Bankenregulierung

Die große Schlacht ums Eigenkapital

Anfang Oktober wird der Vorschlag der EU-Kommission zur Umsetzung des Abschlusses der Baseler Kapitalregeln erwartet. Die Lobbybemühungen sind intensiv. Die Börsen-Zeitung erklärt, wo der Hase im Pfeffer liegt.

Die große Schlacht ums Eigenkapital

Von Bernd Neubacher, Frankfurt

Momentan ruht die politische Landschaft in Brüssel – der August ist der Monat der Sommerpause im Apparat der EU-Kommission. Europas Banken verharren dennoch in Habachtstellung: Nach der Sommerpause wird die Behörde ihren Vorschlag präsentieren, wie sie den Abschluss der Baseler Kapitalregeln umsetzen will. Das Regelpaket Basel III ist ein Mammutprojekt, das schon nach der Finanzkrise begann und deren Um­setzung sich derzeitigen Planungen zufolge noch bis 2028 hinziehen dürfte. Auch wenn über Details, wie der Abschluss in Europa umgesetzt wird, noch zu entscheiden ist.

Fest steht schon jetzt, dass er die Kapitalquoten deutscher Banken empfindlich drücken wird. 2020 errechnete die Bundesbank auf Basis von Daten per Ende 2019 für Deutschlands Banken einen Anstieg der Anforderungen um nicht weniger als 23,8%, für die Großbanken gar um 31% (siehe Grafik). Seither haben sich Signale aus der Kommission gehäuft, dass die Verschärfung nicht ganz so stark ausfallen soll.

Arbeiten ziehen sich hin

Hingezogen haben sich auch die Arbeiten am Vorschlag der Kommission. Ursprünglich für September avisiert, wird es nun bis mindestens Anfang Oktober dauern, bis die Banken erfahren, welche Anforderungen konkret auf sie zukommen. Die Lobbybemühungen sind seit Monaten intensiv. Die Verbandsvertreter haben sich in den vergangenen Wo­chen in Brüssel die Klinke in die Hand gegeben. Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing, seit Anfang Juli Präsident des Bundesverbands deutscher Banken (BdB), hat in den vergangenen Monaten mehrfach öffentlich gefordert, die Baseler Reform müsse europäische Besonderheiten berücksichtigen. Andernfalls drohten Un­ternehmen und Häuslebauern höhere Zinsen. Was aber sind die größten Baustellen? Wo verlaufen die Fronten in der großen Schlacht um Eigenkapital? Und wie ist der Stand der Überlegungen? Nach Informationen der Börsen-Zeitung finden die entscheidenden Kämpfe derzeit auf vier Schauplätzen statt. Es gibt einen Dauerbrenner in der Debatte.

Output Floor

Die Ausgangslage: Der Baseler Ausschuss will die Effekte bankinterner Modelle zur Berechnung des Eigenkapitalbedarfs harmonisieren und sieht vor, dass die auf diese Art ermittelte Kapitalanforderung mindestens 72,5% der Berechnung nach dem Standard-Ansatz entsprechen muss. Gerade deutsche und skandinavische Banken, rege Nutzer interner Modelle, befürchten in der Folge deutlich höhere Kapitalanforderungen und auch weitere Wettbewerbsnachteile gegenüber US-Banken. Dort hatte die Notenbank schon vor Jahren klargemacht, dass die Banken zwar mit internen Modellen rechnen dürfen, dies für die Kapitalanforderung aber irrelevant ist. Folglich droht US- Banken mit einer Harmonisierung durch Einführung des sogenannten Output Floors von 72,5% auch keine Verschärfung der Anforderungen.

Um diesen im Zaum zu halten, machen sich die Banken in Europa nun dafür stark, die europaspezifischen Vorgaben einer bankindividuellen Kapitalanforderung (Pillar2 Requirement, P2R) und Kapitalempfehlung (Pillar2 Guidance, P2G) von den rigideren Regeln auszunehmen bzw. im Zuge eines sogenannten „Parallel Stack Approach“ mit hinzukommenden Anforderungen zu verrechnen. Argument: Dies wäre der einfachste und sinnvollste Weg, den Anstieg der Anforderungen zu begrenzen und das Baseler Regelwerk dennoch vollständig umzu­setzen.

