"Die USA sind für uns ein sehr profitabler Markt"
– Herr Schneider, 2017 wird für Munich Re voraussichtlich das schwächste Jahr in Bezug auf das Ergebnis seit 2003. Was bedeutet das für die Dividende?Ich sehe aktuell keinen Grund, warum wir die Dividende kürzen sollten. Die Hurrikan-Schäden von 2,7 Mrd. Euro sind kein nachhaltiger Einbruch unserer Profitabilität, sondern typisch für unser Geschäftsmodell. Unsere Aktionäre wissen, dass sich aus solchen Großschäden eine gewisse Ergebnisvolatilität ergibt. Gäbe es keine Katastrophen, hätten wir keine hohen Gewinne in guten Zeiten und es gäbe nicht so große Rückversicherer. Für die Risiken müssen wir viel Kapital vorhalten. Deshalb bin ich überzeugt, dass Munich Re ihre Ausschüttungen ein Stück weit von der Ergebnisvolatilität abkoppeln muss.- Munich Re ist mit Kapital gut gepolstert. Welche Rolle spielt dabei die Schwankungsrückstellung in der AG?Die Ausschüttungsfähigkeit richtet sich unter anderem nach der Höhe unserer Gewinne und Rücklagen in der HGB-Rechnungslegung. Unsere Schwankungsrückstellung umfasste Ende 2016 mehr als 10 Mrd. Euro und fängt nun einen Großteil der Verluste vom Sommerquartal auf. Sie ist auch weiterhin mit über 8 Mrd. Euro mehr als ausreichend. Zudem verfügt die Muttergesellschaft über viel Liquidität, weil sie mehr als zwei Drittel unseres Rückversicherungsgeschäfts schreibt und deshalb weniger als andere Konzernobergesellschaften von Dividendenzuflüssen ihrer Töchter abhängig ist. Somit können wir Dividenden ausschütten, auch wenn wir einmal hohe Schäden zu verkraften haben.- Wie wirken sich die Hurrikan-Schäden auf das ökonomische überschüssige Kapital aus?Die Belastungen aus den Naturkatastrophen wirken sich erheblich aus. Allein die Wirbelstürme “Harvey”, “Irma” und “Maria” kosten uns nach aktueller Schätzung 2,7 Mrd. Euro. Nach Abzug der Steuern liegt die Zusatzbelastung für Munich Re bei rund 1,8 Mrd. Euro. Diese Summe betrifft unsere Kennzahlen in jeder Metrik: Sie schmälert im HGB-Abschluss die Schwankungsrückstellung, sie drückt das Konzernergebnis nach internationaler Rechnungslegung IFRS. Zugleich verringern die 1,8 Mrd. Euro unsere Solvabilitätsquote gemäß Solvency II um bis zu 12 Prozentpunkte, bezogen auf den Ausgangswert per Ende Juni von 261 %.- Welche gegenläufigen Effekte mildern diese Belastung in Bezug auf die Solvabilitätsquote ab?Insbesondere die rückläufigen Risikozuschläge auf Anleihen haben uns geholfen. Das Zusammengehen der Spreads konnte diese Belastung zum Teil kompensieren. Deshalb beträgt der Rückgang im dritten Quartal nur 3 Prozentpunkte statt 12. Selbst nach den schweren Naturkatastrophenbelastungen sind wir mit reichlich 258 % des Bedarfswerts stocksolide aufgestellt.- Wie wollen Sie die von Ihnen angestrebte Quote zwischen 175 und 220 % erreichen?Neben weiterhin hohen Ausschüttungen streben wir an, das von uns eingegangene Risiko profitabel auszuweiten und damit organisch in die Richtung dieser Zone einer idealen Kapitalausstattung zu gleiten. Bei weiterhin schwierigen Marktbedingungen rechnen wir auf kurze Frist nicht mit rasantem Wachstum. Deshalb stehen wir zu hohen Dividenden und Aktienrückkäufen. Schon unsere jetzige Dividende von 8,60 Euro bringt dem Aktionär eine Rendite von 4,5 %. Und sie soll tendenziell steigen. Über Aktienrückkäufe entscheiden wir opportunistischer und halten Maß. Auf einen Schlag durch Kapitalrückgaben auf die Sollkapitalisierung zu kommen, ist schon wegen der uns handelsrechtlich aufgezwungenen Schwankungsrückstellung nicht darstellbar.