IM INTERVIEW: LIEVE MOSTREY, CEO EUROCLEAR

"Die Reise dauert länger als erwartet"

Zentralverwahrer spürt Verzögerungen wegen Brexit - Zentralverwahrer-Richtlinie stößt langwierige Aufsichtsprozesse an

"Die Reise dauert länger als erwartet"

Der internationale Zentralverwahrer Euroclear plädiert vor dem anstehenden Brexit für gleiche regulatorische Bedingungen für alle Marktteilnehmer. Lieve Mostrey, CEO von Euroclear, hält im Interview der Börsen-Zeitung fest, dass sie sich eine stärkere Harmonisierung in der Gesetzgebung wünscht. Durch den Brexit seien zudem die IT-Budgets der Banken unter Stress geraten. Die Reise hin zu paneuropäischen Bondemissionen und mehr grenzüberschreitenden Transaktionen dauere derweil länger als erwartet.- Frau Mostrey, Euroclear hat auf der Bankenkonferenz Sibos den Aufbau eines neuen Dienstleistungsbereichs rund um Transaktionsdaten angekündigt. Was bringt das Ihren Kunden?Unser neuer Bereich Euroclear Information Solutions wird auf Basis von Kundentransaktionen Daten zur Verfügung stellen können, die beispielsweise Hinweise geben, wie die Liquidität in bestimmten Marktsegmenten verteilt ist, und wir können Hinweise zu Zinskurven geben, um welche besonders viele Transaktionen stattfinden. Viele Anleihen werden sehr selten gehandelt, was zu Verzerrungen führen kann.- Was bringen diese Informationen?Sie können etwa Hinweise geben, welche Segmente attraktiver oder weniger attraktiv sind oder wo es attraktiv ist, vergleichbare Wertpapiere aufzulegen. Wir werden sehr bald mit sehr spezifischen Angeboten in den Markt gehen können. Dies erstreckt sich in Richtung unseres Collateral Highway, also der Bündelung von Sicherheiten über verschiedene Märkte und Regionen hinweg. Wir möchten Informationen zu Vermögenswerten, die bei Euroclear verwahrt werden, mit Informationen zu extern verwahrten Assets verknüpfen und damit auch Markttrends und makroökonomische Trends aufzeigen können.- Wann kommen Ihre Angebote in den Markt?Wir sind noch in der Planungsphase. Zunächst wird dies im Bereich Festverzinsliche sein, dann in Abhängigkeit von den Bedürfnissen.- Kommen wir auf ein anderes Thema, die Umsetzung der europäischen Richtlinie für Zentralverwahrer (CSDR). Was bedeutet sie für Ihre Branche?Die Anträge für die Registrierung als Zentralverwahrer unter CSDR mussten bis Ende September eingereicht werden. Wir haben enorme Mengen an Unterlagen eingereicht und haben ein gutes Gefühl. Nun kommen wir in eine Phase, wo die Regulatoren in jedem Land die entsprechenden Anbieter unter die Lupe nehmen dürften. Unserer Auffassung nach wollen die Aufseher nicht nur verstehen, was in den Unterlagen steht, sondern auch sehen, wie die operative Realität aussieht. Das kann Prüfungen vor Ort bedeuten. Ich denke, dass dieser Prozess ziemlich langwierig sein wird. Im kommenden Jahr werden wir voraussichtlich genauer wissen, in welchem Tempo die Regulatoren hier vorgehen werden.- Gibt es weitere Themen?Ein Element von CSDR ist die Frage der Settlement-Disziplin, also wie mit fehlgeschlagenen Abwicklungen im Markt umgegangen wird. Die Details dazu sind noch nicht veröffentlich worden, so dass wir davon ausgehen, dass die Regulierung in diesem Bereich nicht vor 2019 in Kraft treten wird.- Es gab schon länger eine Auseinandersetzung darum, wer für die Kosten von fehlgeschlagenen Settlements aufkommen muss, also um die Frage der Buy-ins.Das ist tatsächlich ein schwieriges Thema. Es ist wichtig, dass dies gut organisiert und genau untersucht wird. Die EU-Kommission arbeitet noch daran.- Wird die Zentralverwahrerrichtlinie die Ziele erreichen, die sie erreichen will?Dazu wäre es noch etwas zu früh, eine Aussage zu machen. Die Richtlinie hat verschiedene Zielsetzungen. Eine ist, dass die Nachhandelslandschaft noch sicherer werden soll, dass klar ist, welche Regeln in Bezug auf die Systemsicherheit gelten und dass es hier europaweit einheitliche Vorgaben gibt. Wenn einmal vergleichbare Sicherheitsstandards etabliert sind, ist es möglich, die Märkte europaweit zu öffnen. Jedes Land kann dann einen Zentralverwahrer aus einem anderen Land willkommen heißen, da dieser dann durch die gleichen Regeln und detaillierten Vorgaben ans Risikomanagement beaufsichtigt wird. Dies wäre ein großer Schritt vorwärts für Europa.