Der Frontverlauf: uneinheitlich. Die Forderung spaltet die EU-Mitgliedstaaten. Als Verfechter der Idee gelten Deutschland, Frankreich, Dänemark und Luxemburg. Wie An­fang Juli „Politico“ meldete, haben sich Frankreich und Dänemark mit diesem Vorstoß indes zuletzt recht isoliert wiedergefunden; Länder wie Belgien, Italien, die Niederlande, Polen, Portugal, Schweden und Spanien hätten ihnen nicht folgen wollen. Die Befürworter des Parallelansatzes entmutig das nicht. Noch ist nicht aller Tage Abend, wird dort vermittelt. Zeigten sich Länder reserviert gegenüber dem Vorstoß, könne dies ebenso Verhandlungsgebaren sein. Komme man ihnen anderweitig entgegen, sei es durchaus möglich, sie umzustimmen. Als relevante Verhandlungsmasse gelten etwa für Italien Bestimmungen bzw. Zugeständnisse beim Umgang mit notleidenden Krediten. Für Spanien steht demnach wiederum ein ganz anderes Thema im Vordergrund.

Operative Risiken

Die Ausgangslage: Der Abschluss der Baseler Eigenkapitalregeln regelt neben der Berechnung von Kapitalanforderungen auch den Umgang mit operativen Risiken in großen Banken neu. Was solche Häuser an Eigenkapital benötigen, um ihre operativen Risiken abzudecken, orientiert sich an ihren Erträgen, ihrem Aufwand sowie an einer zehn Jahre zurückreichenden Datenbank mit entsprechenden Schadenfällen. Un­tersuchungen zufolge sind die neuen Regeln für operative Risiken dabei nach dem Output Floor der wichtigste Faktor, der dafür sorgt, dass die neuen Bestimmungen den Eigenkapitalbedarf der Institute erhöhen. In den Fokus gerückt ist nun der sogenannte, für jede Bank individuell per Algorithmus errechnete Internal Loss Multiplier (ILM), der unter anderem aus früheren Verlusten einer Bank infolge operativer Risiken berechnet wird. Denn das Regelwerk des Baseler Ausschuss enthält das Wahlrecht, diesen Multiplikator generell auf 1 zu setzen und ihn damit in seiner Wirkung zu neutralisieren.

Der Frontverlauf: verwirrend. Spanien favorisiert den Multiplikator 1, Frankreich, deren Großbank BNP Paribas sich 2014 eine Rekordstrafe wegen Verstoßes gegen US-Sanktionen eingehandelt hatte, scheint ihn überhaupt nicht einsetzen zu wollen, und mancher Verbandsvertreter träumt bereits von einer auf 1 festgelegten Obergrenze, die es Banken erlauben würde, im Falle eines Multiplikators unter 1 in den Genuss von Kapitalerleichterungen zu kommen und zugleich höheren Anforderungen zu entgehen, falls dieser über 1 liegen sollte. Zudem räumt das Baseler Regelwerk der Aufsicht die Option ein, bestimmte Schadenfälle aus der zu Grunde liegenden Datenbank auszuklammern.

Gegner einer solchen Regelung finden sich dabei bemerkenswerterweise nicht unbedingt in den Reihen der Aufseher, sondern der Banken. Sie befürchten, dass dies ein neues Bürokratiemonster mit länglichen Ge­nehmigungsverfahren gebiert und letztlich aufsichtlicher Willkür Tür und Tor öffnet. Schon jetzt sei die Regulierung derart kompliziert, dass auswärtige Investoren für Anlagen in europäische Bankenwerte eine „Kom­plexitätsprämie“ einpreisten, ist zu hören. Deutsche Banken sorgen sich unterdessen nicht so sehr um ihre operativen Risikogewichte, sondern viel mehr um Folgendes.

Unternehmen ohne externes Rating

Die Ausgangslage: Während der Baseler Ausschuss künftig etwa für Ausreichungen an mit einem externen Rating von „AA−“ ein Risikogewicht von 20% ermöglicht, ist für Schuldner ohne externes Rating, wie auch für die meisten Spezialfinanzierungen, ein pauschales Risikogewicht von 100% vorgesehen, was auf einen Eigenkapitalbedarf von 8% der Forderungssumme hinausläuft. Stuft eine Bank die Bonität eines Schuldners mit Investment Grade ein, ist ein Gewicht von 65% erlaubt, vorausgesetzt, Wertpapiere des Schuldners sind börsennotiert. Bisher sind in diesem Segment gemäß Kreditrisiko-Standardansatz bundesweit Werte um 45%, meist aber deutlich tiefer gang und gäbe.