- Helfen Munich Re in diesem vierten Quartal positive Steuereffekte, wie es noch vor Jahren der Fall war?Positive Steuereffekte gab es für uns immer wieder einmal. Wir neigen generell dazu, unsere Einschätzungsspielräume bei der Bildung von Rückstellungen für Steuern und Schäden nicht aggressiv auszunutzen, also risikobewusst anzusetzen. So ergeben sich im Zeitablauf Erträge aus der Auflösung solcher Rückstellungen. Bei den Steuern waren sie wiederholt hoch ausgefallen, weil die Steuerprüfungen durch die ausländischen und deutschen Finanzbehörden in den vergangenen Jahren erheblich beschleunigt wurden und vergangene Steuerjahre in schneller Folge einer abschließenden Beurteilung unterzogen wurden.- Welche Folgen hat das heute?Um zu vermeiden, dass die Prüfer und unsere Mitarbeiter sich mit lang zurückliegenden Sachverhalten befassen müssen und rasch Klarheit zu schaffen, werden Betriebsprüfungen inzwischen gegenwartsnah und praktisch ohne Unterbrechungen durchgeführt. Damit ergeben sich nun deutlich geringere nachträgliche Korrekturen und somit auch weniger nachlaufende Aufwendungen oder Erträge, wobei die Bewegungen in den vierten Quartalen oft größer als in den anderen Quartalen sind.- Wie wirkt sich die zurückliegende Hurrikan-Saison auf die Schadenrückstellungen des Konzerns aus?Wir reservierten per Ende September für die Hurrikan-Schäden 2,7 Mrd. Euro, und 300 Mill. Euro für die Erdbeben in Mexiko. Die Versicherer bemühen sich, den Geschädigten zügig zu helfen, aber zu einem erheblichen Teil werden die Auszahlungen zum Jahresende noch nicht erfolgt bzw. von uns erstattet sein und deshalb in unserer Bilanz zurückgestellt bleiben. Erfahrungsgemäß wickeln wir die Schäden aus solchen Naturereignissen jedoch rasch ab.- Wie steht es um die eher länger laufenden versicherungstechnischen Rückstellungen?Die Entschädigungen für schwere Körperverletzungen oder die für Lebens-, Renten- und Krankenversicherungen reservierten Beträge bleiben vielfach für Jahrzehnte in unserer Bilanz, und zwar als Rückstellungen auf der Passivseite, denen auf der Aktivseite unsere Vermögensanlagen gegenüberstehen. Auch hier prüfen wir laufend, ob die Wertansätze noch den neuesten Erkenntnissen entsprechen. Korrekturen sind unvermeidlich – mit teilweise gravierenden Auswirkungen auf unsere Gewinn-und-Verlust-Rechnung. Anfang dieses Jahrtausends mussten wir nach dem Erwerb von American Re für Altschäden erheblich nachreservieren. In der Folge haben wir die Sicherheitspuffer bei unseren Schadenrückstellungen konzernweit sukzessive erhöht und halten aktuell das erreichte sehr komfortable Niveau.- Wie hoch ist hier der Ertragshebel?In dem Maße, wie wir für neue Schäden Vorsichtsmargen vorsehen, ergeben sich bei erwartungsgemäßer Abwicklung später Erträge aus deren Auflösung. Bei einem Bestand an Schadenrückstellungen allein in der Schaden/Unfall-Rückversicherung von gut 45 Mrd. Euro waren dies in den letzten Jahren jeweils mehr als 1 Mrd. Euro.- Was macht den Großteil dieses Bestands aus?Besonderes Gewicht haben die Rückstellungen für Haftungsverpflichtungen im Zusammenhang mit Körperverletzungen, für deren Bewältigung die Opfer lebenslang Versicherungsleistungen beziehen. Diese stehen für Jahrzehnte in den Büchern, so zum Beispiel solche für Verkehrsunfallopfer, Betroffene von ärztlichen Kunstfehlern oder die Berufskrankheiten. Dazu gehören auch die Arbeiter, die nach dem Einatmen von Asbestfasern viele Jahre später an Lungenkrebs erkranken. Die einschlägig betroffenen Versicherungsverträge wurden weit zurückliegend, teils bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts, geschlossen. Einige Erstversicherer, die die Haftpflichtverträge seinerzeit gezeichnet haben, sind inzwischen längst pleite. Die Rückversicherer dahinter haften aber noch.