- Erwarten Sie mehr Wettbewerb zwischen Zentralverwahrern und einzelnen Märkten?Das ist eine Zielsetzung der Regulierung. Ich glaube nicht, dass dies sehr schnell geschehen wird, wir müssen erst einmal einen stabilen Zustand nach Einführung der CSDR erreichen, bevor in dieser Hinsicht mehr Dynamik entsteht.- Schafft die Zentralverwahrerrichtlinie bestimmte Hürden zwischen einzelnen Märkten ab oder nicht? Im Bereich der europäischen Abwicklungsplattform T2S zeigt sich, dass ihre Zielsetzung zum Teil unterlaufen wird. So geht aus nationalen Vorgaben hervor, dass nur der lokale Zentralverwahrer zum Kauf einer Staatsanleihe im Primärmarkt genutzt werden kann.Die Regulierung hat noch nicht alle Elemente einer gesetzlichen Harmonisierung abgedeckt, das ist richtig. Das ist offensichtlich auch rund um T2S der Fall. Eine stärkere Harmonisierung würde in der Tat mehr Wettbewerb erlauben. Es gibt Arbeitsgruppen, die sich damit befassen, und es gab durch das European Post Trade Forum eine Untersuchung, welche Marktbarrieren seit 2003 weggefallen sind. Dabei sind auch neue aufgetaucht, deren man sich vorher nicht bewusst war. Eine Markthürde kann eine andere verdecken. Unser Leben wäre einfacher, wenn es mehr Harmonisierung gäbe, das ist klar. Da ist noch ein Weg zu gehen.- Was bedeutet das für Ihre Geschäftsstrategie im europäischen Markt?Wir orientieren uns sehr nahe an der T2S-Plattform. Wir haben eine Reihe Dienstleistungen für unsere Kunden entwickelt, mit denen sich grenzüberschreitende Möglichkeiten heben lassen. Wir arbeiten mit Kunden daran und setzen sie auch um, wir sehen hier Nachfrage. Die Richtung der Reise zu mehr Cross-Border-Geschäft ist vorgezeichnet. Wir werden wohl Zentralverwahrer sehen, die für Investoren einen Marktzugang in anderen Märkten anbieten – also Investoren-CSDs – und die mehr Marktanteile in lokalen Märkten gewinnen. Die Reise dauert aber länger als erwartet. Wenn ich unsere Kunden sehe, würde ich sogar sagen, dass niemand den Brexit auf dem Radar hatte.- Was meinen Sie damit?IT-Projekte und -Budgets sind Angelegenheiten, die über mehrere Jahre hinweg abgearbeitet werden. Wegen des Brexit muss jeder seine Pläne anpassen, um damit verbundene Anpassungen vornehmen zu können. IT-Budgets geraten unter Stress, es gibt Verzögerungen, und wenn nicht klar ist, wie der Plan aussieht, sind IT-Experten auch nicht in der Lage, effizient zu arbeiten.- Wie beurteilen Sie denn die wohl zu erwartende Fragmentierung der europäischen Regulierung durch den Brexit?Das ist die große Unbekannte, wohin der Brexit führen wird. Wir arbeiten sehr hart daran und beobachten sorgfältig, was passiert. Ein Level Playing Field in der Regulierung sicherzustellen bleibt ein sehr wichtiges Thema auf der politischen Agenda.- Durch den Austritt Großbritanniens wäre auch Ihr britischer Zentralverwahrer nicht mehr in der EU. Wie geht es vor diesem Hintergrund mit Ihrem irischen Zentralverwahrer weiter, der weiter in der EU bleibt?Wir haben bereits verschiedentlich betont, dass wir uns diesem Projekt sehr verpflichtet fühlen, und arbeiten hart dafür. Wir haben ein starkes Projektteam dafür aufgesetzt, weil wir schon seit zwanzig Jahren einen CSD dort betreiben.- Kommen wir noch einmal auf die Frage grenzüberschreitender Transaktionen zurück. Ziel von T2S ist ja, diese zu erleichtern, aber es werden derzeit gerade einmal 0,4 % der Transaktionen grenzüberschreitend abgewickelt – das ist praktisch nichts.Ja, diese Zahl ist immer noch sehr niedrig.- Erwarten Sie künftig paneuropäische Anleiheemissionen auf Ihrer Plattform?Wir haben noch keine direkten Diskussionen mit Marktteilnehmern geführt. Aber wir wären sicher sehr interessiert, so etwas zu ermöglichen. Der niedrige Anteil an Crossborder-Geschäft sollte uns nicht entmutigen. Wir müssen aber sehr realistisch mit Blick auf die Zeitschiene sein. Das hat auch mit der regulatorischen Agenda und der Brexit-Agenda zu tun, die unsere Kunden beschäftigen. Wenn das derzeitige Abwicklungsmodell funktioniert, ist dies nicht der Bereich, in den zuerst Ressourcen investiert werden, um etwas zu ändern.