebote kommunaler Versorger, lokale Tauschbörsen oder andere Communities im Netz. Mit einer solchen Plattform könnten Genossenschaftsbanken das gewachsene Vertrauen vieler Millionen Kunden im digitalen Zeitalter auf neue Weise veredeln und sich im Wettbewerb als überregionaler Vertrauensbroker für regionale Ökosysteme positionieren. Sicherlich keine klassische Aufgabe für ein Kreditinstitut – aber eine, mit der sich Kundenbeziehungen nachhaltig festigen lassen.