- Die Rückversicherer beklagen sich seit Jahren über einen Preisverfall im Geschäft mit Naturkatastrophendeckungen. Arbeitet Munich Re in diesem Segment in den USA noch profitabel?Ein Jahr wie 2017 ist ein negativer Ausreißer. Die USA sind für uns aber ein sehr profitabler Markt. Munich Re America ist längst kein Problemfall mehr und verdiente über die letzten Jahre richtig gut. Die Margen für Naturkatastrophenrisiken waren in einem ungesunden Ausmaß gefallen, das dürfte sich nun korrigieren.- War das Jahr 2017 in Bezug auf die Hurrikan-Schäden statistisch betrachtet ein Ausrutscher, wenn man bedenkt, dass 2005 ebenfalls eine Serie von Hurrikan-Großschäden die Bilanz von Munich Re verhagelte?Einen Hurrikan in der Gefahrenzone USA/Karibik, der uns mindestens 1 Mrd. Euro kostet, würden wir alle zehn Jahre erwarten. Drei tropische Wirbelstürme mit solchen gewaltigen Schäden kommen nach den maßgeblichen Modellen nur etwa alle 40 Jahre vor, aber die Verlässlichkeit solcher Peilungen ist begrenzt.- Wie hoch ist das Risiko, dass im kommenden Jahr die Hurrikan-Saison ähnlich große Schäden verursacht?Die Forschung für mittel- und langfristige Wetterprognosen steckt in den Kinderschuhen. Es gibt noch keine verlässlichen Prognosen über die laufende Saison hinaus. Dass wir 2017 eine solche Serie schwerer Stürme erlebt haben, erhöht nicht die Wahrscheinlichkeit für eine Wiederholung 2018.- Die diesjährigen umfangreichen Hurrikan-Schäden sind ein Test für Naturkatastrophenanleihen. Was glauben Sie: Bricht der Markt für diese Bonds ein, oder verlangsamt sich die Dynamik bei den Emissionen?Obwohl die Investoren, die solche Anleihen halten, Verluste abstrakt erwarten müssen, versaut es die Stimmung, wenn sie dann konkret eintreten. Das ist ein Dämpfer, wird aber den gut etablierten Markt für CAT-Bonds und ähnliche alternative Deckungen nicht austrocknen lassen. Institutionelle Anleger wie Pensionsfonds zeichnen im Zinstief aus Anlagenot solche Instrumente, weil sie hohe Renditen erwirtschaften müssen, die sie mit herkömmlichen Rentenwerten nicht mehr erzielen können. Auch wir sind in kleinem Umfang in CAT-Bonds als Investoren engagiert und arrangieren für unsere Kunden deren Emission.- Was heißt das für die Vertragserneuerungsrunden zum Jahreswechsel, wenn die Hurrikan-Schäden die Bilanzen mancher Versicherer verhageln?Das Kapital aus vielen betroffenen “alternativen” Programmen ist zunächst einmal blockiert. Das heißt, es steht für die kommende Erneuerungsrunde zum 1. Januar 2018 nicht zur Verfügung. Tendenziell wirkt eine solche Angebotssenkung preiserhöhend. Es gibt aber zusätzliches Kapital, das prinzipiell bereit ist, dort investiert zu werden – allerdings mit höheren Renditeanforderungen.- Warum leistet sich Munich Re im Zinstief nicht höhere Kapitalanlagerisiken?Risikoarm ist unser Portefeuille nicht. Es ist insgesamt gut durchmischt, ohne dass wir ganz große Wetten eingehen. Unsere Kapitalanlagen unterliegen Schwankungs- und Ausfallrisiken. Wir hätten genug Kapital, um höhere Risiken einzugehen. Bei inflationierten Assetpreisen, insbesondere historisch niedrigen Risikospreads, wird Risikonahme geradezu kümmerlich vergütet. Warum sollten wir in einer solchen Phase die Risiken ausweiten, wenn wir mit unserer gut diversifizierten Anlagestrategie die nötigen Renditen erwirtschaften können?- Die Kapitalanlageergebnisse stehen im Zinstief unter Druck. Wollen Sie die Aktienquote weiter erhöhen, um den Renditeschwund bei festverzinslichen Wertpapieren abzumildern?Wir haben von Jahresbeginn bis Ende September die Aktienquote von 5 auf 6,5 % erhöht. Das sind über 3 Mrd. Euro mehr in Aktien. Unternehmensanleihen bieten heute mäßige Renditen in Relation zu einem signifikanten Risiko. Bei den Aktien sind die Rückschlagrisiken aufgrund des Booms an den Börsen zwar gestiegen, sie bieten aber immerhin weitere Chancen. Die hohen Bewertungen passen zu dem nachhaltig niedrigen Zinsniveau und der sehr geringen Volatilität an den Märkten. Wir setzen deshalb stärker auf die Aktie. Ich könnte mir weitere leichte Steigerungen bei der Aktienquote vorstellen, aber keinen Quantensprung.