Das Problem: Gerade in Deutschland wimmelt es von Mittelständlern, die sich eine Bewertung durch externe Bonitätswächter bisher ge­spart haben. Müssten Banken ihnen ein Gewicht von 100% zuordnen, würden Kredite sie teurer, seltener oder beides, und zwar nicht nur bundes-, sondern europaweit. Die Kreditwirtschaft will dies geändert wissen. So stellte Deutsche-Bank-Fi­nanz­vorstand James von Moltke in einer Telefonkonferenz, angesprochen auf die Debatte um den Parallelansatz für den Output Floor, vor allem das Problem der „Unrated Corporates“ als relevant heraus.

Der Frontverlauf: einheitlich. Dem Vernehmen nach herrscht unter allen Akteuren Konsens, dass eine Lösung hermuss, um einer Verknappung des Kreditangebots für nicht börsenaffine Unternehmen entgegenzuwirken. Die EU-Kommission habe zugesagt, sich dieses Problems anzunehmen, heißt es. Nur wie? In den vergangenen Monaten wurden bereits mehrere Szenarien gewälzt – vom Aufbau einer staatlichen Ratingagentur, die dann externe Ratings verteilt, bis hin zur Nutzung interner Ratings der Bundesbank. Die Zen­tralbank erstellt diese, um festzulegen, ob Kreditforderungen an Unternehmen von Banken als Sicherheit für geldpolitische Operationen eingereicht werden können bzw. wie hoch die Sicherheitsabschläge ausfallen, freilich nur auf nationaler Ebene. Die sich inzwischen abzeichnende Lösung hat einerseits etwas Smartes, führt zugleich aber die vom Baseler Ausschuss angestrebte Be­schrän­kung des Einflusses bankinterner Modelle durch den Output Floor ad absurdum: Die EU-Kommission könnte für die Erstellung externer Ratings auf die Bewertungen von Un­ternehmen durch die internen Mo­delle der Banken zurückgreifen, um bestimmen zu lassen, ob ein Unternehmen dem Investment-Grade-Sektor zuzurechnen ist und das Risikogewicht somit von 100% auf 65% sinkt.

Für die Validität der Modell-Bewertungen spricht inzwischen im­mer­hin, dass die europäische Bankenaufsicht in einem jahrelangen Pro­jekt die internen Modelle der Großbanken gerade auf Herz und Nieren geprüft hat. Allerdings muss in diesem Szenario nun ein Weg her, wie die breite Masse der kleineren Banken, die nicht wie die Großbanken interne Modelle einsetzen, sondern den Kredit-Standard-Ansatz anwenden, auf die Einstufungen der sogenannten Modell-Banken zugreifen können. Außerdem steht noch eine andere Frage im Raum: Warum bzw. zu welchen Konditionen sollen die Modell-Banken ihre Bewertungen aus Systemen, in welche sie jahrelang ordentlich investiert haben, den übrigen Kreditinstituten zur Verfügung stellen?

Immobilienfinanzierung

Die Ausgangslage: In der Immobilienfinanzierung aktive Adressen sehen vor allem im Falle sogenannter ADC-Kredite (Acquisition, Development & Construction Loans) strengeren Anforderungen entgegen. Das Risikogewicht für solche Forderungen soll von 100% auf 150%, also von 8% der Forderungssumme auf 12%, steigen.

Der Frontverlauf: Vor allem die deutsche Kreditwirtschaft, die in der Aareal Bank, der Deutschen Pfandbriefbank sowie der Helaba prominente Immobilienfinanzierer in ihren Reihen hat, geht auf die Barrikaden und fordert ein niedrigeres Risikogewicht. Zwar machen ADC-Kredite Schätzungen zufolge gerade einmal 1,5% der Risikoaktiva deutscher Banken aus. Andererseits aber fallen in diese Kategorie so gut wie alle Kredite, die Banken etwa zur energetischen Sanierung ausreichen und da­mit ein großer Teil jener Finanzierungen, die in den kommenden Jahren den grünen Wandel fördern sollen – nicht zuletzt nach dem Willen der EU. Deren Kommission muss sich nun, wie schon in der Debatte um einen grünen Eigenkapitalrabatt, entscheiden, ob sie sich bei der Festlegung von Risikogewichten allein vom Risiko oder auch von politischen Erwägungen leiten lassen will. In ein paar Wochen schon dürften Deutschlands Banken Gewissheit haben.

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