- Wie geht es weiter mit dem Gemeinschaftsprojekt mit dem US-Abwickler DTCC, der transatlantisch etwa die Erfüllung von Sicherheitsmargen vereinfachen soll?Wir stehen in sehr fortgeschrittenen Gesprächen mit den Regulatoren, ich sehe keine Probleme für eine Genehmigung, und wir sind bereits daran, erste Kunden einzubeziehen. Mit dieser Lösung lässt sich Collateral in wenigen Minuten hin- und herbewegen, anstatt in zwei bis drei Tagen.- Das Projekt hat sich verzögert.Bei dem Enthusiasmus, den die beteiligten Teams glücklicherweise haben, sind wohl etwas die Herausforderungen unterschätzt und ist die Geschwindigkeit der Umsetzung überschätzt worden. Auf unserer Collateral-Konferenz in New York vor einigen Wochen haben wir aber ein beachtliches Momentum auf Seiten unserer Kunden und der Clearinghäuser gesehen. Dieses Projekt wird ein Game Changer, wir sehen viel Interesse. Vielleicht dauert es noch ein Halb- oder ein Dreivierteljahr, bis wir so weit sind.- Was sind die Treiber für eine Nachfrage?Die sind nicht so sehr regulatorisch bedingt, sondern mehr durch eine Rückführung der quantitativen Lockerungspolitik der Zentralbanken. Die Richtung, die Lockerung zu beenden, ist gesetzt, dies wird unserer Ansicht nach zu einem höheren Bedarf an Collateral und zu mehr Collateral-Bewegungen führen. Eine einfache Verschiebung von Collateral zu ermöglichen ist der Vorteil, den wir hier bieten können.- Um auf Innovationen zu kommen: Wie entwickeln sich die Projekte zur Distributed-Ledger-Technologie (DTL) von Euroclear weiter?Wir arbeiten an verschiedenen Projekten. Das wichtigste ist Liquidshare im französischen Markt. Dort geht es um die einfachere Abwicklung von Finanzierungen für kleine und mittelgroße Unternehmen. Wir arbeiten auch im Bereich der Edelmetallabwicklung über DLT weiter. Darüber hinaus gibt es aber andere Innovationen abseits von DLT, etwa Taskize, eine sehr vielversprechende Lösung, die von zahlreichen Kunden aufgenommen wird. Damit lässt sich die Effizienz im Markt verstärken. Wir haben auch interne Erkenntnisse im Bereich Robotics gesammelt, was unsere IT und Back-Office-Funktionen unterstützt.- Können Sie da konkreter werden?Damit lassen sich etwa mögliche Verstöße in Transaktionen gegen Sanktionen verhindern. Wir nutzen zudem künstliche Intelligenz, um etwa Prospekte zu analysieren und zu erkennen, ob die Angaben zu wirtschaftlich Berechtigten plausibel sind.- Wird es, sollte sich DLT in Lösungen am Markt durchsetzen, zu Parallelwelten kommen, also etwa Transaktions- und Abwicklungskanälen abseits bestehender Marktinfrastrukturen?Wir müssen DLT als mehr als nur eine Technologie betrachten. Wir müssen erkennen, welche Möglichkeiten DLT bringt. Es gibt eine Reihe Stärken und Schwächen. Es gibt Fragezeichen hinsichtlich Skalierbarkeit, aber auch hinsichtlich der Sicherheit. Das ist bei jeder Technologie der Fall, mit der man sich neu auseinandersetzt. Das ist die eine Dimension. Eine andere ist: DLT hat das Potenzial, Geschäftsmodelle zu verändern. Wie weit wird dies gehen? Wie viele dieser Geschäftsmodelle können mit Regulierung zusammenpassen? Wie können wir einen Bereich finden, wo Technologien und Geschäftsmodelle und Regulierung zusammenfinden, wobei Regulierung vor allem die Aufgabe hat, das Niveau an Risiken gering zu halten? Einige Geschäftsmodelle verstehen sich selbst als Instrumente für Störung, und sie sehen keinen Sinn mehr für eine zentrale Autorität. Das macht es wiederum schwierig für einen Regulator, damit umzugehen. Das alles muss berücksichtigt werden. Und es gibt wie gesagt auch andere Innovationen, zum Beispiel Robotics oder künstliche Intelligenz, die etwas weiter im Reifegrad sind und auch etwas einfacher einzuführen sind.- Erwarten Sie, dass mit DLT und der Blockchain auch bald neue Anlageklassen entstehen, die verwahrt werden müssen?Das ist schwierig zu sagen. Es gibt einige Ansätze, aber dies wird davon abhängen, wie verlässlich eine Anlageklasse definiert werden kann und wie vertrauenswürdig sie ist. Wir beobachten das.—-Das Interview führte Dietegen Müller in Toronto.