LEITARTIKEL

Die Kehrtwende

General Electric war in der Außenwahrnehmung stets in erster Linie ein Industriekonzern mit angeschlossenem Bankgeschäft. Aus diesem Blickwinkel betrachtet erscheint der jüngst angekündigte Plan, rund 90 % der Tochter GE Capital abzugeben, weniger...

Die Kehrtwende

General Electric war in der Außenwahrnehmung stets in erster Linie ein Industriekonzern mit angeschlossenem Bankgeschäft. Aus diesem Blickwinkel betrachtet erscheint der jüngst angekündigte Plan, rund 90 % der Tochter GE Capital abzugeben, weniger dramatisch, als er wirklich ist. In den Jahren vor der Finanzkrise hat das Industriekonglomerat teils 60 % seiner Gewinne mit Finanzdienstleistungen erzielt, und auch 2012 und 2013 war es noch rund die Hälfte. Viele Tätigkeitsfelder von GE Capital sind dabei schon lange nicht mehr komplementär zum Industriegeschäft. Während sich der US-Konzern wie auch der deutsche Wettbewerber Siemens längst vom Gros des Konsumelektronikgeschäfts verabschiedet hat, spielen Privatkunden bei GE Capital noch immer eine Hauptrolle. So lange das Geschäft ein relativ sicherer Gewinnlieferant war, störte dies CEO Jeffrey Immelt offenbar nicht. Nun, da er mit der Finanzkrise die Kehrseite der Medaille gesehen und die strengere Regulierung als deren Folge erfahren hat, vollzieht er die Kehrtwende. Noch im Ende Februar veröffentlichten Jahresbericht war ein weitaus weniger aggressives Devestitionsziel für das Bankgeschäft propagiert worden.Die Trennung vom langjährigen Ergebnistreiber, der so wenig zu GE zu passen scheint, ist von Investoren fast einhellig beklatscht worden. Die Aktie notiert derzeit mehr als 6 % fester als zum Zeitpunkt der Planankündigung. Mancher Analyst erwartet zudem, dass GE mit den aus dem Verkauf frei werdenden Mitteln nicht nur die Aktionäre über die kommenden Jahre mit versprochenen Ausschüttungen von 90 Mrd. Dollar beglücken kann, sondern auch die Gewinne im Kerngeschäft vorantreiben wird. Ein kompletter Ersatz der wegfallenden Bankgewinne ist allerdings gar nicht unbedingt nötig, wenn der Aktienkurs nur gehalten werden soll. So gut der Markt sich in den vergangenen Jahren auch entwickelt hat – für Banktitel galt dies nur eingeschränkt. Sie werden gegenüber Industrieanteilen noch immer mit einem Malus belegt. Die GE-Aktie wird derzeit etwa mit dem 16-Fachen des erwarteten Gewinns der kommenden zwölf Monate bewertet. Andere Industrieunternehmen wie Boeing kommen auf noch höhere Multiples. US-Großbanken wie Bank of America, Citigroup, J.P. Morgan oder Goldman Sachs haben zwar mittlerweile das Gros der juristischen Altlasten aus der Finanzkrisenzeit abgearbeitet und erzielen satte Gewinne. Ihre Bewertungen liegen aber noch immer bei Kurs-Gewinn-Verhältnissen von 10 bis 11 und damit deutlich niedriger als der Durchschnitt im Gesamtmarkt.Diesbezüglich ist die geplante Trennung für GE also sogar ein Vorteil. Absolut gesehen, dürfte der wegbrechende Gewinn allerdings kaum vom Industriegeschäft kompensiert werden können. Auch im vergangenen Turnus stammten noch 42 % der operativen Gewinns von der ausgedünnten Finanzdienstleistungstochter. Doch die Bankgewinne haben einen Preis, den Immelt nicht mehr zahlen will: Wegen der von den Regulierungsbehörden festgestellten systemischen Relevanz muss GE Capital immer strengere Kapitalvorschriften erfüllen. Eigenkapitalrenditen weit über 10 % – wie im Industriegeschäft möglich – sind so für GE Capital nahezu ausgeschlossen.Eine späte Einsicht auf Seiten Immelts. Schließlich wurden selbst in den Jahren nach der Finanzkrise noch Zukäufe für GE Capital getätigt. In Frankreich und Deutschland hatte GE etwa das Factoring-Geschäft der Royal Bank of Scotland übernommen. Die Zeichen der Zeit hat der Industriekonzern offenbar übersehen und wurde so als einzige Nichtbank zur SIFI (Systemically Important Financial Institution). Nun trennt sich das Unternehmen im Eiltempo von den Bankaktivitäten und spielt damit den Kaufinteressenten in die Karten, die schließlich um den selbst gesteckten Zeitplan von GE-Chef Immelt wissen. Kein Wunder, dass die Verhandlungen für den Verkauf des Mittelstandskreditgeschäfts schon laufen. Je näher Immelt an die eigene Deadline rückt, ohne die gesteckten Devestitionsziele erreicht zu haben, desto schwieriger dürften sich die Gespräche gestalten. Insofern ist die rasante Trennung von den Bankaktiva kein strategischer Coup, sondern das Eingeständnis einer zuvor erfolgten gravierenden Fehleinschätzung. Auch die US-Regulierer sollten sich indes angesichts der Verkäufe hinterfragen. Als Käufer treten Firmen wie die Großbank Wells Fargo oder die Beteiligungsgesellschaft Blackstone in Erscheinung. Nach den GE-Devestitionen gibt es zwar eine SIFI weniger. Das Klumpenrisiko ist durch Immelts Kehrtwende aber nicht gesunken – eher im Gegenteil.——–Von Sebastian SchmidDer Industriekonzern GE trennt sich vom Großteil seines Bankgeschäfts. Allerdings hat CEO Jeffrey Immelt lange gezögert, den Gewinnbringer aufzugeben.——-