- Warum kein größerer Sprung?Die Anlage in Aktien löst beim Versicherungsunternehmen einen hohen Kapitalbedarf aus, weil dieser sich an der Intensität von Jahresschwankungen ausrichtet. Zu hohe Exposures in Aktien lassen bei massiven Kurseinbrüchen das Kapital von Versicherern schmelzen. So war Munich Re vor 15 Jahren heftig betroffen, als wir mit einer hohen Aktienquote, unter anderem mit schweren Beteiligungen an Allianz und deutschen Banken, in die damalige Finanzkrise gerieten. Solche Klumpenrisiken vermeiden wir heute. Unser Engagement in Aktien ist gut diversifiziert.- Sie bezifferten die Bewertungsreserven von Munich Re zuletzt auf 25 Mrd. Euro. Was passiert, wenn die Leitzinsen sukzessive steigen?Wenn die auf Dauer gesehen ungesunde Zentralbankpolitik endlich beendet wird, dürften die Zinsen der risikoarmen Anleihen steigen und sich die Spreads ausweiten, die Kurse der Festverzinslichen also deutlich sinken. Die Asset-Preis-Blase, die wir bei Immobilien, Aktien und anderen Realgütern punktuell sehen, würde getestet werden. Jedenfalls würde die Volatilität wieder steigen. Deshalb ist es gut, dass wir absolut und im Branchenvergleich hohe Bewertungsreserven haben. Die Auswirkungen auf unser Anlageergebnis aus Festverzinslichen wären gering, je nach Ausmaß eines Börsenrückschlags wären Abschreibungen auf Aktien vorzunehmen.- Wie wäre es auf lange Sicht?Mittel- und langfristig wären aber die Wirkungen einer solchen Normalisierung der Notenbankpolitik positiv, weil gesunde Marktkräfte wieder wirken könnten. Deshalb erwarten wir keinen schweren Kapitalmarkteinbruch in einem solchen Szenario.- Sie erwarten aber einen Rückgang der Bewertungsreserven.Ja, der ist fast zwangsläufig und sorgt mich nicht. Von unseren 25 Mrd. Euro Bewertungsreserven liegen rund 18 Mrd. Euro wegen der noch hohen laufenden Coupons in festverzinslichen Wertpapieren, der Rest überwiegend in Aktien und Immobilien. Schon wenn die Zinsen unverändert bleiben, sinken die Kurse der Festverzinslichen bis zu ihrer Tilgung auf 100 % und schrumpfen unsere Bewertungsreserven. Bis dahin freuen wir uns weiter über Zinserträge, die über den aktuellen Marktsätzen liegen.- Wird Ergo nun zurückgeworfen, nachdem der Verkauf der Unternehmen mit klassischen Lebensversicherungsbeständen gescheitert ist?Nein, wir sehen selbst in den Portfolien der Gesellschaften, die ihr Neugeschäft eingestellt haben, bei einer rationellen Abwicklung noch viel Potenzial, das wir entschlossen heben werden. Ergo ist dafür gut vorbereitet.- Der neue Konzernchef Joachim Wenning kündigte im Sommer an, das Portfolio des Konzerns – vor allem bei Ergo – schrittweise unter Profitabilitätsgesichtspunkten zu durchleuchten. Welche Kennziffern sind hierfür entscheidend, damit das auch der Kapitalmarkt nachvollziehen kann?Für uns steht eine wert- und risikoorientierte Steuerung aus der Aktionärsperspektive im Vordergrund. Die Rendite messen wir am Return on Risk Adjusted Capital, also immer unter Bezug auf die eingegangenen Risiken und am erforderlichen Risikokapital. Zudem ist das Nettoergebnis nach IFRS wichtig sowie die Fähigkeit, die hohen Gewinne auch ausschütten zu können.- Ergo befindet sich im Restrukturierungsprozess. Was bedeutet das für die Erstversicherungstochter?Ergo könnte nach den relevanten HGB-Vorschriften Dividenden schütten. Während der Umsetzung ihres Strategieprogramms haben aber die Zukunftsinvestitionen für uns eine höhere Priorität.—-Das Interview führte Stefan Kroneck.